Die unsichtbare Brüstung

Die Brüstung besteht aus einer durchgehenden VSG-Scheibe ohne Metallprofil. Bild: Sedak

Ganzglasgeländer.  Der Wunsch nach einer ungetrübten Aussicht kann heute mit Brüstungen aus Glas erfüllt werden. Es gibt unterschiedliche Lösungen und natürlich auch verschiedene Anforderungen. Etwas Hintergrundwissen sollte vor der Bestellung vorhanden sein.

Geländer und Brüstungen sollen in erster Linie schützen und Halt bieten, wenn eine Absturzsicherung erforderlich ist. Sie können aber auch vor Blicken bewahren, denn gerade ein Balkon in Richtung eines Gehweges oder einer Strasse sollte nicht von unten Einsicht bieten. Etwas anders verhält es sich, wenn sich dieser Balkon hangabwärts eines Gebäudes befindet und sich von ihm aus eine fantastische Aussicht bietet. Wenn dann noch das dahinterliegende Fenster über die ganze Raumhöhe reicht, dann sollte dieses Geländer unsichtbar sein, um die Aussicht nicht zu stören.

Aussicht ohne Grenzen

Seit einigen Jahrhunderten werden in solchen Fällen dem Zeitgeist entsprechende Geländer aus Metall gefertigt. Diese bestehen jede Sicherheitsanforderung und überdauern auch die Nutzbarkeit der Häuser, für die sie geschaffen wurden. Auf einer wirklichen Aussichtsseite genügen sie heutigen Ansprüchen allerdings kaum noch. In einer Zeit, in der selbst die Fensterrahmen immer dünner sein müssen, um nicht den Blick nach aussen zu stören, darf auch ein Balkon oder eine Terrasse keine optischen Grenzen setzen. Glas an sich ist das einzige Material, das standfest ist und sich durch Witterungseinflüsse nicht verändert. Es ist aber so kompakt und hart, dass es sich nicht verbiegen lässt wie Metall, sondern bei zu hoher Belastung bricht. Normales Floatglas bietet keine besonders grosse Durchbiegekraft und zerbricht in grosse Scherben, an denen man sich leicht verletzen kann. Dieses Glas ist ansonsten allerdings recht zäh und spannungsneutral. So kann man mit harten Gegenständen sogar an der Kante Stücke aus der Scheibe herausschlagen, ohne dass diese zu Bruch geht. Entsprechend lässt sich Floatglas gut bearbeiten.

Enorm widerstandsfähig

Deutlich mehr Durchbiegekraft bietet ein Einscheibensicherheitsglas (ESG). Durch die Erwärmung auf rund 600 °C und die anschliessende Abschreckung wird ein Floatglas vorgespannt und somit zu ESG. Das heisst, im Glasinneren herrscht eine andere Spannung als im gesamten Aussenbereich – also auch in den Kanten. Solange das so bleibt, halten die Scheiben sehr viel mehr an Belastung aus. Mit ESG-Scheiben werden etwa Fenster in Turnhallen ausgestattet, damit auch ein Fussball nicht gleich einen grossen Schaden anrichten kann. Wird eine der sechs Aussenflächen der Scheibe aber bearbeitet, ändert sich das Spannungsverhältnis, und sie wird unkalkulierbar schwächer. Das schliesst absolut jede Form von Nachbearbeitung ausdrücklich aus.

«Gerade wenn mit solchen Scheiben ein Verbundsicherheitsglas hergestellt wird, gibt es offenbar immer wieder Lieferanten, welche die Kanten nachträglich bearbeiten», sagt Beppino Candolo von der Flachglas Schweiz AG in Wikon LU. Schon ein relativ leichter Schlag mit einem harten Gegenstand auf eine nicht nachbearbeitete Kante lässt die Scheibe in kleine, granulatartige Scherben zerspringen. Man kann sich mit diesem Granulat weniger schneiden als mit grossen Scherben.

Spannung mit Empfindlichkeiten

Liefert ein Verbundsicherheitsglas aus zwei ESG – mit einer kräftigen Verbindungsfolie dazwischen – genügend Brüstungsstabilität für einen Balkon im sechsten Stockwerk eines Gebäudes? – Grundsätzlich ist das so, nur bleibt die Empfindlichkeit der Kanten. Nehmen beide Gläser Schaden, sind die Splitter so klein, dass die Scheibe mit der Folie zu einem sperrigen Tuch wird und somit keine Sicherheit mehr bietet. Durch den Einsatz eines Kantenschutzes besteht keine Gefahr mehr, dass es zu einem Schlag auf die Kante und damit zum Glasbruch kommen kann, womit die Brüstung die vorgeschriebenen Anforderungen erfüllt.

