Das Modell als Gestaltungshelfer

Dem Gestalter sind in der Materialwahl und Ausführung praktisch keine Grenzen gesetzt. Bild: Noah J. Gautschi

Visualisierung.  Modelle sind meistens wunderschön anzusehen, regen die Fantasie des Betrachters an und animieren zum Weiterbauen. Als Mittel zur Visualisierung sollten sie auf den Kunden abgestimmt und gezielt verwendet werden, damit sie zum Mehrwert führen.

Bei der aktuellen Auftragslage und dem vorherrschenden Preiskampf ist es für den Schreiner wichtig, sich von alternativen Angeboten abzugrenzen. So muss jeder Unternehmer eine für sich funktionierende Vorgehensweise herausarbeiten, damit sich der Kunde für seine Produkte und Angebote entscheidet.

Ein möglicher Schlüssel, sich von der Masse abzuheben, sind die Visualisierung und die Bemusterung mittels Modellen.

Im Wechsel der Zeit

Vor einigen Jahren standen die Kunden noch staunend vor dem Bildschirm und wunderten sich über das dreidimensionale Modell ihres Möbelstückes in der Renderansicht. Heutzutage sind die Programme so perfekt ausgereift und die Erstellung eines einfachen digitalen Modells ist so simpel, dass die Kundschaft an jeder Ecke mit solchen Visualisierungen konfrontiert wird. «Die ganze Welt arbeitet mit digitalen Modellen, der Kunde erwartet es praktisch schon. Wenn ich jetzt mit einem handgemachten Modell auftauche, steche ich heraus und zeige Herzblut und Freude», sagt Stefan Liechti, Inhaber der Werthmüller Schreinerei AG in Burgdorf BE. Der Schreiner arbeitet gerne und erfolgreich mit dieser Bemusterungsmethode: «Es ist auf den ersten Blick ein Schritt zurück, aber ich verleihe dem Auftrag dadurch einen Mehrwert, den der Kunde spürt.» Doch einfach nur Modelle zu produzieren, reicht nicht aus. Es benötigt ein Gespür für die Bedürfnisse des Kunden. So erzielen beispielsweise Modelle aus dem 3D-Drucker nicht dieselben Emotionen, wie von Hand erstellte.

Man muss sich sicher sein

Es lohnt sich nicht, für jede Anfrage gleich ein Modell zu erstellen. Der Schreiner muss seine Kundschaft lesen und abwägen, ob er seinen Mehraufwand zurückbekommt. Vorsicht ist geboten, wenn beispielsweise der Verdacht besteht, dass ein Kunde nur Ideen oder Richtpreise einholen will. Hier müsse man sich auf seine Erfahrungen verlassen, sagt Stefan Liechti: «Nur wenn ich spüre, dass ein Kunde wirklich ein Möbelstück oder einen Ausbau von mir wünscht, bin ich bereit, ihm ein Modell herzustellen.» Für einen erfolgreichen Modellbau gibt es kein Grundrezept, jedoch ein paar Möglichkeiten, den Kunden zu animieren.

Den Kunden spielen lassen

Ein Gestalter sollte sich im Vorfeld auf eine Gestaltungsvariante festlegen, die er dem Kunden abgeben will. «Zu viele Varianten und Entwürfe sind irritierend für die Kundschaft und überfordern diese», sagt Stefan Liechti aus Erfahrung.

Für seine Modelle fertigt er oftmals austauschbare Elemente, die eine einfache farbliche oder materialtechnische Anpassung des Modells ermöglichen. «Manchmal fangen die Kunden anschliessend selbst an, die Modelle zu ergänzen und mit den Formen sowie Farben zu spielen», sagt Liechti. Wenn über ein Modell der Austausch zwischen Gestalter und Kunde stattfindet, ist das ein Optimum, das nur über ein handgefertigtes Modell möglich ist.

Eine Nummer grösser

Auch bei der Kundenberatung oder Gestaltung im Raum selbst bieten sich Modelle zur Verkörperung der Designideen an. So kann beispielsweise mittels einfacher Volumenmodelle aus Karton oder Sagex im Massstab 1:1 die richtige Höhe des Empfangskorpusses oder die optimale Platzierung eines Tresens visualisiert werden. «Dann stehe ich mit dem Kunden zusammen im Raum und bearbeite den Sagex zum Beispiel mit einer Säge, bis der gewünschte Winkel gefunden ist», sagt Stefan Liechti. Der grosse Vorteil ist, dass der Kunde den Anpassungsprozess mitbekommt und dessen Wirkung gleich selber spüren kann. Ansonsten werden kleine Anpassungen meistens nicht bemerkt und für überflüssig gehalten. Auf diese Weise können neben der optischen Erscheinung im Raum auch gleich die Gebrauchstauglichkeit und die Dimensionierung diskussionslos abgeklärt werden. «Mit solch einem 1:1-Modell wird es im Nachhinein praktisch keine Missverständnisse in der Gestaltung geben», sagt Stefan Liechti. Wenn der Schreiner beim Kunden auftaucht und beginnt, die geplanten Möbelstücke mit Volumenkörpern aufzubauen, ist das neben der Einzigartigkeit auch ein unschlagbares Erlebnis für den Kunden, und genau solche Erlebnisse kann ein Schreiner bieten.

Das beste beider Wege verbinden

Digitale Visualisierungen haben in der Erstellung, der Genauigkeit und der Flexibilität ihre Stärken, wohingegen Modelle unübertroffen sind, wenn es um die Formenwirkung, das Licht- und Schattenspiel oder die Materialauswahl geht. Hier gilt es je nach Auftrag abzuwägen, was für eine Visualisierungsmethode dem Kunden am besten dient. So ist es ratsam bei komplizierten Formgebungen, speziellen Materialisierungen oder Beleuchtungskonzepten, mit Modellen zu arbeiten. «Wenn die Wirkung von Licht, Schatten und Tiefen benötigt wird, verzichten wir bewusst auf eine Visualisierung und arbeiten mit einem Modell», sagt Mario Signer von der Weishaupt Innenausbau AG aus Appenzell AI.

Am Modell können nicht nur die Formgebung und die Dimensionierung genau abgestimmt werden, auch die Position der Leuchtmittel wird daran ermittelt. «Bei Sonderformen ist die Beleuchtung das A und O, und am Modell können wir mit den Leuchtmitteln variieren und die optimale Platzierung finden», sagt Mario Signer. Werden zudem gleich die effektiven Beschläge und Materialien eingesetzt, gibt es praktisch keine Missverständnisse mehr. Gemäss Mario Signer können spezielle Materialien und Beschläge für eine Bemusterung meistens vergünstigt im Fachhandel bezogen werden.

Modelle gezielt einsetzen

Sei es als Alleinstellungsmerkmal, aus technischen Gründen oder zum Testen der Raumwirkung – Modelle und Visualisierungen müssen im Verhältnis zum Auftrag stehen. «Unabhängig von Auftragsgrösse oder Komplexität setzen wir auf Modelle, wenn uns bei einem Produkt die Erfahrung fehlt oder der Kunde sowie wir uns ein Modell wünschen», sagt Mario Signer.

Für eine erfolgreiche Visualisierung sollte der Schreiner seine Kundschaft spüren und die verfügbaren Bemusterungsmethoden gezielt einsetzen.

www.werthmuellerag.chwww.weishaupt.ch

njg

Veröffentlichung: 04. Oktober 2018 / Ausgabe 40/2018

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