Aufs Designerstück folgten Eigenkreationen

Die Stühle von Rhea Borsos (links) und Marcel Solèr. Bild: Nicole D'Orazio

In einem Freifachkurs an der Gewerblichen Berufsschule Wetzikon ZH drehte sich alles um Stühle und Hocker. Zuerst hiess es für die elf Teilnehmenden, einen Klassiker nachzubauen, ehe sie ihren Ideen freien Lauf lassen konnten.

Betritt man das Foyer der Gewerblichen Berufsschule im zürcherischen Wetzikon, sind sie nicht zu übersehen: Sechs besondere Stühle und Hocker. Sie sind das Resultat eines Freifachkurses, der sich an Schreinerlernende im dritten und vierten Lehrjahr richtete. Elf Personen haben am mehrmonatigen Kurs teilgenommen. Sechs Objekte schliesslich wurden den anderen Schülern und Interessierten Ende April gezeigt. Zur Eröffnung der Ausstellung haben sich zwei Schreinerklassen und mehrere Schaulustige eingefunden. Lernende im dritten Jahr präsentieren die ausgestellten Werke. Zuvor haben sie sich mit diesen auseinandergesetzt. Stellvertretend für ihre Macher, die an diesem Tag nicht an der Schule sind, stellen sie die selbst kreierten Stühle und Hocker vor.

Ein Stuhl aus altem Holz

Als einzige Kursteilnehmerin ist Rhea Borsos anwesend. Sie steht neben ihrem Werk, einem U-förmigen Stuhl aus Restholz. «Mir macht es Freude, aus alten, ausrangierten Sachen etwas Neues zu kreieren», sagt die 18-Jährige, die sich im dritten Lehrjahr befindet. Das Holz sei jahrelang im Lager ihres Lehrbetriebs, der Schreinerei Stefan Huber in Stäfa, gelegen. Upcycling sei für sie ein tolles und wichtiges Thema. Ihr Stuhl sei eine Kombination aus CNC-Arbeit und klassischem Handwerk, beschreibt die junge Frau weiter. Hervorzuheben sei die besonders gestaltete Sitzfläche.

Das Objekt besteht aus acht verschiedenen Hölzern: Das Gestell aus Fichte (alte Akustik-Dreischichtplatten), die Sitzfläche aus Teilen von Eiche, Sipo, Ahorn, Esche, Birnbaum, Tulpen- und Teakholz. «Da kein Teil des Sitzes rechtwinklig und gerade war, habe ich alle verleimt und auf der Maschine gerade geschnitten. Dann wieder zusammengeleimt und die schönste Fläche ausgeschnitten.»

Die Verleimung des Rahmens sei anspruchsvoll gewesen, weil sie nur mit Lamellos gearbeitet habe, damit keine Schrauben sichtbar seien, erzählt Rhea Borsos weiter. «Da die Platten alt sind, sind sie halt an vielen Orten ausgerissen.» Wenn man den Stuhl seitlich ablege, sei er zudem eine kleine Bank. «Durch die Luftschlitze ist er zudem nicht so schwer. Und die Öffnungen sorgen im Sommer für eine angenehme Belüftung des Rückens.» Den Stuhl schenkt die Lernende ihrer Schwester für deren eigene Wohnung.

Platte verleiht Charakter

Zwei Lernende präsentieren den Hocker von Till Schmeh. Dieser besteht aus einer einfachen Dreischichtplatte. «Das verleiht dem Hocker Charakter. Denn wenn man näherkommt, sieht man bei der Sitzfläche auch Stirnholz», sagt eine der beiden Lernenden. Vom Design her sei er abgehoben, was ihn etwas leichter und cooler scheinen lässt. Sie finde es schön, dass matter Lack verwendet wurde und kein glänzender, so sehe er nicht speckig aus.

Till Schmeh, der bei der Bimag AG in Wald ZH angestellt ist, kommt selber auf Nachfrage zu Wort: «Ich wollte von Anfang an einen schlichten Hocker haben, daher habe ich ein einfaches Design gesucht und entworfen.» Er hatte verschiedene Ideen, die er von Hand skizziert hat. Das finale Design hat er dann im CAD gezeichnet und aus Karton ausgelasert. Das Modell habe ihm gezeigt, dass seine Idee umsetzbar sei. «Ich verwendete Dreischichtplatten aus Fichte, da der simple Plattenaufbau mein schlichtes Design unterstützt», beschreibt Schmeh. Das Zuschneiden, Bearbeiten und Verleimen der verschiedenen Teile sei ohne grössere Probleme verlaufen.

