Der Euroschock und anderes Ungemach

Möbel mit Unikatscharakter sollen wieder etwas Begeisterung in das Einrichten zurückbringen. Bild: Möbelfabrik Betschart AG

Wechselkurs.  Ein Jahr nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses sitzt der Frankenschock immer noch tief. Die Schweizer Möbelbranche kämpft mit den Auswirkungen – und bereits warten neue Herausforderungen.

Donnerstag, 15. Januar 2015, 10.30 Uhr. Die Nationalbank erklärt in einem Communiqué, dass sie den Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken nach vier Jahren aufgibt – per sofort. Zeitgleich in Köln: An der IMM Cologne, der weltgrössten Einrichtungsmesse, sind rund vierzig Aussteller aus der Schweiz präsent. Sie bauen gerade ihre Stände auf, als sie die Nachricht erreicht. Die Unsicherheit ist gross. «Wir wussten nicht genau, was uns erwarten würde», sagt Hannes Vifian, Inhaber der Vifian Möbelwerkstätte AG in Schwarzenburg BE. Möbel aus der Schweiz sind praktisch auf einen Schlag 10 bis 20 Prozent teurer geworden als Produkte aus dem Euroraum.

«Die Preislisten der Schweizer Aussteller waren Makulatur, noch bevor die IMM eröffnet wurde», sagt Kurt Frischknecht, Geschäftsführer vom Verband Möbelschweiz. Die Gedanken kreisten um eine bevorstehende Krise. «Wir fragten uns, ob das für die Branche zu stemmen ist», erklärt Marco Föhn, Geschäftsführer der MAB Möbelfabrik Betschart AG in Muotathal SZ.

Aus dem Rennen geworfen

2011 hatte die Nationalbank im Verhältnis zum Euro einen Mindestkurs von 1.20 Franken festgelegt. Die Abschwächung der Schweizer Währung sollte insbesondere die exportierende Industrie stützen. Mit dem Aus für den Euro-Mindestkurs geriet die Formel «mehr Exporte gleich mehr Produktion gleich mehr Arbeitsplätze» ins Wanken. Auch im Binnenmarkt verloren Händler und Produzenten Marktanteile gegenüber der billigeren ausländischen Konkurrenz, ein wachsender Einkaufstourismus setzte der gesamten Branche zu. Viele Unternehmen gaben die Währungsvorteile der Importprodukte in Form von Preisreduktionen an die Kunden weiter, die Margen schrumpften, die Umsätze brachen ein.

Ein Beispiel nach der Kurswende

Die MAB hatte bereits ein schwieriges Geschäftsjahr hinter sich. «2014 waren wir gezwungen, den Betrieb zu verschlanken und fünf Personen zu entlassen», sagt Geschäftsführer Marco Föhn. Im Folgejahr profitierte das Unternehmen, das zu zwei Dritteln für den Fachhandel produziert und zu einem Drittel im Objektbau tätig ist, von einer guten Auftragslage. «Unser Glück war, dass wir im Herbst 2014 unser Modell ‹Sona› präsentierten, welches auf grosse Resonanz stiess. Diese Bestellungen konnten wir 2015 ausliefern», sagt Marco Föhn.

Auf die wandelnde Marktsituation aktiv reagiert hat das Unternehmen, nachdem die Karl Schuler AG letzten August aufgrund der Auswirkungen des starken Frankens aufgeben musste. Innerhalb von zwei Monaten entwickelten die Muotathaler ein neues Schlafzimmerprogramm. «Wenn man untätig bleibt, werden die freien Stellplätze mit ausländischen Produkten besetzt», erklärt Föhn. 5 bis 10 Prozent der Produktion geht in den Export. Dem europäischen Preisniveau konnte sich der Innerschweizer Hersteller nicht anpassen. Bei einer hohen regionalen Wertschöpfung sei dies schlicht nicht möglich. Als direkte Folge des Euro-Zerfalls wurde der Export neu strukturiert. Als Zulieferant für «dieCollection» konnte sich die MAB dem deutschen Herstellerverbund als Produzent für Wohnmöbel angliedern. «Somit wurden Kosten eingespart und die Kundennähe ausgebaut», sagt Föhn.

Die Krise trifft alle

Ikea in Spreitenbach AG, der Marktführer der Schweizer Möbelbranche, bewegt sich in anderen Dimensionen. Aber selbst am Möbelgiganten ist die Krise nicht spurlos vorübergegangen. Das Umsatzminus von 1,3 Prozent «führen wir einerseits auf den Wechselkurs und andererseits auf den Rekordsommer zurück», sagt Pressesprecher Aurel Hosennen. Nach den ersten vier bis sechs Wochen mit Rückgängen vor allem in grenznahen Filialen habe sich die Lage jedoch weitgehend normalisiert. Ikea entschied sich gegen Rabatte: «Verteilt über die letzten drei Jahre haben wir die Preise um insgesamt 50 Millionen reduziert. Wir waren überzeugt, dass wir über ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis verfügen und die Leute wissen, dass sie bei uns viel für ihr Geld bekommen», so Hosennen. Einen anderen Weg wählte Pfister aus Suhr AG. Das Unternehmen, das 50 Prozent seiner Ware aus dem Ausland importiert, hat unmittelbar nach dem Entscheid der SNB den Währungsvorteil an die Kunden weitergegeben. «Wir stellen uns der Marktrealität und streben vergleichbare Preise mit dem nahen Ausland an», erklärt Mediensprecher Alfredo Schilirò. Mit den Handelspartnern konnte Pfister im vergangenen Jahr bessere Beschaffungs- und Einkaufskonditionen aushandeln. «Seit Mitte August geben wir diese Vorteile an die Kunden weiter, indem die Preise von rund 2000 Artikeln dauerhaft gesenkt wurden», sagt Schilirò.

