Der Kumpel aus dem Norden

Der Gast Jonas Washof (l.) und Eliott Vaucher bei der Arbeit in der Holzimpuls AG in Thun. Bild: Nicole D'Orazio

Austauschprogramm. Für drei Wochen weilte Eliott Vaucher im deutschen Stade und war Gast von Jonas Washof. Dort ging er dem Arbeitsalltag nach und besuchte die Berufsschule. Im Gegenzug ist der Deutsche nach Thun gekommen. Beide fanden es super.

Für eine Weile hatten die Schreinerlernenden sozusagen einen Doppelgänger: Eliott Vaucher aus Thun und Jonas Washof aus dem deutschen Stade, einer Stadt mit rund 45 000 Einwohnern in der Nähe von Hamburg, haben sich im Herbst auf einen Austausch eingelassen. Beide wohnten je drei Wochen beim anderen, besuchten gemeinsam die Berufsschule und gingen in den jeweiligen Lehrbetrieb arbeiten.

Möglich war der Auslandsaufenthalt für Schreinerlernende des Bildungszentrums Interlaken und der Jobelmann-Schule Stade im Rahmen eines Erasmus-Austauschprogramms zwischen den Schulen, dem VSSM Berner Oberland und der Tischler-Innung Stade. Finanziert wurde das Projekt von der Schweizer Agentur für Mobilität Movetia. Der Austausch hat bereits zum dritten Mal stattgefunden. Im letzten Herbst haben drei Schweizer und vier deutsche Auszubildende teilgenommen. «Für mich eine super Sache, die sich gelohnt hat», findet der 22-jährige Norddeutsche. Sein Schweizer Pendant aus Thun pflichtet ihm bei. «Es sind aber keine Ferien. Man ist voll im Arbeitsalltag integriert. Da darf man sich keine Illusionen machen. Und den verpassten Schulstoff musste ich auch nachholen.» Für schwächere Schüler sei so ein Austausch deswegen eher schwierig.

Grosses Vertrauen in die Lernenden

Die Zeit in Stade hat Eliott Vaucher gut gefallen. «Die Arbeit war anders, als ich es gewohnt bin.» In Norddeutschland habe er sehr viel mit Spanplatten und kaum mit Massivholz gearbeitet. Der Junior- wie der Seniorchef seien sehr entgegenkommend gewesen, und die beiden hätten den Lehrlingen viel Vertrauen geschenkt. «Wir waren oft auf der Baustelle. Mir wurde viel zugetraut, und so konnte ich selbstständig arbeiten. Das fand ich sehr angenehm.» Die beiden durften zum Beispiel eine Türaufdoppelung austauschen. Speziell war für ihn die Zusammenarbeit mit einem Taubstummen. «Die Kommunikation hat bestens geklappt. Es gab keine Missverständnisse, und ich habe immer verstanden, was er mir sagen wollte.» Mit Worten sei man viel weniger präzise als mit Zeigen.

Der Tischlerbetrieb, wie die Schreinerei in Norddeutschland genannt wird, liegt bei einem grossen Industriepark. «Dort arbeiten 1500 Leute», beschreibt Jonas Washof. «Deswegen wird verstärkt auf die Sicherheit geachtet, und man muss sich immer ausweisen können.» Sein Betrieb sei vor allem im Brandschutz und Möbelbau tätig. «Ich bin selber neu», sagt er. Er befindet sich im zweiten von drei Lehrjahren. «In Deutschland gehen wir zuerst ein Jahr zur Schule und kommen erst später in ein Unternehmen.» Die Auszubildenden haben nicht nur Theorie, sondern zu 50 Prozent praktischen Unterricht und Maschinenkurse.

Eine Currywurst zur Begrüssung

Bei den Norddeutschen hat sich der Berner Oberländer wohlgefühlt. «Die Gastfamilie war sehr freundlich. Als Willkommensessen gab es Currywurst. Das war gut.» Die beiden jungen Männer sind in den drei Wochen natürlich auch durch die Metropole Hamburg gezogen. «Wir haben zum Beispiel einen Escape Room besucht. Das war spannend», sagt Vaucher. «Toll fand ich auch den Ausflug an die Nordsee. Das Wattenmeer hat mich beeindruckt.»