Filigran mit schönem Farbenspiel

Lukas Tremp hat einen Hocker mit einem schönen Farbenspiel hergestellt, wie ihn zwei Lernende beschreiben. «Er hat Kirsche und Arve verwendet. Der Hocker sieht trotz seiner grossen Holzfläche filigran aus, ist stabil und lässt sich leicht transportieren.» Der Hocker von Miguel Raimander erinnert an ein japanisches Design, sagen zwei andere angehende Schreiner. Er sei leicht gebaut, bestehe aus Sperr- und Massivholz, und viele Teile wurden mit der CNC gefräst. «Der Klotz, auf dem man sitzt, ist höhenverstellbar. Auffallend ist, dass viele Taschen gefräst wurden.» Dafür sei auf der CNC extra ein Programm geschrieben worden. Marcel Solèr hat einen Klassiker, den rot-blauen Stuhl des holländischen Designers Gerrit Rietveld, nachgebaut. Und zwar aus Eiche, wie zwei Lernende erklären. «Der Stuhl ist wie ein Skelett aufgebaut. Und er ist sehr bequem.» Als kleinen Kritikpunkt fügen sie an, dass man die Kanten und Ecken stärker brechen könnte. «Dann wären diese bei einer Berührung weniger spitzig und angenehmer.»

Schon fast ein Designerstück

Eine Lernende stellt den Hocker von Bendix Fellmann vor: «Dieser ist schon fast ein Designermöbel, weil er sehr filigran ist und viele verschiedene Winkel hat.» Das Verleimen sei sicher schwierig gewesen, weil kein Teil einen Winkel von 90 Grad aufwies. In der Sitzfläche gibt es einen Knick, damit man gut sitzen kann.

Bendix Fellmann (Schreinerei Otto Hürlimann in Tann ZH) äussert sich ebenfalls auf Nachfrage: «Die drei Beine sind komplett symmetrisch aufgebaut und treffen sich in der Mitte in drei gleichen Winkeln. Gemacht sind sie aus 30 Millimeter Seekiefer-Multiplex und belegt mit Nussbaum.» Gefräst wurden die Teile mit der CNC. Das Programm hat er selbstständig geschrieben und ausgeführt. Die Beine und Querstreben hat er zuerst aneinander gedübelt und verleimt. «Das Verleimen des Gestells war recht aufwendig. Rhea hat mir geholfen, und wir haben ganze zehn Zwingen, zwölf Zulagen und zwei Spannsets gebraucht.» Fürs Verleimen des Gestells habe er einen Polyurethan-Kleber mit langer offener Zeit verwendet, damit er genügend Zeit hatte, alles zu richten, beschreibt er. «Die Herstellung der Sitzfläche war vergleichsweise einfach. Auch sie besteht aus Multiplex 19 Millimeter und Nussbaum mit einer blumigen Struktur.» Das Sitzteil ist auf gummierten 40 Millimeter grossen Schwingungsdämpfern aufs Gestell geschraubt. «Dadurch schwingt der Stuhl leicht mit, wenn man sich setzt oder bewegt.»

Ein eigener ZickZack-Stuhl

Die Eigenkreationen haben die Teilnehmenden in der zweiten Hälfte des Freifachkurses hergestellt. In den ersten Wochen ging es um den Holländer Gerrit Rietveld, einen der bekanntesten Designer des 20. Jahrhunderts. Dieser war Schreinermeister und entwarf unter anderem Stühle. Sein rot-blauer Stuhl sowie der Zickzack-Stuhl sind Klassiker. Von diesen durften sich die Lernenden einen nachbauen. Alle haben sich für den Zickzack-Stuhl entschieden. Das Zusammensetzen habe sie interessant gefunden, weil bei den Gehrungsfugen spezielle Zulagen benutzt wurden, blickt Rhea Borsos zurück. Der Zickzack-Stuhl sei nur stumpfverleimt und komme ohne Verbindungen aus. «Wir haben die Flächen ausgelegt, Leim in die offenen Fugen gefüllt und sie zusammengeklappt.» Fertig. Trotzdem halten die Fugen 686 Kilogramm aus, wie an der Holzfachschule Biel einmal getestet wurde.

«Beim Zickzack-Stuhl waren wir überrascht, dass es nicht nur um die Herstellung ging, sondern auch ums Design und die Geschichte dahinter», sagt Borsos weiter. Sie fand das super, weil das Thema Design in der Lehre sonst etwas zu kurz kommt. «Ich würde gerne eine Weiterbildung in Design machen und später selber Möbel herstellen.» Deswegen werde sie die Berufsmatura machen.

Auch Till Schmeh fand die Arbeit am Zickzack-Stuhl gut. «Vom Aussehen her ist er ein richtiger Blickfang, auch wenn er für längeres Sitzen nicht so bequem ist», findet er. Spannend sei, dass viele Leute nicht auf die Stabilität des Stuhles vertrauen würden. Dabei hält dieser einiges aus.

www.gbwetzikon.ch

Nicole D'Orazio

Veröffentlichung: 13. Mai 2021 / Ausgabe 20/2021

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