Auf der Suche nach Auswegen

Die Vifian Möbelwerkstätten in Schwarzenburg produzieren ausschliesslich für den Inlandmarkt. Ihre Umsätze mit Büromöbeln waren eingebrochen, der Verkauf von Wohnmöbeln stagnierte. Eine Preisreduktion war dennoch keine Option: «Bei einem Wechselkurs von 1.30 Franken waren wir mit der ausländischen Konkurrenz auf Augenhöhe», sagt Geschäftsführer Hannes Vifian. «Bei 1.20 Franken gab es noch den Spielraum bei den Margen, aber bei einem Kurs unter 1.20 Franken liegt eine Preisreduktion nicht mehr drin.»

Mit den billigeren Produktionskosten der ausländischen Konkurrenz habe er nicht mithalten und den Wechselkurs nicht beeinflussen können. Er entschied sich, die betrieblichen Schwerpunkte zu verlagern. Er stärkte den Bereich Innenausbau und investierte in den Verkauf, in die Produktion sowie in eine eigene Montageequipe. «Wir müssen uns auf das konzentrieren, was man im Ausland nicht kaufen kann. Im Objektbau stehen wir nur mit lokalen Mitbewerbern in Konkurrenz, die alle gleich lange Spiesse haben.»

Erlebniseinkäufe

Im abgelaufenen Geschäftsjahr haben die Schweizer gemäss dem Marktforschungsinstitut GfK für 11 Milliarden Franken im Ausland eingekauft (ein Zehntel vom Gesamtumsatz im Schweizer Detailhandel), 800 Millionen waren davon für Wohnungseinrichtungen. Und aktuell gibt es keine Anzeichen für eine Trendwende – obwohl die Preisdifferenz zwischen Schweizer und ausländischen Möbeln nur noch 3 bis 4 Prozent beträgt. «Möbel waren in der Schweiz nie billiger», sagt Kurt Frischknecht, der Geschäftsführer von Möbelschweiz. Warum also nimmt der Einkaufstourismus-Boom kein Ende? «Geiz ist geil», zitiert Frischknecht den Werbeslogan eines bekannten Discounters, «zudem entspricht es dem Zeitgeschmack, Einkaufen und Erlebnis zu verbinden.» Gleiches sagen die GfK-Zahlen: Der Einkauf im Ausland hat im Rahmen von Ausflügen, Ferien und Besuchen im Vergleich zu 2013 um 19 Prozent zu-, während der gezielte Einkauf um 5 Prozent abgenommen hat.

10 Möbelhäuser machen 80% Umsatz

Nicht alle Betriebe haben 2015 die Kurve gekriegt. Traditionsunternehmen wie die Karl Schuler AG in Rothenthurm SZ und ZKD Büromöbel aus dem aargauischen Kleindöttingen meldeten Konkurs an. Weibel Möbel in Endingen AG ging den Weg des geordneten Rückzugs aus dem Möbelgeschäft. Andere sparten beim Personal wie der bernische Möbelhersteller Fraubrunnen AG, einige fusionierten.

In der jüngeren Vergangenheit wurden auch verschiedene grössere Möbelhäuser von anderen übernommen. Das Ziel sei unter anderem, mit attraktiven Standorten den Marktanteil zu erhöhen, erklärt Alfredo Schilirò von Pfister. Möbelschweiz geht davon aus, dass sich der Markt noch weiter ausdünnen und die Konzentration fortschreiten wird.

Der Möbelmarkt ist klein, die Anteile sind klar verteilt: Zehn Firmen erwirtschaften in der Schweiz 80 Prozent des Umsatzes. Um die restlichen 20 Prozent ringen 1500 weitere Unternehmen. Jedes fünfte Möbel, das in der Schweiz gekauft wird, stammt aus helvetischer Produktion, 80 Prozent sind importiert. «Vor allem der regionale und lokale Fachhandel gerät unter Druck», sagt Kurt Frischknecht. «Natürlich kämpfen auch grosse Akteure, aber sie haben beispielsweise mehr Spielraum beim Verhandeln von Einkaufspreisen.»

