Den Entwürfen auf der Spur

Augenfällig: In Anlehnung an die «Allegro»-Leuchten wurden formähnliche Tische entwickelt. Bild: Manuela Ziegler

Designprozesse.  Am Ende steht ein Stuhl oder ein Kugelschreiber oder eine Vase oder sonst etwas. Wie aber beginnt eine Produktentwicklung? Welche Ideen und Entwürfe braucht es dazu? Eine Ausstellung des Zürcher Museums für Gestaltung macht Planungsabläufe sichtbar.

Am Eingang der Ausstellung sticht ein handgeknüpfter Teppich mit dunkelblauem Blütenmuster ins Auge. Tücher mit dem gleichen Muster hängen in den Glasvitrinen. Motivgeber war der Brite William Morris. Sein Bewusstsein für Entstehungsprozesse sei richtungsweisend, sagt Bruno Heller, kuratorischer Assistent der aktuellen Ausstellung «Design Studio: Prozesse» im Museum für Gestaltung in Zürich.

Meister hochwertiger Produkte

William Morris war Gründer der «Arts and Crafts»-Bewegung, die den Handwerker auch als Künstler sah und eine Gegenbewegung zur Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts darstellte. Industrielle Entwürfe und Architektur lehnte er ab. Sein Ideal waren qualitativ hochwertig gefertigte Produkte. Zeitlos aktuell also. Sein Schaffen enthält bereits die Transformation einer Idee in andere Nutzungsformen.

Der Altmeister nimmt in der Ausstellung keine Sonderstellung ein, es herrscht vielmehr ein gleichwertiges Nebeneinander verschiedener Objekte. Diese stammen zum grossen Teil aus den vier museumseigenen Sammlungen zu den Themen Design, Grafik, Kunstgewerbe und Plakat.

Zeugnisse kreativer Phasen

Die Themenfelder sind mit einem Baukastensystem in der Art bunter Legosteine in der rechteckigen Halle angeordnet. Wie Inseln gruppieren sich etwa kunsthandwerkliche Prozesse wie die Textilarbeiten der Freitag-Brüder. Zeichnungen, Modelle und Entwurfsarbeiten illustrieren die Entwicklungsphasen kreativer Prozesse.


Transformation von Produkten
 

Eine Mindmap an der Wand zeigt Fotos des Lampenklassikers «Allegro» aus dem Haus des italienischen Herstellers Foscarini. Die Gestaltung wurde weiterentwickelt und erscheint auch auf Tapeten, im Storedesign und als Tisch wieder. Eine kleine Modellstudie zeigt die Entstehung.

Auch die Westschweizer Designer sind inzwischen bekannt für das spielerische Experimentieren mit Formen, Bewegungen und Musik. Ihre Objekte unterstreichen die Botschaft der Ausstellung: Es gibt nicht den einen Prozess, sondern Produkte entstehen im Zusammenspiel diverser Faktoren wie etwa Material und Nutzungsanspruch.

Jeder Entwurf entwickelt sich anders

Auch Hersteller beeinflussen Prozesse, wie die Entwürfe des inzwischen verstorbenen Industriedesigners Hannes Wettstein für die Büroartikelmarke Lamy illustrieren. Aus sieben Teilen sollte ein Stift zusammengesetzt sein. 143 Prozessschritte dienen als Vorgabe. Dass es nicht zwangsläufig bei 143 Schritten blieb, zeigen Wettsteins Skizzen zum Entwurf eines Stifts für ein Touchpad, der nie realisiert wurde. Er entwarf diverse Varianten von Halterungen, nahm dabei die Urform des Löffels als Vorlage, spielte mit Bildern. Und er entwickelte Geschichten für den Druckbleistift «Scribble», den er mit Griffwölbungen versah.

Eine Werkstatt für alle

Prozesshaftes erfährt der Besucher auch selbst. Im Design-Studio wird der Vermittlung ein hoher Stellenwert eingeräumt. Der Werkbereich nimmt rund ein Drittel der Ausstellungsfläche ein. Er besteht aus einer Treppe, an der gearbeitet, diskutiert und ausgestellt wird. An deren Fuss grenzt eine lange Werkbank mit Arbeitsleuchten an. Hier fertigen Besucher mal Schmuck aus Veloschläuchen, mal Drahtobjekte an. Heller kommt zum Teil mit der Materialbestellung kaum nach, so stark ist die Nachfrage. Auch die Workshops und Vorträge werden rege besucht.

Polster- wird Schreinerarbeit

Schreiner-Auszubildende haben an einem Workshop für Minimöbel teilgenommen und das Spannungsfeld von Gestaltungstheorie und Praxis ausgelotet. Der Stuhl «Wogg 42» von Jörg Boner ist ein gutes Beispiel dafür. Der gelernte Schreiner und Industriedesigner verfolgte das Prinzip, eine kostspielige Tätigkeit zu industrialisieren – jene des Polsterers. Diese Arbeit sollte zugunsten hochwertiger Schreinerarbeit rationalisiert werden.

