Dabei sein ist alles

Die fortlaufende Zeit bringt frisches, internationaleres Design mit neuen Möglichkeiten. Bild: Assaf Ambram

Subkultur Salone del Mobile.  Die Veranstaltungen des Fuorisalone sind neben der Möbelmesse in Mailand ein Besuchermagnet. Die SchreinerZeitung hat mit Ausstellern in der Stadt während und nach der Messe gesprochen. Das Ergebnis überrascht nicht: Alle wollen wieder kommen.

Es sind Begegnungen auf dem Balkon. Jeden Nachmittag. Diese berühren sich fast, sind im Hinterhof des zehnstöckigen Wohnhauses um die Ecke platziert. Pensionär Razetti fragt nach einer Einschätzung zur Lage Italiens, zu jener Milanos. Und er fragt, wo man den Tag an der Design Week verbracht habe und verbringen werde. «Wo die Designer ausstellen, war einst überall Industrie angesiedelt», so Razetti. Heute ist das freilich anders. In den Vierteln wie Tortona oder Lambrate wird heute kaum mehr produziert. Übriggeblieben sind grosse Hallen und dazwischen wenig gepflegte Palazzi. Solche Ensembles bilden die grossartige Kulisse für die Ausstellungen des Fuorisalone während der Mailänder Möbelmesse.

Wo der Puls am lautesten schlägt

Am Porta Genova drängen sich die Menschen allabendlich über die alte, fast baufällige Eisenbrücke. Jetzt hat man ein paar Bleche auf die Trittstufen genietet. Der Rost und seine Löcher sind so verborgen. Und weil es jedes Jahr so viele Besucher sind und die Brücke das Nadelöhr in die Zona Tortona ist, gibt es neu auch Verkehrsschilder für die fussläufigen Massen. Mit Erfolg, die Staus auf der Brücke eskalieren nur noch bei strömendem Regen, weil mit den Regenschirmen und den Pfützen der Verkehr stockt.

Auch wenn die Zona Tortona längst von ihrer einstigen Strahlkraft eingebüsst hat und sich gerade in diesem Jahr eher als «Zona Tortura» präsentiert hat, so kommen sie doch alle: Die Design-Interessierten jeden Alters, die jungen Leute, um Party zu machen, und dazwischen, meist unerkannt, Journalisten, von denen jährlich mehr als 5000 an der Messe sind, Trend-Scouts und solche Profis, die Design-Talente für die Entwicklung ihrer Produkte suchen. Und sie kommen aus der ganzen Welt, gehören auch grossen Unternehmen an und sind dort, wo man einfach sein muss.

Events bilden den Rahmen

In die Messehallen des Salone kommen jedes Jahr über 300 000 Besucher. In den Design-Distrikten der Stadt dürften insgesamt deutlich mehr zu zählen sein. Schätzungen des Veranstalters sind jedoch nicht zu bekommen. Aber die Zahl der offiziellen Events, nämlich über 1300 in sechs Tagen.

Zu solchen Events zählt sicher auch Autohersteller Renault. In der Zona Tortona mit zwei riesigen Partymobils samt Cocktail-Bar und lauter Musik vor dem Eingang zum Superstudio Piu positioniert sammeln sich die Besucher. Ein als Superman verkleideter Promoter hüpft zwischen den Besuchern herum und verteilt Cola-Lutscher, als ob er sich selbst davon ernähren würde. Und irgendwie fragt man sich, was das mit Design, Möbeln, Wohnen und dem Leben zu tun hat? Genau, nichts. Aber so was zeigt Dynamik, die sich in diesen Zeiten bei den Designs nicht gerade auf einem Höhepunkt befindet. Keine Frage, die Design-Subkultur in Mailand war schon stärker. Die Ideen mussten irgendwo hin, konnte man in manchen Jahren den Eindruck gewinnen und: Der Italiener ist per se ein Designer.

Den internationalen Schritt gewagt

Heute finden sich weniger Präsentationen italienischer Designer in den Hinterhöfen der Zona Tortona, sondern vor allem solche aus allen Herren Länder. «Im Laufe der Jahre hat die Internationalität zugenommen», bestätigt Silvia Damato von der Kommunikationsagentur Studiolabo.

An Superman vorbei konnte man im Superstudio Piu etwa das israelische Industrie-Designer-Duo «Cozi» finden. Aus aussergewöhnlich stark verformtem Furnierholz sind die Lampenschirme, Schalen und jetzt auch Uhren gefertigt, so dass diese fast wie geknittert wirken. Die Herstellung mit einer grossen Presse und zweischaliger Schablone ist an sich nichts Neues. Mit der 3D-Druck-Technik für die Schablonenherstellung des formfolgenden Ansatzstückes liegt man auf der Höhe der Zeit.

Ein Résumé mit Fragen

Aussteller Yuval Carmel und Ofir Zandani aus Tel Aviv waren mit ihrem Label «Cozi» das erste Mal in Mailand an der Zona Tortona. Einigermassen erschlagen von der Masse der Besucher und den vielen Kontakten, arbeiten die beiden Designer nun die lange Liste der Kontakte, Interessenten und Versprechen ab, die sie während der Woche registriert haben. «Viele davon sind sehr vielversprechend. Aber jetzt müssen wir sehen, was konkreter wird», weiss Zandani. «Wenn du aber überhaupt deine Produkte in viele Länder tragen möchtest, dann ist Mailand der richtige Ort.» Und weil das so ist, sind natürlich auch viele unterwegs, die als Partner von Designern und Produzenten ihre Chance suchen.

