Doppelter Einsatz

Lehre und Spitzensport. Luca Zybach ist im zweiten Lehrjahr als Schreiner. Gleichzeitig betreibt er Spitzensport. Die Technische Fachschule Bern macht diesen Spagat für ihn und 22 weitere angehende Schreiner möglich.

An der Technischen Fachschule Bern (TF Bern), liebevoll «Lädere» genannt, befinden sich aktuell 23 angehende Schreinerinnen und Schreiner im Programm «Lehre und Leistungsport». Die meisten von ihnen in der Sparte Eishockey, dicht gefolgt von Fussball, Unihockey, Judo, Rugby, Mountainbike und Wassersport. «Ich bin zurzeit der einzige Skifahrer und somit ein Exot», sagt der 16-jährige Luca Zybach und erklärt: «Die Terminplanung als Wintersportler ist besonders schwierig, weil man extrem abhängig vom Wetter ist. Da werden kurzfristig Rennen abgesagt oder eben durchgeführt.» Sogar während des Sommers ist der junge Mann jeweils blockweise gleich wochenlang abwesend, wenn das Training auf den Gletschern Italiens oder in der Skihalle in Hamburg stattfindet. «Wir Skifahrer haben nicht, wie andere Sportler, ein Stadion um die Ecke», erklärt er.

Extreme Flexibilität gefordert

Die Koordination Spitzensport und Berufslehre erfordert maximale Flexibilität vom Lehrbetrieb. Für ein kleineres Unternehmen ist diese Herausforderung fast nicht zu stemmen. Eine Institution wie die TF Bern hat da bessere Karten. Die Technische Fach-schule ist die grösste Schreinerei im Kanton Bern und wird, um ihren Leistungsauftrag zu erfüllen, finanziell vom Kanton mitge-tragen. Noch dazu ist die Schule von Swiss Olympic mit der Vignette «Leistungssport-freundlicher Lehrbetrieb» ausgezeichnet und kann auf dem Gebiet Sportförderung auf Unterstützung zählen.

Als Vollzeitberufsschule bietet sie Berufsbildung aus einer Hand. Darüber hinaus vereint sie Lehrbetrieb und Berufsschule unter einem Dach und bietet auch gleich noch die überbetrieblichen Kurse an. So hat sie die einzigartige Möglichkeit, den Sporttalenten enorme Flexibilität und Betreuung zu bieten.

Grosser Ehrgeiz nötig

«Aktuell trage ich an vier Tagen pro Woche Skischuhe und nur an einem Tag Schuhwerk mit Stahlkappen», erklärt Luca Zybach diesen Umstand sehr anschaulich.

130 Jugendliche absolvieren in der TF Bern gerade die Ausbildung zum Schreiner, das heisst, die anstehenden Aufträge verteilen sich auf 260 Hände. «Im zweiten Lehrjahr habe ich keinen fixen Auftrag, weil ich im Durchschnitt nur einen Tag in der Schule verbringe. Wenn ich anwesend bin, schlies-se ich mich einfach nahtlos einem Team an und arbeite mit. Das funktioniert sehr gut», sagt er und fügt scherzend hinzu: «Wäre das nicht so, wie es ist, müsste der Kunde ja ein halbes Jahr auf seine Bestellung war-ten.» Und dann erzählt Zybach, dass er seit zehn Wochen nicht mehr am Unterricht der Berufsschule teilgenommen hat. «Ich erfülle das Pensum selbstständig zu Hause oder lerne während der Fahrten zu den Trainings- oder Austragungsorten.»

Das hört sich nach unglaublich viel Disziplin und Eigenverantwortung an. Der angehende Schreiner bestätigt das. Er sagt: «Wir Sportler sind nicht nur im Wettkampf ehrgeizig und wollen die Besten sein.»

Vielseitige Schreiner

Auffällig ist, dass von allen Berufsgattungen, die Schreiner am zahlreichsten im «Programm Lehre und Leistungssport» zu finden sind. «Wir Schreiner sind von Natur aus vielseitig. Wir arbeiten mit verschiedensten Materialien, wobei der Werkstoff Holz vielleicht eine speziell offene, natürliche und unverkrampfte Sichtweite fördert», philosophiert Zybach. Für ihn jedenfalls käme kein anderer Beruf infrage. Gleich-zeitig braucht er das Zischen des Schnees unter seinen Skiern, das Dahingleiten über die weisse Pracht, den Fahrtwind im Ge-sicht, die Freiheit, die sportliche Leistung und natürlich auch die Anerkennung.

