Die Schweiz ist seine neue Heimat

Carlos Terrrazas im Holzlager der Blumer Schreinerei. Bild: Nicole D'Orazio

Früher war er Fotograf, nun lernt er Schreiner. Seiner Frau zuliebe ist Carlos Terrazas vor dreieinhalb Jahren von einer Grossstadt in Mexiko nach Appenzell Ausserrhoden gezogen. Der 29-Jährige fühlt sich hier wohl.

Der Herbst 2018 bedeutete für Carlos Terrazas den Start in ein neues Leben. Damals ist der 29-jährige Mexikaner mit seiner Frau Deborah und seinem kleinen Sohn Maël von Cuernavaca, einer Stadt mit rund 380 000 Einwohnern und 85 Kilometer südlich von Mexiko City, nach Stein im Kanton Appenzell Ausserrhoden gezogen. «Meine Frau ist in dem Dorf aufgewachsen und auch ihre Eltern leben dort. Ich war deshalb einverstanden, hierher zu ziehen.» Kennengelernt hatte er seine Frau im Ausgang. «Sie war in Mexiko als Lehrerin in einer Schweizer Schule tätig. Nach ein paar Jahren hatte sie jedoch immer stärkeres Heimweh. Und als unser Sohn geboren wurde, entschieden wir, dass er in der Schweiz aufwachsen soll», erzählt er.

In Mexiko war Terrazas als Fotograf tätig (vor allem auf Hochzeiten), und er hat auch Menschen porträtiert. «Ich fragte mich dann, was ich in der Schweiz arbeiten soll. Als Fotograf ist es immer schwierig, an einem neuen Ort Fuss zu fassen. Und ich habe noch nicht gut Deutsch gesprochen», schaut er zurück. Also ging er zur Berufs- beratung. Die Empfehlung lautete, einen handwerklichen Beruf auszuüben, da er kreativ ist. «Mein Schwiegervater war zudem Schreiner und jahrelang Berufsschullehrer. So habe ich mich mit dem Beruf auseinandergesetzt.»

Kreativität passt zum Schreiner

In Mexiko hatte Carlos Terrazas wenig Berührungspunkte mit Holz. Aber er skizziert gerne und findet Holz ein tolles Material. «Deswegen habe ich als Schreiner geschnuppert. Bei der Blumer AG in Waldstatt AR hat es mir gut gefallen und war mir klar, dass ich das machen will. Ich finde es toll, dass der Betrieb breit aufgestellt ist und man als Lernender alle Schreinerarbeiten machen darf.» Zuerst wurde er als Hilfsarbeiter angestellt, im Sommer 2019 begann er die Ausbildung.

Schnell Deutsch gelernt

«Ich konnte dann auch besser deutsch sprechen», sagt der Mexikaner. «Während der ersten zwei Monate in der Schweiz habe ich einen Intensivsprachkurs besucht. Zudem wollte ich so schnell wie möglich mit neuen Leuten in Kontakt kommen. Noch in meiner ersten Woche in Stein habe ich mich schon beim Turnverein angemeldet. Das hat mir geholfen.» Man würde ihn mittlerweile gut verstehen und auch mit dem Schreiben klappe es. «Die Leute haben mir sehr geholfen mit dem Deutsch.»

«In der Berufsschule ist die Sprache allerdings nach wie vor eine Herausforderung», sagt Carlos Terrazas. «Aber es wird immer besser. Und die Lehrer helfen mir, wenn nötig.» Es ist für ihn kein Problem, dass er älter ist als die meisten anderen Lernenden in der Klasse. «Natürlich sind die Interessen unterschiedlich. Ich bin zehn Jahre älter und habe schon eine Familie. Aber ich kann mich gut mit den anderen unterhalten.» Es hilft ihm zudem, dass seine Arbeitskollegin Lea mit ihm zusammen zur Berufsschule geht. «Ich verstehe mich super mit ihr.»

Stark bei Handarbeiten

In der Lehre gefällt es dem Mexikaner sehr gut. «Im Betrieb wurde ich sehr gut aufgenommen und super ins Team integriert», schwärmt er. Die Arbeit sagt ihm sehr zu. Derzeit wird er vor allem in der Werkstatt eingesetzt. Dort arbeitet er am liebsten. Er sei halt kreativ und geniesse es besonders, wenn er etwas in genauer Handarbeit herstellen dürfe. «Auf der Baustelle finde ich es am spannendsten, wenn ich ein Objekt zu Beginn der Arbeiten und dann am Schluss wieder sehe. Abbruch- und Wiederaufbauarbeiten finde ich allgemein spannend.» Maschinen mag Carlos Terrazas ebenfalls. «Vor einem Monat habe ich ein Bett für uns zu Hause hergestellt. Der Maschinist hat mir geholfen, das CNC-Bearbeitungszentrum dafür richtig zu programmieren. Das fand ich cool.»

Im Frühling steht für den Lernenden im dritten Jahr die Teilprüfung an. «Mit meiner Mitstiftin übe ich ab und zu am Samstag. Wir helfen und motivieren uns gegenseitig. Das kommt gut.» Auch vom Lehrlingsbetreuer würden sie gut unterstützt, findet der Mexikaner.

Sein Chef Daniel Ackermann ist von ihm begeistert. Mit seiner offenen und freundlichen Art habe es Carlos allen einfach gemacht, ihn zu mögen, und er gebe sich grosse Mühe, sagt der Geschäftsleiter und Mitinhaber der Blumer Schreinerei. «Wir haben deswegen schon besprochen, dass er auch nach dem Berufsabschluss bei uns bleiben kann, wenn er will.»

Sohn ist sein Lieblingsmodell

Das freut den 29-Jährigen und gibt ihm auch eine gewisse Sicherheit. «Ich denke, dass ich als Schreiner weiterarbeiten werde. Das Fotografieren vermisse ich zwar schon etwas, doch das bleibt mein Hobby.» In seiner Freizeit sei er ab und zu mit der Kamera unterwegs, zum Beispiel wie kürzlich am Silvesterchlausen in Stein. Oder dann lichtet er Gebäude ab. Denn Architektur findet er spannend. Er liebt Städte. «Mein Lieblingsfotomodell ist allerdings mein Sohn», sagt Carlos Terrazas und lacht.

Sein liebstes Hobby ist seit dem ersten Lockdown in der Coronapandemie aber nicht mehr das Fotografieren, sondern das Rennvelofahren. «Den Sport habe ich entdeckt und finde ihn super. Mittlerweile habe ich ein paar Gspänli gefunden und wir unternehmen gemeinsame Velotouren.»

Ab und zu Heimweg

Ab und zu beschleicht ihn das Heimweh. Aber nicht schlimm. «Vor allem meine Familie würde ich gerne öfter sehen», sagt Carlos Terrazas. Wegen der Coronapandemie hatte er sie über zwei Jahre nicht mehr gesehen. «Ich habe es sehr genossen, als wir letzten Herbst endlich wieder einmal nach Mexiko fliegen konnten. Das würde ich künftig gerne öfter machen.» Die Auswanderung hat er allerdings nie bereut. «Wir sind gekommen, um zu bleiben. Ich habe in der Schweiz eine neue Heimat gefunden.»

Nicole D'Orazio

www.blumer-schreinerei.ch

 

Veröffentlichung: 03. Februar 2022 / Ausgabe 5/2022

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