Die Lage im Lagerregal ist nicht egal

Zu grosse Lager waren in der Vergangenheit verpönt. Die Liefer-probleme des vergangenen Jahres haben da und dort ein Umdenken ausgelöst. Bild: Stefan Hilzinger

Beschaffungsmarkt.  Die Pandemie und die weltweit hohe Nachfrage nach Holz und Holzwerkstoffen haben die gewohnt stabilen Lieferketten ins Strudeln gebracht. Auch wenn sich aktuell eine Entspannung abzeichnet, müssen Schreiner mit Unsicherheiten klarkommen.

«Heute bestellt, morgen geliefert.» So war es sich die hiesige Wirtschaft seit Jahren gewohnt, wenn es um den Einkauf von Rohmaterialien ging. «Just in time», lautet das Mantra des schlanken Beschaffungwesens. Bloss nicht zu viel an Lager nehmen, das liegt nur herum und kostet Geld.

In den vergangenen beiden Jahren war alles ein wenig anders als gewohnt. Corona brachte nicht nur unser aller Leben durcheinander, sondern auch die weltweiten Wirtschaftsströme. Das Bild des Containerschiffs «Ever Given», das Ende März 2021 im Suezkanal für sechs Tage feststeckte, steht sinnbildlich für die vertrackte Situation, die bis heute in vielen Teilen der Weltmärkte herrscht. Ähnlich wie mit dem WC-Papier in den Supermärkten verhielt es sich mit den Holzwerkstoffen: Wer welche suchte, der stand unvermittelt vor einem leeren Regal.

Alles bloss halb so wild?

Doch wie erleben Schreiner die Zeit der Lieferschwierigkeiten und Preisanstiege, und wie reagieren sie darauf? «Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen», sagt Michel Romer, Geschäftsführer und Eigentümer der Schreinerei Romer Wagner AG in Elsau ZH. «Wir hatten ein Riesenschwein», tönt es bei Adrian Eberle, Geschäftsführer und Mitinhaber der M+E Schreinerei AG in Münchwilen TG.

Also alles bloss halb so schlimm? Tatsächlich konnten sich viele Schweizer Schreinereien in den vergangenen zwei Jahren kaum über mangelnde Aufträge beklagen. Holz als Bau- und Werkstoff boomt. Die Beschränkungen wegen der Pandemie liessen private Mittel beispielsweise in eine neue Küche, einen Schrank oder in ein Terrassendeck fliessen statt in die Ferien- und Freizeitkasse. Wenn die beiden Schreinerunternehmer in den bald zwei Jahren der Pandemie aber eines gelernt haben, dann das: «In allen Situationen flexibel bleiben und aktiv mit der Kundschaft kommunizieren.»

Als im Frühjahr 2020 der Bundesrat den Corona-Lockdown ausrief, feierte die 40-köpfige Belegschaft der M+E Schreinerei AG in Münchwilen gerade den Baubeginn für einen Anbau ans Firmengebäude. «Da habe ich im ersten Moment leer geschluckt und mich gefragt, ob das gut geht», sagt Firmenchef Adrian Eberle. Doch die Erweiterung habe sich nach dem halben Jahr Bauzeit als Glücksfall erwiesen. «Wir haben nicht nur die Abläufe optimiert und in moderne Technik investiert, sondern auch mehr Lagerraum geschaffen», berichtet er. Das sei zwar nur ein Nebeneffekt der Betriebsvergrösserung gewesen. «Doch als Reaktion auf die Probleme bei der Rohstoffversorgung haben wir das Einkaufsregime angepasst», sagt er weiter. Neu bestellen die Projektleiter das benötigte Material, sobald ein Auftrag erteilt wurde und nicht erst auf Abruf, wenn der Auftrag in die Produktion geht. Zwar nehme man etwas mehr Material an Lager als vielleicht nötig, doch habe man so eher Gewissheit, die Ware zur Verfügung zu haben, wenn man sie braucht.

Küchen ohne Schubladen

Ganz ohne Probleme kam jedoch auch seine Schreinerei nicht über die Runden. Denn nicht nur Holz war immer wieder Mangelware, sondern beispielsweise auch Klebstoffe oder Beschläge. «Weil Kugellager fehlten, waren gewisse Schubladenauszüge zeitweise nicht mehr lieferbar», berichtet Eberle. Er ist nicht der einzige Schreiner im Land, der sich gezwungen sah, seine Küchen vorerst ohne Schubladen zu montieren. Auf grösseren Baustellen sei man in den Zeitplan und die Abläufe eingebunden, sodass weiteres Zuwarten nicht mehr möglich sei. Die schon weit fortgeschrittene Digitalisierung des Betriebs habe sich bei nicht lieferbaren Beschlägen als ein grosser Trumpf erwiesen: «Dank 3D-CAD konnte der Projektleiter ohne viel Aufwand vom ursprünglich geplanten Produkt auf ein vergleichbares Produkt eines anderen Herstellers wechseln und so den Auftrag abwickeln.» Wo es derzeit noch harze, sei etwa bei den Küchengeräten, weil die Hersteller ihrerseits auf die begehrten und knappen Mikrochips warten müssten. Diese Erfahrung macht derzeit nicht nur Eberle, sondern auch sein Berufskollege Michel Romer von der Schreinerei Romer Wagner. Schwierig zu beschaffen seien aktuell auch Lösungsmittel, ergänzt Romer.

