Der Norden frischt auf

Das Regal «Bond» ist raffiniert und folgt mit den als Verschraubung dienenden Rundstäben den skandinavischen Klassikern. Bild: By-main

Möbel- und Lichtmesse Stockholm.  Die «Stockholm Furniture & Light Fair» hat sich zum wiederholten Mal auf sehr hohem Niveau präsentiert. Rund 40 000 Besucherinnen und Besucher aus 60 Ländern bestaunten die Eigenständigkeit des skandinavischen Designs.

Am Anfang einer Produktentwicklung steht manchmal das eigene Bedürfnis. So auch beim Regalsystem «Bond», das Martin Berling umgesetzt hat. «Dass daraus gleich das schwedische Designlabel ‹By Main› und ein Auftritt an der Möbelmesse in Stockholm werden sollte, war zunächst gar nicht so gedacht», sagt Lebensgefährtin Elin Rahnberg. «Wir hatten einfach nach einem schlanken Regal gesucht, das sich in der Form der verfügbaren Wandfläche anpassen lässt, leicht zu montieren und demontieren ist und dazu nicht zwingend auf dem Boden stehen muss, sondern auch an der Decke hängend installiert werden kann», sagt Rahnberg.

Doch das Paar wurde nicht fündig, und so entstand ein neues Produkt. Das Besondere am Regal «Bond» ist neben der Möglichkeit einer hängenden Montage vor allem die Einfachheit des Konstruktionsprinzips. Rundstäbe in zwei verschiedenen Längen (250 und 350 mm) verbinden die Regal- bretter mittels metrischer Gewindeschrauben und Hülsen miteinander. Die End- stücke bilden dabei einfach kurze Stücke der kreisrunden Stäbe mit einer Gewindehülse. Gleichzeitig ist dieses Verbindungsprinzip Voraussetzung, damit das Regal an der Decke befestigt werden kann.

In Längsrichtung überplatten die stets 600 mm langen Tablare und sind mit einem Abschlussstück von 60 mm Länge versehen. An der wechselseitigen Überplattung werden die Rundstäbe verschraubt. Zusammen mit der geringen Tiefe von 200 mm bildet das Ganze ein recht ausgesteiftes und stabiles Regal. Mit dem Produkt in Esche, Walnuss und Eiche wollen die beiden Neudesigner durchstarten. Und Berling ist sich sicher: «‹Bond› wird in seiner Form immer spannender und interessanter, je mehr es herausgefordert wird.»

Vor allem die «Neuen» waren attraktiv

Das skandinavische Möbeldesign gilt als eigenständig und beständig. Grosse Namen der Designszene aus den 1950er- sowie den 1960er-Jahren wirken bis heute deutlich in das Schaffen der Möbelhersteller nach. So gab es an der Möbelmesse Stockholm, vor allem bei den grossen Herstellern, auch viele «Relaunches» von Klassikern zu sehen. Gestell- und Sitzmöbel werden derzeit aufgefrischt, indem Polstervarianten oder neue Bezugsmaterialien bei Entwürfen aus vergangener Zeit umgesetzt werden. Mit diesem Phänomen sind die skandinavischen Länder weltweit durchaus in bester Gesellschaft.

An der Veranstaltung in der schwedischen Hauptstadt waren vor allem die davon nicht beeinflussten neuen Entwürfe für Messegänger interessant. Es ergab sich ein spannendes Mit- und Nebeneinander von Alt und Neu.

Klar bildeten die schwedischen Möbelhersteller in Stockholm die zahlenmässig stärkste Ausstellergruppe. Aber auch dänische Produzenten waren zahlreich vertreten, deutlich weniger kamen aus Finnland und Norwegen. Auffällig auch: Neben den Ausstellern aus den baltischen Republiken waren zahlreiche polnische Gäste vor Ort, während Italien eine ungewohnt bescheidene Rolle spielte. Möbel aus Schweizer Produktionen waren nicht zu finden. Weiter auffällig: Traditionell sind Gestellmöbel in Skandinavien wichtig. Schön zu sehen, dass diese nicht nur in Eiche sein müssen, sondern auch oft in Esche, Birke oder gar Kirschbaum gezeigt wurden.

