Die IPA spiegelt das Gelernte wider

Die IPA von Seraina Wolf: Ein TV-Möbel aus rustikaler Eiche. Bild: Seraina Wolf

Das Beste kommt zum Schluss: Mit der Individuellen Praktischen Arbeit (IPA) beweisen die Lernenden, dass sie einen Auftrag selbstständig ausführen können. Ein Chefexperte und zwei Ausgelernte geben hilfreiche Ratschläge.

Sie bildet den grossen Abschluss: Die Individuelle Praktische Arbeit (IPA). Im achten und letzten Semester müssen Schreinerlernende beweisen, was sie während ihrer Ausbildung gelernt haben. Und zwar mit einem Auftrag, den sie für einen Kunden, für sich oder für ein Familienmitglied planen und herstellen. Die IPA macht 20 Prozent des Qualifikationsverfahrens (QV) aus und ist eine Fallnote. Die grundlegenden Berufsarbeiten werden Ende des dritten Lehrjahres in der Teilprüfung abgefragt. In der IPA stehen deswegen die fachrichtungsspezifischen Fachkompetenzen sowie Sozial-, Selbst- und Methodenkompetenzen im Vordergrund, wie es in den Ausführungsbestimmungen des QV heisst. Eine IPA umfasst möglichst alle Handlungskompetenzbereiche der jeweiligen Fachrichtung und berücksichtigt zudem die Eigenheiten des Lehrbetriebs.

Experte sagt, auf was es ankommt

Rolf Locher ist seit 15 Jahren als Experte im Kanton Bern für IPA, Teilprüfungen sowie die Schreinerpraktiker tätig. Seit Anfang Jahr ist er EBA-Chefexperte. Der 58-Jährige aus Walkringen ist hauptberuflich üK-Instruktor in Langnau. Er erklärt, auf was die Experten bei der IPA achten und Wert legen, was absolute No-Gos sind, und er gibt hilfreiche Tipps für die Vorbereitung, die Arbeit selbst, die Dokumentation und das abschliessende Fachgespräch.

Lehrziit: Herr Locher, was reizt Sie an der Aufgabe als Schreinerprüfungsexperte?

Rolf Locher: Das Ausbilden und Prüfen gehören für mich zusammen. Es ist spannend, zu sehen, wie sich die Lernenden in den zwei respektive vier Jahren entwickeln, was sie an Wissen und Fähigkeiten abrufen können, und die Leistungen vergleichen. Zudem macht mir die Arbeit mit den jungen Erwachsenen allgemein grossen Spass.

Wie gross ist Ihr Aufwand als Experte? Wann beginnen Sie mit den Vorbereitungen für die nächste Prüfungsrunde?

Mein Teilpensum macht zwischen 20 und 30 Stellenprozent aus. Die IPA-Planung starte ich jeweils im Herbst. Ich muss zuerst alle Kandidaten abgleichen, erfassen und dann aufbieten. Die heisse Phase beginnt am Jahresende mit der Planung der Expertensitzungen. Im Januar folgen diese Sitzungen sowie die Freigabe der eingereichten Projekte. Ich stelle die Kontakte her und treffe Vorbereitungen.

Teilen Sie den Lernenden die Experten zu?

Nein, bei uns im Kanton Bern dürfen die Experten auswählen. Das tun sie nach geografischer Lage. Sodass sie keine zu weiten Anfahrtswege in die Betriebe haben. Natürlich wird darauf geachtet, dass eine Expertin oder ein Experte die Lernende oder den Lernenden nicht zu gut kennt oder gar mit dieser oder diesem verwandt ist.

Sollte eine Lernende oder ein Lernender mit der zugeteilten Expertin oder dem Experten nicht einverstanden sein, was kann sie oder er tun?

Dann kann sich die Person bei mir melden, den Wunsch begründen, und wir schauen, dass wir einen Wechsel vornehmen können. Das kommt aber selten vor.

