Der Irrtum mit der Preisspanne

Designermöbel sind im Ausland oft günstiger, aber niemals um so viel, wie die Schweizer Kundschaft glaubt. Bild: Fredericia Furniture

Einkaufstourismus.  Der Schweizer Möbelhandel leidet nach wie vor unter dem beträchtlichen Einkaufsvolumen, das im nahen Ausland verloren geht. Eine neue Studie der Universität St. Gallen zeigt auf, wie sich die Möbelbranche gegen diesen Trend erfolgreich wehren könnte.

Bei welchen Möbelhändlern im Ausland tätigen Schweizer Verbraucher vorzugsweise ihre Einkäufe? Wie schneiden die Schweizer Möbelhändler im Vergleich zu ausländischen Wettbewerbern ab? Und in welchen Bereichen besteht für Schweizer Anbieter Aufholbedarf? Diesen Fragen widmet sich die neue Studie des Forschungszentrums für Handelsmanagement der Universität St. Gallen. Insgesamt wurden über 4000 Verbraucherinnen und Verbraucher befragt. Die Studie gibt Aufschluss über die jüngsten Entwicklungen des Einkaufstourismus und zeigt dessen Auswirkungen unter anderem auf die Möbelbranche.

Trotz eines leichten Rückgangs der Zahl der Einkaufstouristen seit dem Rekordjahr 2016 kann die Studie noch keine Entwarnung geben. Im Vergleich zum letzten Erhebungszeitpunkt im Jahr 2015 sank zwar die Zahl der Einkaufstouristen, jedoch erhöhte sich die Intensität und die Regelmässigkeit der Auslandseinkäufe. Dementsprechend reisst der Einkaufstourismus nach wie vor tiefe Löcher in die Taschen des inländischen Detailhandels. Branchenübergreifend schätzt die Studie den Verlust durch stationäre und Online-Käufe auf 9,07 Milliarden Franken. Das ist beinahe 10 Prozent mehr als noch im Jahr 2015.

Doch es gibt auch eine positive Nachricht: Im Schweizer Möbelhandel fiel der Verlust durch den Einkaufstourismus 2017 geringer aus als 2015. Absolut betrachtet, waren die Möbelhändler jedoch die zweitgrössten Verlierer nach den Lebensmittelhändlern. Am liebsten kauften Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten bei XXX Lutz ein (8,6 % aller Nennungen), dicht gefolgt von Ikea (8,2 %; siehe Grafik auf Seite 69).

Verlockende Vielfalt an Anbietern

Die Schweizer Möbeltouristen kauften im Vergleich zu Kunden anderer Branchen bei vielen unterschiedlichen Anbietern ein. Diese tiefe Marktkonzentration könnte von der grossen Angebotsvielfalt deutscher Möbelhändler herrühren. Um der Herausforderung Einkaufstourismus zu begegnen, müssen hiesige Händler ein Verständnis dafür aufbauen, welche Motive Kunden zum Einkauf im Ausland bewegen.

Spareffekt wird krass überbewertet

Wie auch in den anderen Branchen blieb der niedrigere Preis im Ausland das Hauptmotiv für den Möbel-Einkaufstourismus. Sowohl beim Preis von Möbeln selbst als auch von zusätzlichen Dienstleistungen (Lieferung, Montage) schnitten deutsche Händler sehr gut ab. Für Möbel und Einrichtungsartikel gaben die Schweizer Verbraucher im Ausland mit 600 Franken pro Einkauf im Durchschnitt mehr aus als in anderen Branchen und etwas weniger als 2015.

Neben dem tatsächlichen Preis begünstigte der wahrgenommene Preis die ausländischen Händler. Denn Schweizer Kunden überschätzten das Sparpotenzial durch Einkäufe von Möbeln im Ausland. Ein Beispiel: Verbraucher schätzten den Preis für den Eames-Vitra-Stuhl auf 228.30 Franken in der Schweiz und auf 143.72 Franken in Deutschland, was einem wahrgenommenen Unterschied von 59 Prozent entspricht. In Wirklichkeit lag die Preisdifferenz aber lediglich bei 18 Prozent. Dieser Umstand deutet auf Potenzial in Bezug auf das Preisimage der Schweizer Möbelhändler hin.

Erstaunlich ist, dass sich der Einkaufstourismus auch in mittleren und hohen Einkommensklassen grosser Beliebtheit erfreut. Er ist also entgegen der weitverbreiteten Meinung über alle Einkommensklassen stark ausgeprägt. Dadurch sind selbst Möbelanbieter aus dem gehobenen Preissegment nicht vor den negativen Konsequenzen des Einkaufstourismus gefeit.