Wird ein VSG aus zwei Floatgläsern hergestellt, sind die grossen Bruchstücke zusammen mit der Folie auch im schlechtesten Fall immer noch in der Lage, dank ihrer Resttragfähigkeit, Personen vor einem Absturz zu schützen.

Floatglas ist das Material der Wahl

In der Schweiz sind Ganzglasgeländer aus VSG auch ohne oberen Kantenschutz erlaubt, wenn sie mit Floatglas hergestellt wurden. Dazu finden sich in der Sigab-Richtlinie 002, unter 5.3 Geländer, entsprechende Angaben. Ein Geländer aus Glas muss demnach eine genügend hohe Resttragfähigkeit in Anprall- und Laufrichtung aufweisen und die gleichen Anforderungen erfüllen wie eines aus einem anderen Material. Elemente aus Floatglas können auch später noch problemlos bearbeitet werden. So lassen sich die Kanten absolut plan schleifen. Sogar Innenausfräsungen sind bei grossen Trennwänden möglich – bei Brüstungen aber sicher nicht sinnvoll.

Stärken und Schwächen der Folie

Weil VSG als Brüstung zugelassen ist, müsssen die darin enthaltenen Verbindungsfolien äusserst zäh, enorm gut haftend und vor allem ausserordentlich langlebig sein. Zur Erinnerung: Eine normale Silikonfuge sollte alle zehn Jahre ersetzt werden, da sie wegen Witterung und UV-Strahlung nicht mehr die gewünschte Leistung erbringt.

Diese Folien halten nicht nur Gläser zusammen. Sie bestimmen massgeblich die Festigkeit eines Elementes, was bis zur Durchschusshemmung gehen kann, und sie verfärben sich nicht. Eine Schwäche ist ihre Feuchteempfindlichkeit. Die normalerweise im Sicherheitsbereich verwendete PVB-Folie ist an sich anfällig auf Feuchtigkeit. Wenn das fertige Scheibenelement als Geländer im Aussenbereich eingesetzt wird, kann die Folie mit der Zeit vom Rand her Wasser aufnehmen und blind werden. Dann beginnt eine Delamination. Das heisst: Die Schichten trennen sich voneinander, und das Element verliert letztendlich seine Stabilität. Ein Kantenschutz ist empfehlenswert, denn er kann Abhilfe schaffen. Noch besser ist die Verwendung einer ESP-Folie, die zwar teurer ist, dafür aber kein Wassser aufnimmt.

Ewig schön

Weil die Wahl der Folie für den Einsatzbereich so wichtig ist, sollte ihr bei der Planung besondere Beachtung geschenkt und die Erwartungen dem Hersteller klar mitgeteilt werden. Längerfristig lohnt sich der Einsatz einer den Anforderungen entsprechenden Verbindungsschicht.

Seitens der Glas Marte GmbH aus dem österreichischen Bregenz wird die Reinigung noch besonders hervorgehoben. Denn da sind die Vorgaben der Hersteller absolut strikte einzuhalten, um die Folie nicht zu beschädigen. Eine unsachgemässe Behandlung kann in diesem Fall zu irreparablen Schäden führen. Darüber sollten auch allfällige Mieter Bescheid wissen. Gleiches gilt beim Fugen der Glaszwischenräume: Das verwendete Silikon muss tauglich sein.

Der Wassergraben

Die Kanten eines Einscheibensicherheitsglases müssen vor dem Vorspannen bearbeitet sein und weisen somit rundherum leichte Fasen auf. Zusammengesetzt zu einem VSG ergibt das kleine Gräben im Bereich der Folie. Diese zieht sich beim Verpressen etwas zurück, wodurch der Grabeneffekt noch grösser wird und somit Wasser liegenbleibt. Nebst anderen Kantenschützen, die auch den Folienbereich abdecken, führt Glas Marte den «GM Glass Stripe». Dieser Kantenschutz besteht aus einem Element aus Borosilikatglas, das mittels eines hellgrauen oder schwarzen Silikons auf die Elementkante geklebt wird.

Noch einen Schritt weiter geht die deutsche Firma Sedak GmbH mit dem Produkt «Sedak Clear Edge». Eine polierte Glasleiste in der Breite der Elementdicke wird auf eine absolut plane Elementkante geklebt. Nebst der ansprechenden Optik erfüllt das Produkt auch die Anforderungen an einen Kantenschutz. Die Firma kann zudem fugenlose VSG-Elemente mit bis zu 20 Metern Länge liefern.

www.flachglas.chwww.sigab.chwww.glasmarte.atwww.sedak.com

Andreas Brinkmann

Veröffentlichung: 26. November 2020 / Ausgabe 48/2020

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