In der Stille liegt die Kraft

Massgefertigte Gehörschutz-Otoplastiken der Firma Cotral Lab SA. Bild: Michi Läuchli

Gehörschutz.  Jede Arbeit kann nur mit dem dafür richtigen Werkzeug gemacht werden. Bei Lärm sorgt der Gehörschutz dafür, dass die volle Präsenz über die ganze Zeit erhalten bleibt und eine gute Zusammenarbeit überhaupt möglich ist.

Rund 400 000 verschiedene Klänge lassen sich mit unserem Gehör differenzieren. Von allen fünf Sinnen ist der Hörsinn am sensitivsten. Das Rascheln von Blättern im Wind, die sanfte Passage eines klassischen Musikstücks oder das herannahende Gewitter, unsere Ohren können aufgrund ihres Aufbaus und der Funktion kleinste Nuancen wahrnehmen. Dank der feinen Lauscher können wir zwischen zehn Oktaven unterscheiden und auf Schallwellen, also Luftdruckveränderungen im Frequenzbereich zwischen 16 bis 20 000 Hertz, reagieren. Der Hörbereich des Menschen liegt zwischen 0 und 130 Dezibel (dB), wobei 0 dB nicht wirklich vorkommen.

Sensibel, aber verletzbar

Der Hörbereich ist stark von der Frequenz abhängig, und tieftönige Frequenzen müssen etwas lauter sein, um überhaupt gehört zu werden. Das Gehör dient zur Verständigung, warnt vor Gefahr, weckt Emotionen und löst Reflexe aus. Die Leistungsfähigkeit des Hörorgans macht es allerdings auch sehr verletzlich. Plötzliche Lärmeinwirkungen wie ein Pistolenschuss oder der Knall eines Airbags können die Sinneszellen – die feinen Haarzellen des Innenohrs – schädigen. Alle Geräusche, die über 85 dB liegen, können das Gehör auf Dauer schädigen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob es sich dabei um Meeresrauschen oder den Lärm eines Rasenmähers handelt.

Bei 120 dB liegt die Schmerzgrenze. Das entspricht einem startenden Passagierflugzeug oder einem Presslufthammer. Da besteht das Risiko, dass es zu einem Hörverlust oder Hörstörungen wie einem Tinnitus oder Hörsturz kommt. Beispielsweise Formel-1-Rennwagen, moderne Kampfflugzeuge oder Explosionen sind noch lauter, und das Risiko ist somit noch höher. So viel braucht es aber nicht: Schon der Komponist Ludwig van Beethoven klagte über einen Gehörschaden und schrieb darüber in seinem Tagebuch. Bereits damals gab es wohl zu laute Musik.

Schmerzlos Richtung Behinderung

Heimtückisch ist bei der Angelegenheit mit dem guten Hören, dass Lärmschwerhörigkeit keine Schmerzwarnung kennt. Die Folgen machen sich oft spät bemerkbar und können nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Lebensqualität nimmt ab, denn Hörgeräte funktionieren nur als Schallverstärker und können nicht mehr die gleiche Feinheit der Wahrnehmung bieten, die ein Ohr von Natur aus mitbringt.

Lärm ist Teil des Handwerkeralltags

Gerade für Schreiner besteht die Gefahr von Gehörschäden, da sie ständig dem Lärm ausgesetzt sind. Sie müssen sich aber auch austauschen und brauchen zudem zum konzentrierten Arbeiten eine gewisse Ruhe.

Laut der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) sind fast 200 000 Menschen in der Schweiz an ihrem Arbeitsplatz einer Lärmbelästigung ausgesetzt, die über dem Arbeitsplatz-Grenzwert von 85 dB(A) liegt – nach der international genormten Frequenzbewertungskurve A. Genauso lange, wie man sich in diesem Lärmbereich aufhält, muss zwingend ein für diesen Arbeitsplatz geeigneter Gehörschutz getragen werden. Dieser muss vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden und sollte die allenfalls erforderliche Verständigung unter den Mitarbeitern, trotz der Lärmdämmung, zulassen.

