Der Tanz mit der Substanz

Muss der Boden abgeschliffen werden, oder kann das Parkett sanfter ertüchtigt werden? Solche Fragen stellen sich bei der Restaurierung historischer Räume. Bild: Stefan Hilzinger

Werterhaltung.  Was muss bleiben? Was darf weg? Das sind zentrale Fragen, wenn Schreiner mit geschützter Substanz konfrontiert werden. Nicht alles, was alt ist, ist auch gut. Aber der Bestand verlangt besondere Rücksichtnahme, wie zwei gegensätzliche Beispiele zeigen.

Winterthur, die einstige Industriemetropole, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zur modernen Wohn- und Dienstleistungsstadt gewandelt. Doch das Erbe von Sulzer, Rieter, Volkart und Co. ist allgegenwärtig, unter anderem als wertvolle und bedeutende Kunstsammlungen. Teil dieses Erbes ist auch die Villa Flora. Seit April 2022 ist die frühere Wohn- und Wirkungsstätte des Sammlerehepaares Hedy und Arthur Hahnloser-Bühler eine Baustelle. 2024 soll die Villa nach umfassenden Umbauarbeiten wieder eröffnet werden. Zwischen 8,5 und 10 Millionen Franken investiert die Stadt Winterthur als Eigentümerin in die historische Villa und in einen Erweiterungsbau, den das Architekturbüro Jessen-Vollenweider entworfen hat. Ab Mai kommenden Jahres sollen die derzeit ausgeliehenen Gemälde wieder dort zu bewundern sein.

Doch derzeit ist von van Gogh, Hodler oder Renoir an der Tösstalstrasse keine Spur. Wenn etwas an der Wand hängt, dann sind dies Baupläne. In den herrschaftlichen Räumen im Zentralbereich der Villa aus der Mitte des 19. Jahrhunderts verschaffen sich Irene Boser und Pia Rasch einen Überblick über die Situation. Sie gehören zum Team der Böckli Antiquitäten & Restaurationen GmbH aus Seegräben ZH.

So viel wie nötig, so wenig wie möglich

«Wir renovieren nicht, wir restaurieren», macht Boser klar. Sie und Rasch haben sowohl eine Lehre als Schreinerin absolviert als auch einen Abschluss als Restauratorin bzw. Konservatorin. Weil das Jugendstil- Interieur aus dem Jahr 1908 gut erhalten ist, muss die Substanz nicht stark angetastet werden. Daher ist das wesentliche Ziel der Restauratorinnen, die Oberflächen aufzufrischen. Wie sie später aussehen dürften, zeigt eine Probe an der Schmalseite eines Vitrinenschrankes. Von der Vorgabe, den ursprünglichen Nitro-Lack komplett zu entfernen, sei man wieder abgekommen. «Wir wollen natürlich die Spuren der Zeit wie Schmutz und störende Schadstellen entfernen, nicht aber die allgemeine Patina zum Verschwinden bringen», sagt Boser und zeigt auf eine Stelle an einem Möbel, wo einmal ein Klebstreifen angebracht war. Den beiden steht da offensichtlich viel Handarbeit bevor.

«Obwohl es oft einfacher wäre, alles neu zu machen, ist unsere Maxime, grundsätzlich so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig in die Substanz einzugreifen», betonen die beiden. «Es ist natürlich immer ein Abwägen, besonders wenn es darum geht, gewisse Dinge neuen Bedürfnissen anzupassen», sagt Boser. Das ist beispielsweise bei der Heizung/Lüftung der Fall, wofür an einer Stelle die hölzerne Schiebetür im umlaufenden Sideboard geopfert wird. «Die Tür können wir aber sicher anderweitig im Raum gut verwenden», sagt Rasch. Alle Arbeiten geschehen in enger Absprache mit der Bauherrschaft und unter denkmalpflegerischen Vorgaben. «Uns ist Verständnis und Wertschätzung gegenüber alter Substanz sehr wichtig», sagen Boser und Rasch.

Ein pechschwarzer Anfang

Szenenwechsel: Oberhalb von Burgistein-Station im idyllischen Gürbetal zwischen Bern und Thun steht ein stattliches Bauernhaus, wie es viele gibt in dieser Gegend. Der Kern stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Daran finden sich An- und Umbauten, die bis ins 20. Jahrhundert zurückreichen, als der Ökonomieteil 1986 letztmals erneuert wurde. Als Sacha Castella (Bild) die verschachtelte Liegenschaft vor gut zehn Jahren das erste Mal betrat, fand er im ersten Stock des Wohnhauses noch eine Rauchküche vor, eine urtümliche Kochstelle mit offenem Feuer, wo der Rauch offen nach oben abzieht und wo die Bauern einst Würste und Speck zum Räuchern aufhängten.