Ohne «Welpenschutz» unterwegs

Bis April wird Zybach rund 50 Rennen in der Schweiz und in den Nachbarländern fahren. Von Juli bis November sind im Trainingsplan 50 Skitage eingetragen. Schritt für Schritt versucht er das nächst mögliche Kader zu erreichen. Und dann zählt er seine bisher erreichten Erfolge auf. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass er unzählige Pokale und Auszeichnungen in seinem Zimmer aufgestellt hat.

Erst kürzlich traf er beim FIS-Slalom in Sö-renberg auf den deutschen Vizeweltmeis-ter Fritz Dopfer und etliche Weltcupfahrer. «Während zweier Läufe verliere ich auf diese noch 11 Sekunden», sagt Zybach, beisst auf die Zähne und man sieht ihm förmlich an, dass ihn dieser Rückstand wurmt und er gedenkt, diesen wettzumachen. Ab 16 Jah-ren tritt im Skisport der «Welpenschutz» ausser Kraft und somit fährt der angehende Schreiner jetzt gegen Erwachsene mit viel Erfahrung.

Das braucht Geduld und passiert nicht ohne Rückschläge und Frust. Doch Luca Zybach arbeitet sich unermüdlich nach oben. «Ich fing ganz hinten mit Startplatz 140 an. Mein Ziel ist es, bei jeder Punkteauswertung aufzusteigen. Momentan ist mein Startplatz 60», berichtet er nicht ohne Stolz.

Luca Zybach wohnt in Unterlangenegg, einem Tausend-Seelen-Dorf im Kanton Bern. Die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur «Lädere», seinem Lehrbetrieb, dauert gut eine Stunde. Das ist aber noch gar nichts. Es gibt einen Schüler, der kommt von Zürich nach Bern, um Sport und Berufsausbildung unter einen Hut zu bringen. «Meiner Familie gehört die Zybach Holztechnik AG in Unterlangenegg. Eigent-lich hätte ich die Lehre zu Hause machen können. Aber mein Vater meinte, die Tech-nische Fachschule Bern habe einen extrem guten Ruf und viel Erfahrung, wenn es um die Verbindung Spitzensport und Ausbil-dung gehe», erzählt Luca Zybach.

Fiona Schärer segelt und schreinert

Fiona Schärer aus Hinterkappelen im Kanton Bern ist im dritten Lehrjahr als Schreinerin und nimmt gleichzeitig an Segelwett-kämpfen rund um den Erdball teil. Und so hechtet sie vom Training in Palma de Mallorca zum Carneval Race im italie- nischen Imperia. Momentan stehen auch noch die Selektionsrennen für die 420er-Weltmeis- terschaft 2019 in Portugal an. «Da gehe ich stark davon aus, dass wir es schaffen, uns zu qualifizieren», sagt die 18-Jährige.

«Die Schreinerlehre an der TF Bern ist für mich ein grosses Glück. Ohne Segeln kann ich nicht schreinern und ohne Schreinern kann ich nicht segeln. Ich brauche beides zum Leben. In beiden Bereichen habe ich schon wichtige Lebenserfahrungen gesammelt.» In der Saison 2017–18 sowie auch 2018–19 schaffte es Fiona Schärer ins Nachwuchs-Nationalkader, an der Weltmeisterschaft 2018 kam sie unter 52 Teilnehmern auf Platz 37. An der Junioren-Europameisterschaft erreichte ihr Boot den 45. Platz bei 98 Teilnehmenden. «Wir waren eines von 14 Frauenteams», erklärt sie. Langfristig träumt die ambitionierte Sportlerin von einer Olympia-Teilnahme.

