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In einer alten Keramikfabrik bauen die Mitarbeiter von Piet Hein Eek neue Möbel aus gebrauchten Schalungen. Bild: Piet Hein Eek

UpCycling.  Wer aus «Abfällen» Möbel herstellt, verleiht den Reststoffen neue Bedeutung. Während man solche früher höchstens bei Blindflächen einsetzte, sind heute vermehrt ihre optischen Qualitäten im Fokus. Dass dies sogar wirtschaftlich sein kann, zeigen Beispiele.

Es ist das Ziel des Bundesamts für Umwelt (Bafu), den Rohstoff Holz aus unseren Wäldern nachhaltig und effizient zu nutzen und zu verwerten. Um das zu erreichen, wird die Kaskadennutzung empfohlen. Materialien, die sich als Werk- oder Baustoff eignen, sollen keinesfalls direkt im Ofen landen. Vielmehr müssten Holz und Holzprodukte vor ihrer energetischen Verwertung so lange wie nur möglich im Wirtschaftssystem genutzt werden. Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist eine direkte energetische Nutzung nicht optimal, sofern eine stoffliche Nutzung möglich ist.

Ist «Upcycling» möglich?

Bei der Kaskadennutzung geht man davon aus, dass mit jeder weiteren Verwertung des Rohstoffes ein minderwertigeres Produkt entsteht. Man spricht bei diesem Prozess auch von «Downcycling». Auf dem Möbelmarkt existieren jedoch Beispiele, die sogar von einer optischen Aufwertung des Restmaterials zeugen. Das ist dann der Fall, wenn der Ausdruck des neuen Produktes stark vom Restmaterial abhängt. Das Möbel erzählt eine Geschichte – und animiert den Kunden damit schliesslich zum Kauf.

Zur Relevanz von Möbeln

Insgesamt ist das Möbelvolumen am Gesamtholzverbrauch zwar klein. Das zeigt fol- gendes Rechenbeispiel auf: Gemäss der aktuellen Studie «Holzendverbrauch Schweiz 2012», herausgegeben vom Bafu und der Berner Fachhochschule, wurden im Jahr 2009 in der Schweiz insgesamt 9,6 Mio. m3 Holz verbraucht. Gut die Hälfte davon ging in die stoffliche Verwertung, die andere Hälfte setzte man direkt für die Energieproduktion ein. Von der stofflichen Verwertung geht wiederum ungefähr die Hälfte in die Papierindustrie – die andere Hälfte in Holzprodukte aller Art. Davon wiederum entfallen 31% in die Herstellung von Möbeln und Innenausbauten. Weil von diesem Teil erneut ungefähr die Hälfte auf Wohnmöbel entfällt, beträgt der rechnerische Anteil «Möbel für den Wohnbereich» 14% aller Holzprodukte. Bezogen auf den jährlichen Gesamtverbrauch von 9,6 Mio. m3 Holz in der Schweiz, macht der Möbelbereich noch gut 4% aus. Als Möbelbereich definiert die Studie Korpusmöbel, Tische, Polstermöbel, Ess- und Schlafzimmermöbel, Büromöbel, Garderoben und Regale. Auch Gartenmö-bel oder Saunas fallen laut Studie in den Wohnbereich.

Dennoch lohnt es sich, auch im Bereich dieser 4%, mit ausgeklügelten Möbelkonstruktionen zu einem nachhaltigen Umgang mit dem Rohstoff Holz beizutragen.

Design und Technologie

Zurzeit ist zu beobachten, dass Möbel an Designmessen vermehrt aus Reststoffen bestehen. Der Niederländer Piet Hein Eek beispielsweise hat eine spannende Grundidee mittlerweile zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell ausgebaut. «Waste Cabinet» ist aus alten Schalungsbrettern gebaut. «Diese nagelt der Gestalter sichtbar von aussen auf ein Gerüst aus Sperrholz», erklärt Cora Ruoss von der Ecodesign Home GmbH. Die Zürcherin vertreibt Eeks Möbel in der Schweiz und hat soeben seine Produktionsstätten in Eindhoven besucht. Obwohl die Rohstoffe fast umsonst erhältlich sind, sei die Verarbeitung teuer, erklärt sie. «Denn in den Unikaten stecken etliche Mannstunden. Das wiederum macht die Produkte so wertvoll», sagt Ruoss. Zur erneuten Wertsteigerung sind Eeks Möbel teilweise in limitierter Auflage erhältlich. In einer ehemaligen Keramikfabrik von Philipps arbeiten inzwischen 80 Angestellte.