Gleich erging es Washof später in der Schweiz. «Ich musste ständig die Berge anschauen. Das ist total ungewohnt für mich, weil bei uns alles flach ist», sagt er und lacht. In Thun gefiel es ihm sehr gut. «Die Schweiz und Deutschland sind sich ähnlicher, als man vielleicht denkt. Abgesehen von der Sprache», findet er. «Es gibt aber schon einige Unterschiede, die mir aufgefallen sind.» Zum Beispiel, dass man sich hier grüsse, egal ob man die Person, der man begegne, kenne oder nicht. «Und das Wasser der Aare ist sehr klar, die Elbe hingegen ist schlammig und dreckig.»

Er mochte es, dass er in der Schweiz mit Massivholz arbeiten konnte. «Die Arbeitszeiten sind unterschiedlich. Bei uns sind die Znüni- und die Mittagspause viel kürzer. Da bleibt am Abend mehr Freizeit. Das finde ich besser.» Den Unterricht empfindet Washof ähnlich. In Deutschland seien die Klassen grösser und die Lektionen weniger strukturiert. «Den deutschen Lernenden wird didaktisch mehr vorgekaut. In der Schweiz müssen sie mehr selbst erschliessen.»

Dialekt ist schon schwierig

Mit dem Berner Dialekt hat der 22-Jährige etwas Mühe bekundet. «Der Dialekt ist schon schwierig. Meistens habe ich den Zusammenhang aber irgendwie kapiert. Den Österreicher im Betrieb habe ich hingegen gut verstanden», sagt er und lacht. Während des Aufenthalts in Thun wohnte er in der WG von Eliott Vaucher. «Wir haben viel unternommen. Es war eine tolle Zeit», schwärmt Jonas Washof.

Die beiden haben sich gut verstanden, wohl auch weil sie schon über 20 Jahre alt sind und über einen ähnlichen Hintergrund verfügen. «Wir haben beide das Gymnasium besucht, ein Studium begonnen und wieder abgebrochen und dann die Lehre begonnen», sagt der Berner Oberländer. «Ich wollte selbstständig sein und endlich etwas machen», begründet Vaucher.

Lehrer als Perspektive

Beide können sich vorstellen, nach dem Abschluss in der Holzbranche zu bleiben und eine entsprechende Weiterbildung zu machen. «Mein Plan B wäre allerdings Grundschullehrer», sagt der Deutsche. Dem Schweizer schwebt Ähnliches vor: Teilzeit als Berufsschullehrer zu arbeiten und nebenbei eine kleine, unabhängige Werkstatt zu betreiben. Bezahlen mussten die Lernenden für den Austausch nichts. Die Betriebe zahlten ihnen normal den Lohn. Kost und Logis übernahmen die Gastfamilien, und es gab sogar noch Taschengeld der Organisation Movetia, welche das Programm finanziert. «Ich kann so einen Austausch weiterempfehlen», sagt Vaucher. «Man muss aber schon etwas reif und offen sein.»

www.bzi.ch

www.movetia.ch



Nachgefragt

Wenn Lernende die Komfortzone verlassen

Ernst Meier ist Rektor des Berufsbildungszentrums Interlaken (BZI). Das Austauschprogramm für die Jugendlichen hält er für einen wichtigen Mehrwert.

Standby: Herr Meier, schon dreimal durften Schreinerlernende des BZI zum Austausch nach Stade. Wie ist es dazu gekommen?
Ernst meier: Ein deutscher Tischler hat bei uns angefragt, ob mit uns ein Austausch möglich sei. Als der Bund durch die Stiftung Movetia Gelder für solche Projekte sprach und auch der Schreinermeisterverband Berner Oberland von der Idee überzeugt war, gleisten wir das Pilotprojekt innert einem halben Jahr auf. Mit Erfolg.

Müssen die Lernenden dafür bezahlen?
Nein. Die Lehrbetriebe zahlen auch während des Auslandaufenthalts Lohn und Versicherung. Die Gastfamilien übernehmen Kost und Logis. Und die Stiftung Movetia finanziert die Reise und die Ausflüge.

Findet der Austausch auch nächstest Jahr statt?
Ja, ich gehe davon aus. Sollte es diesmal mit dem Zuschuss von Movetia nicht klappen, versuchen wir es direkt über Gastfamilien. Mir ist das Programm wichtig. Es tut den Lernenden gut, wenn sie mal ins Ausland gehen können und so ihre Komfortzone verlassen. So sehen sie, wie gut wir es hier haben. Und so eine Erfahrung ist ein Mehrwert.

ndo

Veröffentlichung: 09. Januar 2020 / Ausgabe 1-2/2020

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