Der Schlüssel zu Erinnerungen

Wer einen solchen Drücker in der Hand hatte, wird ihn nie wieder vergessen. Bild: Reto Steiner

Unikat.  Für aussergewöhnliche Funktionen wird so manches erfunden. Bei Zierbeschlägen kommen dann die Hemmungen, obwohl genau damit die nachhaltigste Wirkung erzielt werden kann. Nachfolgend ein Beispiel, wie es geht.

«Jedes Kind, das in diesem Schulhaus Unterricht hatte, wird sich später immer an die Türdrücker erinnern und somit auch an diese Schule», ist Reto Steiner, der Erschaffer der Drücker, überzeugt. Jeder hat so seine unvergesslichen Dinge, die an eine Zeit, eine Gegend, ein Gebäude erinnern. Dinge, die sich einprägen und automatisch an Erlebnisse erinnern, die Gefühle wecken und den einen oder andern vielleicht inspirieren, selbst etwas Besonderes auszuführen.

Wirkliche Unikate sind einzigartig

Damit sich ein Produkt oder Innenausbau von der Masse abhebt und als etwas Besonderes in Erinnerung bleibt, braucht es oft gar nicht so viel. Aber sicher hilft ein anderes Vorgehen, eines, mit dem man sich von den anderen unterscheidet. Ein Türdrücker prägt einen Raum mit seiner optischen Erscheinung und seiner Funktionsart, aber auch damit, wie er sich anfühlt. Am Beispiel der Schule Stapfenacker in Bern Bümpliz zeigt sich, dass es auch möglich ist, einen solchen Beschlag exklusiv für nur einen einzigen Bau herzustellen.

Es braucht einen Gestalter

Die Schule Stapfenacker hat auf ihrem Gelände einen ergänzenden Neubau mit zwei Etagen erhalten. Dieser weist ausser den Schulzimmern im Parterre auch Räume eines Kindergartens auf. Für die Stadt Bern als Bauherrin ist klar, dass ein öffentliches Gebäude in einem definierten Umfang auch über Kunst am Bau verfügen soll. Sie hat daher verschiedene Künstler um Vorschläge gebeten. Den Zuschlag erhielt der Bildhauer Reto Steiner aus Frutigen BE mit seinem Projekt «Klinken».

Für den Künstler war klar, dass alle Nutzer dieses Gebäudes etwas von seinem Werk haben sollen und sich die Wahrnehmung auch bei kleinen Dingen verändern soll – daher die speziellen Türdrücker. Gerade Produkte wie Möbel-, Tür- oder Fenstergriffe haben in ihrer Wirkung eine Dominanz, können aber oft einfacher in kleineren Stückzahlen hergestellt werden als manche anderen Beschläge. Sie bestehen aus einem formal gestalteten Festkörper, welcher für Möbel eine Schraubmuffe und für Türen und Fenster eine Aufnahme für den Vierkantdorn enthält. Dazu kommt noch ein passendes Schild, falls sich keine geeignete Serienversion finden lässt.

Die Verstärkung der Wirkung

Reto Steiner wollte vor allem ein haptisches Erlebnis mit unterschiedlich grossen, aneinandergereihten Kugeln vermitteln. Mit Holzmodellen, sowie Visualisierungen mittels CAD, überprüfte er verschiedene Wirkungen und fand zu drei Grundtypen. Diese unterscheiden sich in der Folge der Kugelgrössen sowie in der Biegeform.

Durch einen Trick entsteht im Schulhaus das Gefühl, dass jede Tür eine eigens geformte Garnitur erhalten hätte: Die gleichen Drücker wurden nie nahe beieinander montiert – auch nicht am gleichen Türblatt. Durch die in alle Richtungen gebogenen Formen wirken die gleichen Drücker am gleichen Schloss montiert unterschiedlich, da ihre Formen nicht gespiegelt sind. Es entsteht somit das Gefühl von sechs Grundtypen – genug zum Variieren.