Design und Technologie

Die Niederlande scheinen ein wertvolles Pflaster für junges Design zu sein. In Amsterdam lebt und arbeitet die Gestalterin Nienke Janssen. Ihre Arbeiten sind weitere Beispiele für augenfälliges Recycling. Sie sammelt Multiplex-Altholz und führt die ausgedienten Platten einer neuen Bestimmung zu. Bewusst lässt sie Beschichtungen an den Platten stehen, denn diese verleihen den Möbeln pfiff. Durch Drechseln erhält der Schichtstoff das unverwechselbare Ober-flächenmuster. Zur «Plywood Collection» gehören ein Sideboard, ein Stuhl, ein Tisch, eine Lampe sowie zwei Vasen.

Das jüngste Schweizer Beispiel für einen Werkstoff aus Reststoffen lieferte kürzlich die Berner Fachhochschule. Ein Forschertrio holte den «Materialica Design + Technology Award» mit Bauplatten aus Reststoffen wie Erdnussschalen, Maiskolben und Reishülsen. Zurzeit arbeiten Designer daran, dieses Material sinnvoll einzusetzen.

Woher die Thematik stammt

Das Thema «Upcycling» ist nicht ganz neu und das klassische Schweizer Beispiel für eine stoffliche Aufwertung mit Produktdesign wohl jedermann bekannt: Im Jahr 1993 gelang es Markus und Daniel Freitag, ein Accessoire zu lancieren, das sich in der Folge etablieren sollte. Auf der Suche nach einer guten Fahrradtasche fanden die Brüder heraus, dass sich alte Lastwagenplanen als strapazierfähiges Grundmaterial für dieses Produkt hervorragend eignet – und lösten damit einen Trend aus. Mittlerweile führt die Freitag lab.ag eine umfassende Kollektion. Die Firma zählt schweizweit 130 Mitarbeiter.

Gerade in Zeiten, wo Rohstoffe knapp oder teuer sind, setzt man diese vor dem Entsorgen nochmals ein. Sichtbar wurde dies nach dem Zweiten Weltkrieg, als man Helme als Nachttopf verwendete. Aus Kanonenkartuschen trank man Bier oder ausgediente Gasmaskenbehälter wurden zu Milchkannen umfunktioniert.

Ein Wertzuwachs sondergleichen

Eine Aufwertung der besonderen Art nimmt die Alpnach Küchen AG in der Filiale Pfaffnau vor. Dort entstehen beim Thermolaminieren von diversen Fronten Folienabfälle. Je nach Auslegung der Laminatpresse könne der Verschnitt variieren, verrät das Innerschweizer Unternehmen. Durchschnittlich geht man bei Alpnach Küchen davon aus, dass über die Hälfte des Rohlaminats als Reststoff endet. Da dieses Material bereits ein Verbundwerkstoff aus PVC, Druckfilm, Overlay und Haftprimer ist, kann es die Firma nicht sortenrein entsorgen. Also hat man beim Frontenproduzenten vor sechs Jahren nach Lösungen gesucht – und sie in der Partnerschaft mit einem Recyclingunternehmen gefunden. Schliesslich würden daraus Kreditkarten gepresst, wissen die Verantwortlichen. Die Aufwertung ist in diesem Sinne also wortwörtlich zu verstehen.

www.ahb.bfh.chwww.ecodesignhome.chwww.nienkejanssen.comwww.alpnachnorm.ch

MW

Veröffentlichung: 09. November 2012 / Ausgabe 45/2012

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