Wie oft besuchen die Experten die Lernenden im Betrieb?

Ein- bis zweimal. Es geht darum, dass die Experten sich ein Bild im Betrieb machen, die Dokumente des Lernenden lesen, die Abläufe abschätzen und schauen, ob die Planung aufgeht. Dabei arbeite ich eine Checkliste ab. Ich möchte meinen Kandidaten das Gefühl geben, dass ich für sie da bin und dass wir gemeinsam schauen, dass die Arbeit gut kommt. Ich helfe auch, sollte es Probleme mit der vorgesetzten Fachperson geben.

Kontrollieren Sie auch die vorgesetzten Fachpersonen?

Ja, sicher. Oft kennt man sich schon. Mein Ziel ist es, mir schnell ein Bild von der Situation im Betrieb zu machen und ein gutes Gefühl zu bekommen. Ich bin da, um mit beiden Seiten offen zu sprechen und wenn nötig zu helfen.

Mussten Sie schon eingreifen?

Nein, zum Glück noch nicht.

Was ist für Sie ein No-Go?

Wenn zum Beispiel ein Lernender eines Fensterbaubetriebs, der über keine Infrastruktur für den Möbelbau verfügt, für die IPA ein Möbel herstellen will. Da muss ich nachfragen, ob der Lernende dieses Risiko wirklich eingehen will. Der Kandidat sollte eine Arbeit machen, die er kennt. Sonst kann es schiefgehen.

Gibt es Fehler, die Sie immer wieder sehen?

Manchen Kandidaten ist während der Arbeit nicht bewusst, welche Strukturen sie für später benötigen. Zum Beispiel zu wenig Details und Bilder für die Dokumentation und die Präsentation zu haben. Das muss man sich von Anfang an überlegen und die wichtigen Informationen sammeln.

Bitte geben Sie nun noch konkrete Ratschläge. Zuerst in Bezug auf die Auswahl einer IPA.

Es gibt zwei Varianten: Entweder die Kandidaten stellen einen Kundenauftrag her, der zum Betrieb passt und meistens nicht heikel ist und gut verläuft. Oder sie entscheiden sich für ein Objekt für sich selbst oder jemanden im Familienkreis. Dabei sollte man darauf achten, nichts Neues oder Fremdes ausprobieren zu wollen. Und man muss sich gut mit der vorgesetzten Fachperson absprechen, was wie bewertet wird. Allgemein sollten die Kandidaten ein gutes Gefühl bei ihrem Projekt haben. Bei Eigenprojekten rate ich, mit den Vorgesetzten die Kosten genau zu klären und idealerweise eine Offerte zu erstellen. Das vermeidet unschöne Überraschungen und Uneinigkeiten.

Zum Zeitplan?

Dieser ist vorgegeben. Die Eingabe- und Abgabetermine sind festgelegt. Ich rate den Kandidaten, sich im Spätherbst oder Anfang Winter erste Gedanken zu machen und sich bewusst zu werden, was so ein Projekt alles umfasst.

Was, wenn ein Fehler passiert?

Das kommt vor und ist kein Unglück. Natürlich sind Fehler ärgerlich. Die Lernenden sollten diese mit den vorgesetzten Fachpersonen besprechen. Wenn man neues Material verwenden muss, sollte man dies dokumentieren. Bei einem Schiffbruch kann man auch den Experten oder Chefexperten hinzuziehen. Viel schlimmer wäre ein Unfall, was wir natürlich vermeiden wollen. Aber fällt ein Lernender längere Zeit aus, suchen wir natürlich nach Lösungen.

Haben Sie Tipps für die Dokumentation?

Ich empfehle, die Vorlagen auf der VSSM-Website runterzuladen und mit diesen zu arbeiten. So hat man die richtige Gliederung und vergisst nichts. Ich rate, das Arbeitsjournal früh anzuschauen und permanent auszufüllen. Das heisst, einmal pro Tag zu notieren und von jedem Arbeitsschritt Bilder zu machen. Es ist ratsam, aus vielen Fotos auswählen zu können.