Ausländische Händler gestalten die Einfuhr in die Schweiz zunehmend einfach und bequem. Einkaufstouristen beschränken sich deshalb längst nicht mehr auf Einrichtungsgegenstände und Dekorationsartikel. Mittlerweile können Schweizer Kunden auch sperrige Möbel bequem über die Landesgrenze hinweg im Online-Shop oder vor Ort bestellen und diese in die Schweiz liefern lassen. Einige Händler im Ausland gehen zum Beispiel Kooperationen mit Dienstleistungsunternehmen ein, die den Versand und die Verzollung übernehmen. Durch die Zusammenarbeit mit dem Internetportal MeinEinkauf.ch kann zum Beispiel der Discounter XXX Lutz Schweizer Kunden denselben Endpreis (in Euro) anbieten wie Kunden in Deutschland.

Wie schon zum letzten Erhebungszeitpunkt im Jahr 2015 lagen auch 2017 deutsche Händler durch das grosse Produktangebot an herkömmlichen Möbeln (Betten, Schränke, Esstische), an einzigartigen Möbeln (antike Möbel, Sonderanfertigungen) und an zusätzlichen Dienstleistungen weit vor ihren Schweizer Mitbewerbern.

Rezepte für den Schweizer Möbelhandel

Die Frage stellt sich, was Schweizer Möbelhändler tun können, um der Konkurrenz im Ausland die Stirn zu bieten. Zum einen gilt es, das Preisimage der Schweizer Händler zu verbessern. Schweizer Kunden nehmen die Preisersparnis durch Auslandseinkäufe weit höher wahr, als dies in Wirklichkeit der Fall ist. Geschickte Preiskommunikation könnte den Kunden verdeutlichen, dass es sich weit weniger lohnt als angenommen, im Ausland einzukaufen.

Zusätzlich könnte der höhere Komfort beim Einkauf im Inland mehr ins Bewusstsein des Verbrauchers gerückt werden. Ausländische Händler locken Schweizer Kunden mit kanalübergreifenden Angeboten, bei denen beispielsweise Produkte in der Filiale bestellt und nach Hause geliefert werden. Je weiter Verbraucher von der Grenze entfernt wohnen, desto attraktiver werden Angebote von lokalen Händlern. Gelingt es Schweizer Möbelhändlern, kanalübergreifende Angebote auszubauen und dies geschickt zu kommunizieren, so haben sie einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber ausländischen Konkurrenten.

Aus Verbrauchersicht sind Schweizer Händler ihren deutschen Konkurrenten vor allem in puncto Nachhaltigkeit der Produkte und fairer Produktionsbedingungen voraus. Hier konnten sie sich im Vergleich zu 2015 klar verbessern. Es gilt, diese Erfolgsfaktoren durch eine geschickte Mehrwertkommunikation am POS (Point of Sale; Ort, an dem der Kauf vollzogen wird) hervorzuheben.

Das Bewusstsein betreffend negative Konsequenzen des Einkaufstourismus für die Schweizer Wirtschaft nimmt zu. Inzwischen denkt fast ein Viertel der befragten Konsumenten, dass es aus moralischer Sicht nicht richtig ist, Produkte im Ausland zu kaufen. Das entspricht einem Zuwachs von fast 4 % im Vergleich zum letzten Erhebungszeitpunkt. 17,2 % der Befragten fühlen sich sogar schuldig, das ist gleichbedeutend mit einem Plus von fast 5 %. Diese Entwicklung kann auch auf Kampagnen zurückgeführt werden. Für die Zukunft deutet dies auf einen leichten Rückgang hin, wovon Schweizer Händler profitieren.

Nachhaltigkeit ist ein Erfolgsfaktor

Die Herausforderung Einkaufstourismus hat weiterhin grosse Bedeutung für Schweizer Möbelhändler. Die Nachhaltigkeit der Produkte und faire Produktionsbedingungen sind Erfolgsfaktoren, die es gilt, durch geschickte Mehrwertkommunikation im Bewusstsein der Kunden zu verankern. Zudem ist das Preisimage eine wichtige Stellschraube, um den Kunden zurück in die Schweizer Möbelläden zu locken.

Die Autoren

Beide Autoren dieses Artikels sind an der Universität St. Gallen in der Forschung tätig. Thomas Rudolph (TR) ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing sowie Direktor des Forschungszentrums für Handelsmanagement (Bild oben). Kathrin Neumüller (KN) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Forschungszentrum für Handelsmanagement.

www.unisg.ch

tr/kn

Veröffentlichung: 08. März 2018 / Ausgabe 10/2018

Artikel zum Thema

25. April 2024

Simple, praktische Designexponate

Möbel.  Als weltweit grösste Designmesse lockt der Salone del Mobile jedes Jahr unzählige Besucher nach Mailand. So auch heuer wieder, wo sich Interessierte aus allen Herren Länder von den neusten Trends, Farben, Formen und Materialien inspirieren liessen.

mehr
24. April 2024

Horgenglarus zügelt in ehemalige Wolltuchfabrik

Möbel. Die AG Möbelfabrik Horgenglarus verlagert ihre Produktion bis April 2027 komplett in die frühere Wolltuchfabrik Hefti in Hätzingen GL. Der neue Sitz der 144-jährige Traditionsfirma liegt ebenfalls im Kanton Glarus, nur wenige Kilometer südlich des jetzigen Standorts.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Möbel