Ausgangspunkt war der gestanzte Kunststoff für Boners zuvor entwickelten Schrank «Dresscode». Erste Entwurfskizzen liegen aus. Drei Modelle dokumentieren den Verlauf des Entwurfs für den gepolsterten Armlehnstuhl. Mehr als zwei Jahre Entwicklung stecken darin. Ein Textil sollte mit einer Lage aus Schaumstoff und Plastik gestanzt werden.

Das hat funktioniert, aber das Plastikgeräusch beim Draufsitzen galt als unzumutbar. «Entscheidend war es, einen Problemlöser zu finden», sagt Heller. In diesem Fall half es, mit den richtigen Produzenten ins Gespräch zu kommen. Dank eines anderen Stoffs, einer anderen Stanzmaschine und des Verzichts auf Plastik gelang endlich das gewünschte Ergebnis.

«Wogg 42» dokumentiert einmal mehr, dass Entwürfe selten planbar sind und der Designer oft eine gehörige Durststrecke zu bewältigen hat. Nicht immer ist der Weg von Erfolg gekrönt. Karl Gerstner entwickelte mit offenem Ausgang und auf eigenes Risiko in den Siebzigerjahren für die Swissair ein neues Logo. Ursprünglich war allerdings nur ein neues Farbkonzept für den neuen Flieger DC 980 in Auftrag gegeben worden. Gerstner hielt die bisherige Schrift des Swissair-Logos für nicht mehr zeitgemäss und empfahl eine Satzschrift, die sich auch gut in einen Fliesstext integrieren lässt und als Hausschrift zu verwenden ist.

Ein dicker Ordner mit Entwurfsstudien liegt auf und zeigt den gestalterischen Prozessverlauf, dessen Mühe zum Glück am Ende mit einem Auftrag belohnt wurde. Das Votum fiel zugunsten der von Gerstner bevorzugten Schrift «Futura bold» aus.

Fenster in die Zukunft

Kommunikation zwischen Auftraggeber und Designer ist das Wichtigste, denkt man vielleicht. Um Missverständnisse von Beginn an aus dem Weg zu räumen, entwickelte Christa Tresch, ehemals Studierende der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), einen Entwurfsbaukasten.

Das Visualisierungs- und Kommunikationstool veranschaulicht in der Startphase die Kommunikation zwischen Auftraggeber, Ingenieur und Designer. Die Arbeit ist eine von fünf Fallstudien, die in Zusammenarbeit mit Studierenden der Hochschule entstanden sind und sich gezielt mit der Frage «What’s next?» auseinandersetzen. Was sind aktuelle und kommende Themen?

Das Ausstellungsformat «Design Studio» will auch künftig verwandte Projekte in Szene setzen. In Zusammenarbeit mit Studierenden will man Bezüge zwischen theoretischen Studien und praktischer Umsetzung schaffen. Im Untergeschoss des Hauses haben simple Alltagsgegenstände von Schweizer Schöpfern ein neues klimatisiertes Zuhause gefunden. Irgendwann wird es noch mehr Platz brauchen, die Schweizer Zeugnisse digitalen Designs fehlen hier ohnehin noch. Auf die Konservatoren wartet eine grosse Aufgabe.

Interaktivität

Museum und Werkstatt zugleich

Das Museum für Gestaltung hat im Zürcher Toni-Areal das interaktive Ausstellungsformat «Design Studio» neu lanciert. Noch bis am 28. April 2019 widmet sich die Schau dem Thema «Prozesse» und liefert aussergewöhnliche Einblicke in die Entwürfe bekannter Designer wie Jörg Boner, Adrian Frutiger, Atelier Oi, Greutmann Bolzern und viele mehr. Studierende der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) öffnen mit ihren Designprozessen «What’s next?» ein Fenster in die Zukunft. Anhand von 28 Designprozessen werden Entwürfe nachvollziehbar in Kunsthandwerk und Design, Plakatgestaltung, Textil und Mode, Formen der Kommunikation, Typografie und Buchgestaltung. Ein Schwerpunkt liegt auf der Vermittlung durch Workshops, Führungen und gar Exkursionen in Werkstätten von Designern.

www.museum-gestaltung.ch

Museum für Gestaltung

Baukunst der klassischen Moderne

Mit dem Umzug der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ins Zürcher Toni-Areal 2014 wurden die Räumlichkeiten des Museums für Gestaltung in der Ausstellungsstrasse wieder frei. Das herausragende städtische Bauzeugnis der klassischen Moderne konnte in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden. Ein Zwischenboden in der Ausstellungshalle wurde entfernt, sodass heute die Basilika mit zwei Seitenschiffen und umlaufender Galerie wieder sichtbar ist. Im Untergeschoss zeigt neu eine permanente Ausstellung einen Querschnitt durch die Sammlungen mit insgesamt 500 000 Objekten.

Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, und die grosse Herausforderung bestand darin, die modernen technischen Anforderungen – etwa bezüglich Belüftung, Klima und Brandschutz – zu integrieren. Im März 2018 wurde die Wiedereröffnung gefeiert.

MZ

Veröffentlichung: 11. Oktober 2018 / Ausgabe 41/2018

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