Einfacher geht es kaum

So schlicht wie möglich, aber funktional und formschön sollte die Leuchtschiene über dem Bett sein, dachte sich Designer Erik Buene aus Norwegen, wo es ja bekanntlich zeitweise im Jahr ziemlich dunkel bleibt. In Form eines Kantholzes hat Buene eine dreiteilige Leuchte umgesetzt. Das Besondere daran sind die beiden drehbaren und so als Leselampe nutzbaren Endstücke, während der mittlere Teil der Lampe feststehend auch als Befestigungsteil an der Wand dient. In Eiche oder Esche und in mehreren Längen erhältlich, kann sie auch auf Mass gefertigt werden. Dazu können die Elemente unterschiedlich mit Licht bestückt werden, je nach Lichtbedarf jener, die gerne im Bett verweilen. Wie die Stromübertragung mit dem Drehbeschlag auf die beweglichen Endstücke gelöst wurde, bleibt dabei im Dunkeln.

Hochwertig und traditionell zeitlos

Das Spiel mit dem Verstecken und Zeigen stand Pate beim Modell «Audacious» vom dänischen Hersteller Vita Copenhagen. In nierenförmiger Grundgestalt erlauben die sanft gleitenden Rolltüren die stückweise Offenlegung des Innenlebens, wodurch das Aufbewahrungsmöbel kurzerhand zur Vitrine wird. Der Schiebeladen ist mit Textil belegt, was zu einer weichen Haptik führt und auch als typisch skandinavisch gelten darf. Denn Textilien und Tierfelle werden oft im Wohnambiente für ein Mehr an Gemütlichkeit eingesetzt und waren an der Messe entsprechend prominent vertreten – auch bei spezialisierten Anbietern.

Korpusmöbel für den Wohnraum entwickeln sich derzeit zu einem selten anzutreffenden Objekt, auch an Möbelmessen. Dies, obwohl sie doch von allen gebraucht werden. Ein Zusatznutzen, wie beim Vitrinen-Entwurf von Vita Copenhagen, scheint derzeit hilfreich zu sein.

Weitere Beispiele für neue Möbel von Vita Copenhagen sind die beiden Sessel «Conversation Piece» und «Reader» (siehe Bilder auf der nächsten Seite). Dabei verbindet sich solide Gestellware in Eiche massiv mit bequem geformter und gepolsterter Sitzschale zu zwei Sitzmöbeln, die in der Tradition des zeitlosen skandinavischen Designs stehen, aber auch eigenständig gestaltet eine wohlgeformte Alternative zu den Designklassikern darstellen.

Nordisches aus Sarajevo

Schlicht in der Form kommt auch das Design des Schreinerkollektivs Gazzda daher. Dabei arbeitet das Team zu Hause in Bosnien und Herzegowina. Innerhalb von fünf Jahren haben die umtriebigen Macher eine ganze Kollektion von Korpusmöbeln, Gestell- und Sitzmöbeln geschaffen. Bei deren Anblick waren nicht wenige Messebesucher verwundert, als sie hörten, wo sie entstanden sind und gefertigt werden: in Sarajevo. Denn ähnlich wie bei den Klassikern aus Skandinavien tragen auch die Entwürfe von Gazzda deutlich Anleihen aus vergangener Zeit in sich, insbesondere bei den Gestellmöbeln. Die Entwürfe sind daneben aber mit eigenständigen Lösungen gespickt, was das Label besonders bemerkenswert macht. «Hinter jedem unserer Möbel steckt eine Geschichte zur Entstehung und dazu, warum es genau so sein sollte. Und da wir in einem grossen Team arbeiten, gibt es entsprechend viele Geschichten zu erzählen», sagt Mustafa Čohadžić, Produktdesigner bei Gazzda. Ein Markenzeichen scheinen die deutlich gerundeten Kanten in Form von Griffleisten zu sein.