Wer davon realistische und seriöse Absichten hat oder nicht, werden die beiden Designer bald herausfinden – und damit auch, ob sich das Ganze gelohnt hat. Denn klar ist eine Präsentation in Mailand für eine Woche auch eine beträchtliche Investition. Die Standmiete sei nicht gerade wenig im Superstudio Piu, und dann von einem anderen Kontinent mit Ausstellungsstücken nach Mailand zu kommen, lässt die Summe schnell wachsen. Ob «Cozi» erneut präsentieren wird, hängt deshalb vom Erfolg der Rückläufe ab. «Als Besucher werden wir auf jeden Fall wieder in Mailand sein», so Zandani.

Subkultur als Kontakt- und Übungsfeld?

In der Zona Tortona finden schon lange permanente Showrooms und feste, ganzjährige Präsentationen, auch von grossen Labels, statt. Den besonderen Charme allerdings machte stets der Wechsel mit Ausstellungen in irgendwelchen Hinterhofwerkstätten aus. Die findet man heute aber eher, wenn überhaupt, in der Ventura Lambrate, eine ebenfalls frühere Industriezone, wie Razetti erklärt. Das Areal wirkt in Lambrate kleinteiliger und die Präsentationen experimenteller. Auch hier ist die Internationalität hoch. Gruppenpräsentationen aus Mexiko, natürlich die Skandinavier oder auch eine Ausstellung der Design-Klassiker aus Österreich finden sich hier. Aber auch Designer aus Jordanien, Südafrika oder aus Polen, wie Katherine Cebulak mit ihrem Label «Mudo Design». Auch sie ist mit dem Ergebnis zufrieden.

«Wir konnten einige sehr gute Kontakte mit Architekten und Designern für weitere Zusammenarbeit knüpfen», so Cebulak. Auch Galeristen aus London und Paris seien von den Stücken angetan gewesen. Gezeigt hat Mudo Design kleine Kastenmöbel mit Fronten, die mittels magnetischen Holzsteinchen variable Designs erlauben. Und vor allem immer wieder um- und neu gestaltet werden können. «Die Veranstalter in Lambrate erwarten eine spezielle Idee, nicht einfach nur ein schönes Stück», weiss Cebulak. Für die polnische Designerin war es die zweite Bewerbung, die nun positiv beschieden wurde. Die Standgebühr ist relativ günstig. Für eine Einzelpräsentation ist man ab etwa 1500 Euro dabei. Cebulak sieht Ventura Lambrate weniger als Ort für Geschäftsabschlüsse, auch wenn sie ihre Produkte über den Ventura Shop verkaufen konnte. «Es ist mehr ein Übungsplatz für Designer und auch ein Ort, um von den Profis zu lernen», sagt Cebulak.

Fliessende Übergänge

Schreiner und Gestalter Matthias Scherzinger hat schnell gelernt. Seine erste Kollektion ist bereits vielfach preisgekrönt. Nach Stuhl und Tisch hat er im gleichen Gestaltungs- und Konstruktionsprinzip auch eine Lampenfamilie hinzugefügt. «Es gab Kunden, die wollten gleich sechs Stühle mitnehmen. Der Preis war kein Problem», sagt Scherzinger, der in Lambrate in einer Gemeinschaftspräsentation vor Ort war. Besonders spannend seien aber die ernsthaften Gespräche über gestalterische Mandate von produzierenden Unternehmen, teils aus fernen Ländern, gewesen.

Den fliessenden Übergang von der Subkultur der Milan Design Week zum professionellen Showroom kann man am besten im Distrikt Brera finden. Vielleicht auch deshalb, weil es sich bei Brera nicht um ein ehemaliges Industrieareal handelt, sondern er mitten in der Stadt liegt. Grosse Marken wie Boffi oder Valcucine sind neben kleinen, aber oftmals eigenständigen Präsentationen der noch nicht so bekannten Labels präsent. Dort hat der Veranstalter gezählt und kam auf 180 000 Besucher. Zum Vergleich: Eine gut besuchte Blickfang-Messe bringt es auf 20 000 Besucher.

Mit dabei war auch das italienische Netzwerk «Slow Wood». Mehrere Designer finden sich unter dem Dach zusammen und haben eine wohnliche Präsentation ihrer Stücke auf die Beine gestellt. So profitiert ein Schreiner vom anderen und der finanzielle Aufwand hält sich durch die Gemeinschaft auch bei der Betreuung vor Ort in Grenzen.

Ein Rezept mit anhaltender Wirkung

Das Geheimnis der italienischen Küche ist bekannt: Man nehme nur wenige, aber gute Zutaten und davon reichlich. Das Geheimnis der Milan Design Week ist ähnlich. Möbelmesse in den Hallen und Präsentationen in der ganzen Stadt, dazu viel gute Stimmung und von allem reichlich. Das scheint die Menschenmassen anzuziehen. Wenn die Messehallen schliessen, setzen sich die Design-Pilgerströme erst so richtig in Bewegung. Nicht nur in Richtung Zona Tortona, Ventura Lambrate oder nach Brera.

Manche Aussteller und Besucher haben so einen ziemlich langen Tag. Zusätzlich kommen ab dem späten Nachmittag noch weitere Interessierte dazu. Die Subkultur lebt also doch.

www.fuorisalone.itwww.cozistudio.comwww.mudodesign.comwww.freudwerk.comwww.slowwood.net

ch

Veröffentlichung: 14. Mai 2015 / Ausgabe 20/2015

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