Zeichen von Entspannung

Dennoch: Mittlerweile, so sagt Eberle, hätten sich die Lieferengpässe «etwa zu 90 Prozent gelöst». Eine Pressemeldung von Holzbau Schweiz von Mitte Januar bestätigt seine Feststellung: «Die Verfügbarkeit von Holz hat sich stabilisiert», schreibt der Verband und «der Markt findet zur Normalität zurück.» Inzwischen seien die Lager bei verschiedenen Händlern wieder voll, und der Schweizer Markt könne wieder termingerecht bedient werden. Gemäss Holzbau Schweiz seien die Preise für Baumaterial zwar gestiegen, was letztlich aber nur eine geringfügige Auswirkung auf die Gesamtkosten im Bauwesen habe. Hier hilft der starke Schweizer Franken dem einheimischen Gewerbe, weil er die in der EU gemessene Inflation abfedert.

Dennoch bleiben Unsicherheiten, mit denen die Schreinerunternehmer klar kommen müssen. Das unterstreicht Michel Romer: «Wir arbeiten gerade Offerten für Projekte aus, die 2023 oder noch später realisiert werden. Die Kalkulation gleicht einem Blick in die Kristallkugel», sagt er. Es tut sich dabei ein offensichtliches Dilemma auf: «Kalkuliere ich knapp und riskiere am Ende, drauflegen zu müssen? Oder kalkuliere ich wegen möglicher, weiterer Preisanstiege mit Reserve und laufe Gefahr, den Auftrag nicht zu erhalten?»

Daher sei eine aktive und intensive Kommunikation mit der potenziellen Kundschaft noch wichtiger geworden als in normalen Zeiten, sagt Romer. «Es geht darum, Verständnis für die Situation zu schaffen», erklärt er. In einem anderen Punkt haben Eberle und Romer wie viele andere Schreiner auch reagiert: Sie haben die Gültigkeit von Offerten auf zwei Monate statt der üblichen drei Monate verkürzt.

Einheimische Alternativen?

Jede Krise eröffnet bekanntlich auch Chancen. So könnte es durchaus sein, dass die Probleme an der Beschaffungsfront auch eine Rückbesinnung auf einheimische Bezugsquellen auslösen. Rund 70 Prozent der Rohstoffe, die Schweizer Schreinereien und Holzbaubetriebe verarbeiten, stammen aus dem nahen und weiteren europäischen Ausland. Zur Verknappung und Verteuerung von Holz und Holzwerkstoffen kam es hierzulande insbesondere, weil europäisches Holz immer stärker in die USA und nach China exportiert wurde (siehe dazu das Interview auf Seite 16).

Der Rohstoff Holz könnte leicht zu einem höheren Anteil aus heimischen Wäldern beschafft werden. Ein altes Problem ist jedoch, dass die Waldbewirtschaftung zu wenig abwirft. Gemäss Florian Landolt vom Waldeigentümerverband Wald Schweiz erlauben die derzeit höheren Preise für Holz, dass Forstbetriebe kostendeckend arbeiten können.

«Damit ausreichend Rentabilität und damit mehr Investitionspotenzial gegeben ist, müssten die Preise aber noch mehr steigen und dürfen auf keinem Fall mehr unter das aktuelle Niveau fallen», wird Landolt in einer Medienmitteilung zitiert. Es gehe nun darum, Bauprojekte, die auf lokal geerntetes Holz setzten, gezielt zu unterstützen, um so «die gesamte Schweizer Holzkette zu fördern und dadurch die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren».

Fast schon euphorisch zeigt sich Holzindustrie Schweiz in einer Medienmitteilung von vergangener Woche: «Jetzt lohnt sich die Holzernte!», schreibt der Verband der Säge- und Holzindustrie und appelliert an die Waldbesitzer, jetzt von der guten Marktsituation zu profitieren. Die gute Nachfrage bei stabil hohen Preisen über alle Sortimente dürfte gemäss dem Branchenverband der Holzindustrie längerfristig anhalten.

www.me-schreinerei.chwww.schreinerei-rw.ch

Stefan Hilzinger

Veröffentlichung: 27. Januar 2022 / Ausgabe 4/2022

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