«An den Wänden hatte es eine dicke Schicht aus Pech, und es roch penetrant nach Teer», sagt Castella. Doch der gelernte Möbelschreiner erkannte das Potenzial der Liegenschaft und konnte sie letztlich erwerben. Heute gibt es darin fünf Wohnungen, wovon er eine selbst nutzt und die anderen vier vermietet sind. Der Weg dorthin war ein harziger, wie er einräumt. «Ich bin jetzt zwar glücklich, dass alle Punkte geklärt sind. Es gab halt schon diverse Auseinandersetzungen mit den Behörden.»

Beim Rundgang weist er auf eine aussen an einem Fenster angebrachte Jalousie hin. Diese soll die grosse Glasfläche kaschieren. «Hier musste ich wenige Zentimeter Holz an die Leisten ansetzen, weil das Gitter nicht ganz bis zur Glasscheibe reichte.» Das sagt er zwar nüchtern, dennoch schwingt Unverständnis mit.

Ansichten gehen auseinander

Nicht zufrieden waren die Behörden mit der Art und Weise, wie die Balustrade der Laubengänge heute aussieht. «Ich habe das Holz mit Glasperlen bei niedrigem Druck abgestrahlt und so wieder zum Vorschein gebracht. Nach Ansicht der Denkmalpflege hätte ich die alten Lacke und pechverklebten Sparren belassen sollen, weil diese ein Teil der Baugeschichte sind.» So seien halt die Ansichten in manchen Punkten auseinandergegangen. «Das Gebäude hat Geschichte und Charme, das wollte ich natürlich nach Möglichkeit erhalten und zeigen», sagt Castella und zeigt auf eine der vielen erhaltenen Fleckwände in traditioneller Blockbauweise. Da sich in der Liegenschaft Bauteile unterschiedlichen Alters überschneiden, habe er oft an Ort und Stelle entschieden, wie ein Detail gelöst wird. Man könne schlicht nicht alles auf dem Plan entwerfen. «Es wurde im Gebäude halt viel verändert im Laufe der Zeit.»

Scheune nicht wie gewollt umgebaut

Enttäuscht hat ihn dann doch die Erfahrung, dass er die 1986 neu erstellte Scheune nicht so umnutzen konnte, wie er ursprünglich wollte. Zuletzt musste er dort gar einen bereits erstellten Zwischenboden samt Zugangstreppe rückbauen. Eine weitere bestehende Ebene in der Scheune darf er zwar nutzen, zu einem Raum abtrennen und beheizen darf er sie jedoch nicht. Auch die Frage der Belichtung des Gebäudeinnern waren stets ein Thema. «Ich habe für jeden Quadratzentimeter Fensterfläche kämpfen müssen», sagt Castella.

Er räumt ein, dass er mit seiner pragmatischen Art da und dort angeeckt sei und auch Fehler gemacht habe; daher rät er anderen Bauherren, die sich an ein solches Projekt wagen, jemanden beizuziehen, der sich mit den zuständigen Behörden und Amtsstellen gut auskennt.

Erfahrung hat ihn weitergebracht

Nach zehn Jahren ist das Umbauvorhaben mit all seinen Irrungen und Wirrungen nun abgeschlossen. Die Erfahrungen haben Castella weitergebracht. «Ich bezeichne mich heute als Ein-Mann-Generalunternehmer», sagt er mit Schalk. Alte Liegenschaften zu erwerben und umzubauen, hat sich für ihn in der Zwischenzeit zu einem Geschäftsmodell entwickelt. Besondere Erinnerungsstücke an das Burgistein-Projekt finden sich nun in der Küche seiner Wohnung. Die vom Pech befreiten Bretter aus der Rauchküche hat er zu Türchen aus Altholz umfunktioniert. «Ich meine allerdings, dass es dort, wo einst die Rauchküche war, immer noch leicht nach Teer riecht.»

www.boeckli-antiquitaeten.chwww.villaflora.ch

Stefan Hilzinger

Veröffentlichung: 22. Juni 2023 / Ausgabe 25/2023

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