Unterschiedliche Herstellungsverfahren

Bei der Suche nach einem Hersteller muss auch die Fertigungsmethode berücksichtigt werden und es lohnt sich deren Möglichkeiten zu vergleichen. Jede Firma hat ihre Produktionsmethoden, die in der Regel auf grosse Serien ausgelegt sind. Dabei gibt es immer auch Vorgehensweisen, die kleine Stückzahlen zulassen. Massgebend sind dabei immer die Modell- oder Werkzeugkosten und weniger die Nachbearbeitung. Beispielsweise gibt es sehr verschiedene Giesstechniken und die Möglichkeit, aus dem Vollen zu fräsen oder das Teil mittels Schmiedehammer in eine Form zu pressen. Alle diese Methoden führen zu einem massiven Griff ohne Hohlräume.

Eine noch sehr junge Technik ist die des Laserschmelzens, dem 3D-Metalldrucken. Das Schmelzverfahren generiert Schicht für Schicht der Bauteile mittels 3D-CAD-Daten und ohne jegliches Werkzeug oder jegliche Bauform. Da viele Maschinenstunden nötig sind, sollte das Gerät möglichst mit Teilen gefüllt sein, um preislich mitzuhalten. Dafür kann dann auch der Innenraum gestaltet werden, um Gewicht zu sparen.

Mit Messing geschmiedet

Die Drücker für das Schulhaus wurden schlussendlich bei der Hager Zierbeschläge AG in Niederurnen GL im Schmiedeverfahren hergestellt. Eine Methode, die in diesem Fall ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis bei guter Qualität bot. Dazu musste eine untere und eine obere Hälfte eines Stempels aus Stahl hergestellt werden, der die Negativform des Drückers darstellt. Eingespannt in den presseartigen Schmiedehammer wurde eine eingelegte Messingstange in diese Form gepresst. In einem zweiten Durchgang wurde das überschüssige, seitlich herausgequetschte Material abgeschert. Handarbeit ist dann das anschliessende Ziselieren der «Nahtstelle».

Die Erfüllung aller Anforderungen

Türdrücker haben eine Funktion zu erfüllen. Sie müssen das erst recht, wenn sämtliche Innentüren eines Gebäudes betroffen sind. Das beinhaltet auch die Einhaltung der Drückervorgaben für Durchgänge bezüglich Fluchtwegen und des Brandschutzes, die eine Grundform mit Massen vorgeben. Entsprechend dieser Grunddaten wurden die drei Typen digital modelliert. Alle Übergänge zwischen den Kugeln erhielten zudem einen definierten Radius, damit die PVD-Beschichtung (Physical Vapour Deposition) problemlos möglich war und das Reinigen der Griffe in diesen Übergängen einfacher wurde.

Die verwendeten Rosetten stammen aus einer Serienproduktion. Wegen des hohen Gewichts der massiven Messingdrücker kamen Federrosetten zur Anwendung, wodurch die Schlossfedern entlastet werden. Die Beschichtung erfolgte für alle Teile beim gleichen Unternehmen, um sicherzustellen, dass farblich keine Unterschiede entstehen konnten.

Wozu der Aufwand?

Klar, in Zeiten der Sparmentalität fragt man sich natürlich, ob eine solche Sonderanfertigung mit dem ganzen Aufwand überhaupt sinnvoll ist. Jeder Schreiner muss sich aber auch überlegen, warum seine Kunden überhaupt zu ihm kommen. Wenn das nur die gute Qualität mit dem günstigen Preis ist, gibt es ausserordentlich viele Mitbewerber. Wenn man auch Aussergewöhnliches angeboten bekommt, reduziert sich die Auswahl drastisch. Und es muss ja auch nicht gleich Kunst sein. Etwas Schlichtes mit der ganz persönlichen Note reicht schon, denn kleinere Stückzahlen sind nicht günstig, aber zahlbar.

www.retosteiner.netwww.zierbeschläge.ch

ab

Veröffentlichung: 27. Juni 2019 / Ausgabe 26/2019

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