Wie wichtig sind Ihnen Darstellung und Rechtsschreibung?

Natürlich fliessen diese in die Bewertung ein. Vor allem der fachliche Teil ist wichtig. Ein No-Go sind falsch geschriebene Fachausdrücke. Diese müssen stimmen. Wenn mal ein Wort falsch gross- oder kleingeschrieben wird, ist das nicht tragisch. Aber die Kandidaten sollten ihre Dokumentation mindestens einer Person zum Lesen geben.

Was können Sie zur Präsentation sagen?

Die Kandidaten sollten sich überlegen, was die Experten gerne hören würden. Wichtig ist, dass man die Präsentation klar gliedert in Einleitung, Hauptteil und Schluss. Das wird bewertet. Auf schwierige und heikle Themen wie technische Informationen oder Arbeitsschritte sollte man selbst näher eingehen. Denn die Experten werden Fragen zum fachlich Anspruchsvollen stellen. Wenn man diese vorher schon selbst beantwortet, dürfen diese nicht mehr gestellt werden. Verständnisfragen der Experten bleiben allerdings möglich.

Und schliesslich zum Fachgespräch?

Grundsätzlich sollten die Kandidaten die Eigenschaften der verwendeten Materialien und Beschläge kennen. Zum Beispiel die Eigenschaften des Holzes und die Funktionsweisen der Beschläge. Bei den Oberflächenmaterialien sollten sie wissen, was die Öl-Eigenschaften sind oder welche Lacke man verwenden könnte. Ich rate, die Theorie nochmals gut anzuschauen. Denn genau darauf werden die Experten Wert legen. Wenn eine Frage gestellt wird, sollten die Lernenden kurz überlegen, unbedingt nachfragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, und erst dann antworten. Nicht einfach drauflos sprechen. Das Ganze soll ein Gespräch zwischen zwei Fachleuten werden und kein einseitiges Abfragen. Es könnte hilfreich sein, wenn man die Antworten so einfach und deutlich formuliert, wie wenn man alles einem Lernenden im ersten Lehrjahr erklären will.

www.vssm.ch/ipa

Ohne Fehler kommt kaum jemand durch die IPA

Seraina Wolf blickt gerne auf ihre Individuelle Praktische Arbeit (IPA) zurück. Letzten Sommer hat sie die Lehre als Schreinerin im Schreiner-Ausbildungszentrum Zürich abgeschlossen. Vor einem Jahr hat sie etwa losgelegt. «Die Pläne habe ich eher kurzfristig gezeichnet. Im Nachhinein gesehen, hätte ich damit viel früher beginnen müssen», erinnert sich die 21-Jährige aus Weisslingen ZH. Sie hat ein TV-Möbel hergestellt. «Die Fronten und Tablare sind aus Eiche mit möglichst vielen Ästen, damit es speziell und rustikal aussieht. Ich habe es für meine Eltern gemacht, und es sollte zu den anderen Möbeln im Wohnzimmer passen.» Sie fand es toll, etwas für sich beziehungsweise für die Familie zu produzieren. Einerseits als Erinnerung, andererseits weil man so zu günstigen Konditionen ein Möbel herstellen könne. «Und ich konnte eigene Ideen einbringen, was bei einem Kundenauftrag natürlich nicht geht.»

Die ganze Arbeit sei gut verlaufen, erzählt Seraina Wolf. «Allerdings nicht fehlerfrei, was bei kaum jemandem der Fall sein dürfte.» Wichtig sei, aus den Fehlern zu lernen und diese auf keinen Fall vertuschen zu wollen. «Man sieht diese meistens. Also die Fehler mit der Berufsbildnerin oder dem Berufsbildner anschauen und in der Dokumentation festhalten.» Sowieso sollte man für die Dokumentation täglich die Arbeitsschritte festhalten und Fotos machen. «Später weiss man wirklich nicht mehr alles. Das hat mir schon mein Oberstift geraten, und er hatte recht.»

