Die brüchige Sicherheit mit Glas

Die Folie einer VSG-Scheibe weist eine Oberflächenstruktur auf, damit die Luft besser herausgepresst werden kann. Bild: SZ, Andreas Brinkmann

Sicherheitsglas.  Auf der einen Seite ist dieses hochkompakte Material äusserst stabil, und doch hat es den Nachteil, brechen zu können. Glas kann aber auch in Extremfällen schützen, wenn die richtigen Techniken zur Anwendung kommen.

Wer in einem Auto unterwegs ist, verlässt sich darauf, dass ihn die Hülle, die ihn umgibt, auch schützt. Das betrifft natürlich auch alle Glasfenster. Da der Fahrerplatz hinter der Frontscheibe etwas exponiert liegt, darf diese Scheibe nicht in kleine Stücke zerspringen, da das sofort die Sicht nehmen würde. Sie sollte aber auch nicht auseinanderfallen, da sie die Personen dahinter verletzen würde.

Einstürzende Krümel

In Gebäuden gibt es ähnliche Sicherheitsansprüche: Glasscheiben, die etwa in einem Durchgang exponiert sind und bei einem Bruch Personen verletzen könnten, müssen aus Sicherheitsglas bestehen. Je nachdem, welche Anforderungen genau gestellt werden, kommt ein ESG, VSG oder eine Kombination zum Einsatz. Im Fall einer Durchgangstür kann eine gehärtete (vorgespannte) Glasscheibe durchaus genügen. Dieses Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG) verträgt hohe Spannungsunterschiede durch Temperaturdifferenzen, aber auch das Auftreffen eines Balls beim Spielen. Geht sie dennoch zu Bruch, zerspringt sie in sehr kleine Teile, die kaum zu Verletzungen führen können. Bleibt diese Scheibe jedoch zusammen, ist sie durch das feine Bruchbild sofort undurchsichtig, fällt sie auseinander, kommt mit den Tausenden von Teilen auch das ganze Gewicht dieser Platte zum Einsturz. Eine grosse Durchgangstür kann so, auch ohne Schnitte, zu Verletzungen bei Personen führen.

Fangsack im Glas

Soll die Scheibe auch nach einem Bruch weiterhin zusammenhalten, braucht es ein Verbund-Sicherheitsglas (VSG). Dabei werden zwei Glasscheiben mittels einer dazwischenliegenden Folie verklebt. Diese Verbindung ist so fest, dass auch beim Zerbrechen beider Gläser alle Splitter an der Folie haften bleiben und diese keine freie Stelle aufweist. «Wir testen die optimale Verklebung, indem wir in einer Vorrichtung eine Stahlkugel von etwas über einem Kilogramm Gewicht aus fünf Metern Höhe auf eine solche Probescheibe mit beidseitigem Floatglas fallen lassen», erklärt Bernhard Kocheisen. Er ist Produktmanager bei der Firma Flachglas Schweiz AG in Wikon LU. Anfällig ist die normalerweise im Sicherheitsbereich verwendete PVB-Folie auf Feuchtigkeit. Sie muss kühl gelagert werden und absolut trocken sein. Ihre Verarbeitung kann nur in einem klimatisierten Raum erfolgen. Wenn das fertige Scheibenelement als Geländer im Aussenbereich eingesetzt wird, kann die Folie mit der Zeit vom Rand her Wasser aufnehmen und blind werden. Ein Kantenschutz schafft hier Abhilfe. Noch besser ist allerdings die Verwendung einer ESP-Folie, die zwar teurer ist, dafür aber kein Wassser aufnimmt.

Wie hoch sind die Anforderungen?

Geht es um definierte Widerstandskraft, wie sie im Zusammenhang mit Einbruchschutz gefordert wird, muss mit einer 4100 g schweren Metallkugel mit einem Durchmesser von 10 cm getestet werden. Für ein Fenster der Widerstandsklasse RC 2 ist ein P4A-Scheibenelement erforderlich. Dieses enthält zwischen den Floatgläsern eine 1,52 mm dicke PVB-Folie und muss drei Treffer aus neun Metern Höhe überstehen. Für den Bereich RC 3 hat das P5A-Element eine 2,28 mm dicke PVB-Folie und muss neun Treffer aus gleicher Höhe überstehen. Bei der nächsthöheren Klassierung geht es dann um die überstandene Anzahl Axtschläge – beispielsweise bei P6B mit geprüften 30 bis 50 Schlägen. Herstellbar sind Elemente bis zu einer definierten Durchschusshemmung. Für den Aufbau der Scheibenelemente gibt es klare Angaben für die Herstellung. Dies ist nicht nur für den Einbruchschutz notwendig. VSG-Elemente kommen ja auch als Brüstungen, bei Grossaquarien oder als tragende Bodenplatten zum Einsatz. «Die Prüfung in einem akkreditierten Prüflabor für den normalen Schreinerbereich obliegt aber immer dem Hersteller des gesamten Bauteiles», sagt Ivano Tagliabue von der Galvolux SA in Bioggio TI, «denn Rahmen, Beschläge und alle Verbindungen sind ebenfalls Bestandteil der geprüften Einbruchhemmung.»