Die Sportkoordinatorin organisiert

Sportlehrerin Ursina Reinhard ist als Sportkoordinatorin erste Ansprechpart-nerin der jugendlichen Spitzensportler, die eine Lehre an der TF Bern machen. Zu Beginn des Ausbildungsjahres übergeben ihr die Lernenden jeweils ihren indivi-duellen Trainingsplan. Abwesenheiten sind dort definiert und das ermöglicht der Schule die Planung. Die Wochenpläne werden für jeden Sportler von der Koordinatorin in Absprache mit den Lehrpersonen und den Sportpartnern erstellt und laufend ange-passt.

«Es ist naheliegend, dass diese Schüler, die in der Regel ein Pensum von über 15 Stunden Sport pro Woche absolvieren, vom regulären Sportunterricht dispensiert sind. In dieser Zeit holen sie Schulaufgaben nach, trainieren im schuleigenen Kraftraum oder nutzen das Zeitfenster zur Regeneration», erklärt sie. Sie bewundere die Kraft, die Ausdauer und den Ehrgeiz dieser jungen Leute. «Ich habe grossen Respekt vor dem Einsatz, den sie an den Tag legen.»

Berufsbildner Markus Walther baute bereits 2009 mit seinem Kollegen Daniel Meinen an der TF eine reine Sportlerklasse auf. Vom ersten bis zum vierten Lehrjahr waren 20 angehende Schreiner als Spitzensportler in einer Klasse, das war einmalig», erzählt er. Seit einigen Jahren integrieren sich die Spitzensportler nun, gemäss ihrem Aus-bildungsstand, in die Regelklassen. «Ich habe höchsten Respekt vor diesen jungen Leuten. Trainieren, Niederlagen verkraften und gleichzeitig eine Berufslehre machen. Das ist gewaltig», sagt er.

In der Regel sei es so, dass die Spitzensportler auch beruflich grossen Ehrgeiz hätten. Doch der Berufsbildner relativiert: «Teilnehmer im Programm «Lehre und Leistungssport» müssen sich über eines im Klaren sein: Im Wettkampf müssen sie versuchen der Beste zu sein, in der Schule kann das nicht immer gelingen. Da kommt es auf den Abschluss und nicht so sehr auf die Note an.»

Technische Fachschule BErn

Schule aus der Not geschaffen

1870 befand sich das schweizerische Gewerbe in einer Krise und ein Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften zeichnete sich ab. Aus dieser Not heraus gab das Volk den Segen für die Schaffung der Lehrwerkstätten der Stadt Bern. 1888 startete der Schulbetrieb mit einer Schreiner- und Schuhmacherklasse. Die Schuhmacherei verschwand zugunsten des Mechanikerberufs, es folgten weitere Berufe wie Spengler und Elektroniker. 2014 änderte der Name in Technische Fachschule Bern. Übrig geblieben ist der Spitzname «Lädere».

Die Schreinerabteilung der TF Bern macht aktuell 2,4 Millionen Franken Jahresumsatz. Sie erstellt Produkte vom Prototyp bis zur Kleinserie und bietet Dienstleistungen für Private, Gewerbe und Industrie an. 650 Lernende, 110 Studierende und 103 Vollzeitstellen arbeiten unter dem Dach der TF Bern.

Lehre und Leistungssport

Bei allen Berufen, die in der TF Bern ge-lernt werden können, ist die Kombina- tion Leistungssport und Lehre möglich. Um diesen Weg zu gehen, braucht es eine hohe Lernbereitschaft und eine engagierte, selbstständige und diszipli-nierte Arbeitsweise. Empfehlungen von Swiss Olympic, dem Dachverband der schweizerischen Sportverbände, sind:

Sportliche Kriterien:

  • Inhaberin oder Inhaber einer Swiss Olympic Talent Card regional oder national
  • Mitglied eines regionalen oder nationalen Kaders
  • Leistungssportlerin oder Leistungssportler, deren sportliche Förderung sichergestellt ist
  • Sportspezifischer Trainingsaufwand von durchschnittlich rund zehn Stunden pro Woche

Schulische Voraussetzungen:

  • Abschluss der Real- oder der Sekundarschule
  • Berufsspezifische Voraussetzungen für das Aufnahmeverfahren

Auskunft und Beratung:

E-Mail: ursina.reinhard[at]tfbern[dot]ch

www.tfbern.ch

beb

Veröffentlichung: 07. Februar 2019 / Ausgabe 6/2019

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