Rückblickend hätte sie ein paar Dinge anders gemacht. «Einige Arbeitsschritte habe ich bei der IPA zum ersten Mal gemacht, was nicht empfehlenswert ist», meint Seraina Wolf selbstkritisch. Sie habe die Schubladen erstmals gezinkt und dann gemerkt, dass dies von Hand zu lange dauert. «Es war aber auch maschinell schwierig. Ich hätte das vorher mal ausprobieren sollen.» Der Korpus ihres TV-Möbels ist aus MDF-Platten. Diese hat sie geölt. «Das ist speziell, und das hatte ich zuvor auch noch nie gemacht. Zum Glück hat dies aber gut geklappt.» Sonst sei die IPA gut verlaufen, und sie habe auch eine gute Note erhalten, trotz Fehlern.

Die Tipps von Seraina Wolf zur IPA:

  • einen Zeitplan machen und diesen einhalten
  • immer Fotos machen
  • Arbeiten wählen, die man im Alltag bereits ausgeführt hat
  • immer alles dabeihaben, wenn der Experte im Betrieb vorbeikommt
  • sich für die Präsentation gut vorbereiten, nochmals die Theorie der verwendeten Maschinen und Materialien durchgehen

Möbel ist eine schöne Erinnerung

Tobias Beyeler aus Thun BE hat seine Ausbildung als Schreiner letzten Sommer beendet. Der 20-Jährige hat bei der Schreinerei Bigler in Mühleturnen BE absolviert und ist dort weiterhin tätig. Auch er hat für die IPA ein Möbel für sich selbst gemacht, und zwar ein Sideboard. «Der Korpus besteht aus furnierter Fichte, die Fronten sind gestemmt», erzählt er. «Ich wollte einen Eigenauftrag produzieren, weil das Möbel eine schöne Erinnerung an meine Lehre und den Abschluss ist.»

Er hatte einige Stolpersteine zu überwinden. «Ich hatte zuvor noch nie mit gestemmten Fronten gearbeitet. Das war schon ein kleines Risiko, und ich musste deswegen gut überlegen und ausprobieren», beschreibt Beyeler. Etwas riskieren dürfe man schon, wenn man zuvor ähnliche Arbeitsschritte gelernt habe. Etwas ganz Neues sei hingegen heikel.

Bezüglich des Zeitmanagements rät er, sich frühzeitig Gedanken über sein Projekt zu machen. Die Details könne man aber gut später ausarbeiten. «Ich empfehle zudem, wirklich abends die Arbeitsschritte kurz zu notieren und laufend Bilder zu machen. Das sagen wohl alle. Aber es hilft, denn man vergisst Einzelheiten schnell.» Vor der Präsentation und dem Fachgespräch sei er sehr nervös gewesen, erinnert sich der Thuner. «Es war jedoch gar nicht so schlimm. Den Hauptexperten kannte ich ja schon von den Besuchen im Betrieb, und den Nebenexperten hatte ich auch schon getroffen. So waren es keine Fremden, was mir geholfen hat.»

Die Tipps von Tobias Beyeler:

  • Eine Arbeit für die IPA machen, die einem Freude bereitet, sofern das möglich ist, und sich ständig motivieren.
  • Bei der Dokumentation wirklich dranbleiben. Das heisst, abends mindestens Notizen zu machen. Ausformulieren kann man später.
  • Auf dem Weg zur Präsentation und dem Fachgespräch sich nicht nervös machen, sondern sich darauf freuen. Wenn man sich nicht vorbereitet hat, ist es eh zu spät.
  • Die Dokumentation gegenlesen lassen, zum Beispiel von den Eltern und/oder jemandem im Betrieb.

Nicole D'Orazio

Veröffentlichung: 02. Februar 2023 / Ausgabe 5/2023

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