Ziel: Alleinstellungsmerkmal

Die Möbelbranche darbt schon länger: Von Rekordergebnissen wie 2008, als für 3,17 Milliarden Franken Möbel verkauft wurden – 2014 lag das Ergebnis noch bei 2,77 Milliarden –, kann sie heute nur träumen. Trotzdem betrachtet der Geschäftsleiter von Möbelschweiz die Entwicklung nicht ohne Kritik an den Möbelproduzenten, die teilweise nach der Marktöffnung nur träge auf die neuen Herausforderungen und den härteren Wettbewerb reagiert hätten. «Vielleicht ging es vielen zu lange einfach zu gut», sagt Kurt Frischknecht, «es braucht wieder mehr unternehmerisches Denken.» Innovation, Qualität, Funktionalität, Design – der Verband Möbelschweiz wünscht sich, dass sich die Schweizer Produzenten und Händler auf ihre traditionellen Stärken besinnen und sich ein klares Profil geben. «Vielen fehlt ein Alleinstellungsmerkmal», sagt Frischknecht. Möbel, die durch billigere ausländische Produkte austauschbar seien, animierten die Schweizer Kundschaft nicht zum Kauf.

«création swiss» soll helfen

Um die Branche bei diesem Unternehmen zu unterstützen, hat der Verband letzten November das Label «création suisse» lanciert. «Ziel ist, dass sich Händler und Produzenten mit der ‹Marke Schweiz› positionieren können», erklärt Frischknecht. Verwenden dürfen es Hersteller, die ihre Möbel in der Schweiz herstellen, gestalten, entwickeln oder aus heimischen Materialien produzieren. Ebenfalls mit dem Label auszeichnen dürfen sich Händler, die einen Drittel ihres Umsatzes mit Schweizer Möbeln erwirtschaften und mindestens 30 Prozent ihrer Ausstellungsfläche für helvetische Produkte reservieren. Eine klare Linie als Erfolgsfaktor – daran glaubt auch Hannes Vifian.

Man müsse sich für das eine und gegen das andere entscheiden. «Wenn jemand Möbel im Discountbereich und gleichzeitig im Hochpreissegment anbietet, ist der Kunde verwirrt und der Händler nicht glaubwürdig.» Hingegen ist er überzeugt, dass, wer es schafft, sich ein klares Profil zu erarbeiten und eine Nische zu finden, auch in Zukunft einen Platz im Markt finden wird. «Aber wenn alle versuchen, möglichst billig zu sein, funktioniert es nicht», ist Hannes Vifian überzeugt.

Fehlende Einrichtungsbegeisterung

Produkte mit gutem Design zu einem erschwinglichen Preis anzubieten, ist das Ziel des Marktführers Ikea. «Wir sind der Meinung, dass jeder das Recht hat, sich zu Hause schön und funktional einzurichten», sagt Sprecher Aurel Hosennen. Auf ein kaufkräftigeres Publikum im mittleren und höheren Preissegment zählt in der Regel der Fachhandel.

Beide aber betrifft, dass Schweizerinnen und Schweizer für Haushalt und Wohnen weniger Geld ausgeben. Gemäss GfK sind es minus 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Vermehrt wird in Freizeit, Ferien und die Unterhaltungselektronik investiert. «Die Aufgabe der gesamten Branche muss sein, die Menschen wieder für die Heimeinrichtung zu begeistern», sagt Ikea-Sprecher Hosennen. «Die Möbelbranche ist schnelllebiger geworden. Sie unterliegt viel stärker Trends und Stimmungen als früher.»

Die neue Art, Läden zu nutzen

Als Chance und neue Herausforderung bietet sich der Onlinehandel. Möbelschweiz geht davon aus, dass seine Umsatzanteile im Moment noch unter 10 Prozent liegen – aber er wächst. Bei Ikea Schweiz, die trotz Umsatzrückgang im vergangenen Jahr im Onlinebereich ein Wachstum im zweistelligen Bereich verzeichnete, wird beobachtet, dass Kunden sich vermehrt in den Läden inspirieren lassen und ihre Bestellungen noch vor Ort mit dem Handy abwickeln. «Die Art und Weise wie die Leute den Laden nutzen, ändert sich», sagt Hosennen.

Onlinehandel als Ergänzung?

Auch Pfister setzt auf den Ausbau seines Online-Kanals. «Eine grosse Herausforderung und Chance im Schweizer Einrichtungsmarkt liegt in der hohen Nutzung des Internets als Kauf- und Informationsplattform», sagt Alfredo Schilirò. Das Aargauer Möbelhaus will seine Marktposition langfristig stationär und online ausbauen.

Für Hannes Vifian, Marco Föhn und seine Unternehmerkollegen wird sich die Frage der Digitalisierung früher oder später ebenfalls stellen. Dann wird sich die Branche wohl einer weiteren grossen Diskussion stellen müssen – mit der zentralen Frage, wie die Zusammenarbeit zwischen Produzenten und Händlern künftig aussehen könnte.

www.vifian.chwww.moebelschweiz.chwww.mab-moebel.chwww.ikea.comwww.pfister.ch

sas

Veröffentlichung: 10. März 2016 / Ausgabe 10/2016

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