Ergonomisch angepasster Schutz im Ohr

Seit einiger Zeit gibt es Firmen, wie die Cotral Lab SA aus Genf oder die Audio Protect AG aus Geroldswil ZH, welche Gehörschutz-Otoplastiken herstellen. Diese werden individuell für den Träger hergestellt und mit einem den Anforderungen entsprechenden Lärmfilter ausgestattet. Die kleinen Teile aus Silikon oder Acryl werden in den Gehörgang gesteckt und schliessen diesen, dank der genauen Passform, ab. Die Passform ergibt laut Hersteller einen unproblematisch guten Tragekomfort, sodass auch nach mehreren Stunden kein Jucken, Brennen oder sonstige Schmerzen auftreten. Sie können somit den ganzen Arbeitstag getragen werden, ohne dass Risikomomente entstehen, weil der Gehörschutz abgenommen wird, um sich beispielsweise kurz auszutauschen.

Weg zur Gehörschutz-Otoplastik

Um eine so hohe Passgenauigkeit zu erreichen, muss ein Ohrabdruck genommen werden. Für den Gehörschutz «Elacin», der bei der Audio Protect AG hergestellt wird, beschreibt die Firma den Produktionsprozess so: Zuerst wird ein kleines Wattebäuschchen mit einem Faden daran eingeführt, wonach behutsam eine Silikonpaste in denen jeweiligen Gehörgang gespritzt wird.

Schon nach fünf Minuten hat sich die Masse so weit verfestigt, dass sie rückstands- los herausgezogen werden kann. Beide Formen werden anschliessend mit einem 3D-Scanner eingelesen und die Daten bearbeitet.

Mit einem 3D-Drucker wird dann eine Negativform aus Fotoplast erstellt, in die dann ein Silikon gespritzt wird. Die Kunden können dabei aus verschiedenen Farben wählen. Die fertigen Rohlinge werden anschliessend noch lackiert beziehungsweise versiegelt und die Filter mit der gewünschten Dämmwirkung eingesetzt.

Der Wirkungsnachweis ist Pflicht

Im Gegensatz zu unangepassten Serienprodukten, die standardmässig im Labor geprüft werden, ist der Hersteller einer Otoplastik verpflichtet, die Wirkung individuell am Träger zu überprüfen. Diese Messung hat innerhalb von zwölf Monaten nach der Auslieferung zu erfolgen.

Sollte die Lärmbelastung den Arbeitsplatz-Grenzwert von Impulslärm überschreiten, muss diese Prüfung zwingend noch vor dem ersten Einsatz durchgeführt werden. Da jeder Mensch weiterwächst und sich somit verändert, sollte der Schutz alle drei Jahre auf seine Wirkung überprüft werden. Wenn sich die Lärmbelastung am Arbeitsplatz ändert, können die Filter später ausgetauscht werden. Gehörschutz-Otoplastiken halten bis zu sechs Jahre. Zum Vergleich: Schalengehörschütze sollten nach vier Jahren ersetzt und deren Ohrpolster alle sechs Monate auf Elastizität überprüft und allenfalls gewechselt werden.

Angabe der Schutzwirkung

Welche Lärmreduzierung ein Gehörschutz erreicht, wird im europäischen System Single Number Rating (SNR) in dB angegeben. Oft wird bei den Produkten auch der Wert Noise Reduction Rating (NRR) aus den USA angegeben. Die beiden Standards beziehen sich auf verschiedene Kalkulationen bei der Berechnung der Reduktion. Deshalb fällt der Wert des NRR immer um 2 oder 3 dB tiefer aus als der des SNR.

Eine Reduktion des NRR-Werts 25 wird beim neuen Bluetooth-Gehörschutz «GHS 25 I» von Festool angegeben. Auch diese Geräte werden in die Gehörgänge gesteckt und sollen laut Firmenangaben den Umgebungslärm auf eine sichere Hörlautstärke von 79 dB reduzieren. Damit schützen sie noch bei einem Schallpegel von rund 110 dB.

Innerhalb der sicheren Lautstärke von 79 dB kann man problemlos Umgebungsgeräusche wie beispielsweise Sprache wahrnehmen. Dank Bluetooth 5.2 mit Wireless-Technologie kann telefoniert oder Musik gehört werden.

www.suva.chwww.cotral.chwww.audioprotect.chwww.festool.ch

Andreas Brinkmann und Michi Läuchli

Veröffentlichung: 21. Dezember 2023 / Ausgabe 51-52/2023

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