Unendliche Möglichkeiten

Die Begeisterung von Tomas Kongsvig von Shade in Dänemark ist geradezu ansteckend. Zumindest wenn er «Orb» erklärt und zeigt. Die Hängeleuchte mit gerade einmal 130 mm Durchmesser und 40 mm Dickenmass hat es in sich.

Genauer gesagt, handelt es sich um drei Lampen in einer Leuchte. Denn der obere und der untere Teil sowie der Ring dazwischen lassen sich getrennt voneinander schalten. Dazu dient entweder die «Eclipse», ein separates Steuerungsteil, das als Schalter, Fernbedienung und zum Abrufen der benutzerdefinierten Lichteinstellungen vom Smartphone dient, oder man benützt gleich die App auf dem Smartphone.

Die drei LED-Lichtquellen in «Orb» sind nicht nur einzeln schalt- und in der Lichtstärke dimmbar, sondern auch mit variabler Lichttemperatur im warmweissen und neutralweissen Bereich ausgestattet. Darüber hinaus kann jedes Teil unabhängig vom anderen auch farbiges Licht innerhalb des RGB-Farbspektrums spenden.

Nur über den Online-Shop

«Orb» ist eines der ersten Produkte des noch jungen Start-Up-Unternehmens aus Dänemark. Der Vertrieb erfolgt ausschliesslich über den Online-Shop, was den Preis im Rahmen hält und faire Bedingungen für alle schafft.

«Mit ‹Orb› wollten wir ein Licht kreieren, das in Sekundenschnelle behagliche Atmosphären schafft, die Stimmung verbessert und den Benutzer den Ton für sein Leben bestimmen lässt», sagt Kongsvig. Keine Frage: Diese Leuchte begeistert, vor allem wenn man selbst einmal mögliche Varianten durch einfaches und direktes Verändern der drei Lichtquellen ausprobiert hat.

Oft ist gerade bei Hängeleuchten der Wunsch nach einem deutlichen Akzent im Raum vorhanden. Die gestalterische Einbindung des Produktes ist daher nicht immer ganz einfach. Dies gestaltet sich mit dem kleinen, fast unauffälligen Bauteil eher schwierig. Aber wehe, man schaltet die Leuchte an. Dann sieht die Welt ganz anders aus, und aus Klein wird ganz schnell ziemlich Gross.

Die Farbe ist noch frisch

Die schwedische Möbelmarke A2 will jung und auch mutig sein. Das Wagnis, etwas andere Objekte zu realisieren, wird von den Machern gerne eingegangen. Auffallend farbenfroh sind nicht nur die vielen neuen Varianten der Fronten für das Korpusmöbel der Serie «Collect», sondern auch andere Entwürfe aus der Kollektion.

Neben den kräftigen Farbtönen und bunten Anwendungen gehören auch Hirnholzflächen oder naturbelassene Halbrundstäbe in Holz mit verschiedenen Durchmessern zu den Stilmitteln der Frontgestaltung. Oberflächlich betrachtet, wirken die Modelle manchmal wie aus dem Edel-Ikea-Sortiment. In Schweden produziert und im Detail ganz anders konstruiert, sind die Möbel jedoch deutlich hochwertiger und liegen auch preislich in einer anderen Klasse.

Und noch etwas zum Schluss: So manch anderer Aussteller in Stockholm scheint mit äusserlich gut sichtbaren Schraubverbindern gar kein Problem zu haben.

www.by-main.comwww.stockholmfurniturelightfair.sewww.buene.comwww.vitacopenhagen.comwww.gazzda.comwww.shadelights.comwww.a2designers.se

ch

Veröffentlichung: 22. Februar 2018 / Ausgabe 8/2018

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