Sonderfall Panikverglasungen

Bei Türen in Fluchtwegen besteht in der Schweiz eine Sonderregelung gemäss dem nationalen Anhang NA. 7 der SN EN 1627/ 2011: Verbundsicherheitsverglasungen bis zur Widerstandsklasse RC 3 müssen eine Polycarbonatschicht von mindestens 5 mm aufweisen. Bei RC 4 sind zwei solche Schichten erforderlich. Diese deutlich teurere Version als nur mit den Folien hat den Vorteil, bei gebrochenen Scheiben nicht mit einem Schraubenzieher durchstossen werden zu können.

Variantenvielfalt mit Isolationskraft

Wer jetzt die Foliendicken mit zwei 4 mm starken Floatglasscheiben zusammenrechnet, kommt auf Werte, die Isolierverglasungselemente in normalen Ausmassen und einem Mehrgewicht von mindestens einer Scheibe ergeben. Alleine schon aus Gründen der Isolation wird das VSG-Element normalerweise innen liegen.

Sollen besonders untere Stockwerke gegen Vandalismus geschützt werden, bietet sich eine gehärtete Aussenscheibe an. Sind im Inneren grössere Spannungen zu erwarten, wenn beispielsweise dunkle Elemente direkt vor der Scheibe platziert sind und so für thermische Spannungen sorgen, kann auch das VSG-Element mit einer ESG-Scheibe versehen werden. Probleme können dann entstehen, wenn ein VSG-Element beidseitig mit ESG-Scheiben hergestellt wird. Es wäre äusserst stabil und widerstandsfähig, wie das beispielsweise bei Glasfassaden gewünscht ist, deren Platten mechanisch befestigt werden. Das Bruchverhalten wäre aber gerade da nicht sehr vorteilhaft. Für diesen Fall gibt es auch teilvorgespannte Gläser, die erhöhte Spannungen aushalten, aber ein Bruchbild fast wie beim Floatglas aufweisen.

Dekor mit verstärkender Wirkung

Speziell im Innenbereich lässt die Technik des VSG zusätzlich noch dekorative Möglichkeiten zu, beispielsweise mit farbigen oder bedruckten Folien. Die Galvolux SA bietet noch die Spezialität von frei definierbaren, teilverspiegelten Flächen in beide Richtungen. Die Foliendicke spielt dabei keine Rolle. Wenn andere Materialien wie Textilien zwischen die Gläser kommen sollen, braucht es zur Dickendifferenz-Überbrückung entsprechend dickere Folien. Das wiederum hat auch gleich einen positiven Einfluss auf die Widerstandskraft.

Alarmfunktion

Ein weiterer wichtiger Aspekt bezüglich Sicherheit ist der Alarm. Früher enthielten alarmgesicherte Scheiben feine, linear verlaufende Drähte, die bei einem Glasbruch zur Alarmauslösung führten. Später kam die Alarmspinne, ein labyrinthartiges Gebilde, das in einer Scheibenecke aufgebracht wurde und beim Bruch der ESG-Scheibe das Gleiche tat. Die Flachglas Schweiz AG bietet aktuell eine «Multisafe-Alarmspinne» an, die beim eingebauten Glaselement nicht mehr sichtbar ist, da die stromleitende Schleife vollständig im Falzbereich des Rahmens verschwindet. Vorteil ist, dass auch nicht mehr erkennbar ist, in welchem Bereich das Alarmkabel durch den Rahmen führt. Wer weiterhin aber möchte, dass es klar ersichtlich ist, dass diese Scheibe alarmgesichert ist, kann die vorherige Spinne als Dummy ohne Funktion haben. Sie muss dann auch nicht beim Kabel sein.

Egal ob stolpernde Zeitgenossen oder Einbrecher aufgefangen werden müssen, die Glashersteller können vielfältige Lösungen bieten.

www.flachglas.chwww.galvolux.com

ab

Veröffentlichung: 16. Juni 2016 / Ausgabe 24/2016

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

«Einfach mal durchklicken»

Dokumentation.  Auf der Internetseite holzbaukultur.ch wächst eine Dokumentation heran, die den Werdegang des Holzbaus in der Schweiz begreifbar macht. Bis Ende des Jahres sollen 400 Gebäude online sein. Im Gespräch dazu Elia Schneider von der Berner Fachhochschule in Biel.

mehr
17. April 2024

Ein meisterlicher Botschafter

Parkettverband ISP. Im Schloss Laufen am Rheinfall fand die 55. Generalversammlung der Interessengemeinschaft Schweizer Parkettmarkt (ISP) statt. Ein abgekühlter Markt und der Mangel an Lernenden beschäftigt die Bodenlegerbranche auch in diesem Jahr.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Werkstoffe