Durchgängig für alle

Die Norm empfiehlt die motorisierte Öffnung für Türen. Dazu gibt es inzwischen von den Herstellern vielfältige Lösungen, wie hier aus dem Hause Dormakaba. Bild: Dormakaba

Normen.  Massgebend für das hindernisfreie Bauen ist die Norm SIA 500. In dieser werden auch die Anforderungen an Türen für einen barrierefreien Durchgang geregelt. Trotzdem bleibt so einiges an eigenem Handlungsspielraum, vor allem zugunsten der Betroffenen.

Wer körperlich eingeschränkt ist, stösst im Alltag oft auf Hindernisse. Solche Hürden auf dem Weg durch den Tag fallen gesunden Menschen meist gar nicht auf. Um für die Perspektiven von Behinderten ein besseres Gespür zu bekommen, schlüpft man am besten einmal in deren Rolle. Wer etwa schon einmal im Rollstuhl sitzend versucht hat, eine Tür ziehend in einem engen Korridor zu öffnen, merkt schnell, dass dies eine echte Herausforderung sein kann.

Die Standardbehinderung gibt es nicht

Jeder Mensch empfindet Belastungen anders. Was den einen beansprucht, ist für den anderen ein Leichtes. Und genauso gibt es keinen Standard für Personen mit körperlichen Einschränkungen. Das Bundesamt für Statistik (BFS) schätzt die Anzahl der in der Schweiz lebenden Menschen mit einer Behinderung auf rund 1,7 Millionen. Davon gelten 27 % als stark beeinträchtigt, was 459 000 Personen entspricht. Diese Menschen leben in Heimen und ähnlichen Institutionen. Der weitaus grössere Anteil sieht sich täglich mit mehr oder weniger hohen Hürden im Alltag konfrontiert.

Die Schweiz ergraut schnell

In fast allen reichen Ländern steigt der Anteil alter Menschen kontinuierlich an. In der Schweiz schreitet dieser Vorgang vor allem in diesem Jahrzehnt schnell voran. Laut BFS kamen 2018 auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter genau 30 Menschen im Rentenalter. Bis zum Jahr 2050 steigt der rechnerische Anteil im statistischen Referenzszenario auf 46,5 Personen, die das Erwerbsleben hinter sich gelassen haben. Die sogenannte Alterspyramide ist längst keine mehr. Die Altersstruktur zeichnet derzeit die Form einer Tanne und wird 2050 eine urnenförmige Gestalt haben. Die Gesellschaft wird älter, und damit wird auch die Anzahl derer, die mit Barrieren im Alltag zu kämpfen haben, deutlich zunehmen.

Barrieren möglichst ganz vermeiden

Eine hindernisfreie Architektur dürfte deshalb immer wichtiger werden und noch selbstverständlicher, als es heute bereits der Fall ist. Dennoch: «Im Hochbau gibt es immer wieder relevante Ausführungsdetails für die Nutzung durch Menschen mit Behinderung, die bei der Umsetzung vergessen werden. Deshalb ist es für eine hindernisfreie Architektur sehr wichtig, dass das Handwerk über die Anforderungen und Zusammenhänge möglichst gut Bescheid weiss», sagt Eva Schmidt, Architektin und Leiterin der Fachstelle Hindernisfreie Architektur in Zürich. Die Fachstelle gibt es seit nunmehr 40 Jahren. Die Resultate ihrer Arbeit zum hindernisfreien Bauen sind heute schweizweit anerkannt. Massgebend für hindernisfreie Bauten ist die SIA 500. Die Norm gibt Auskunft darüber, wie hindernisfreies Bauen umgesetzt werden muss. Die Anforderungen an die Hindernisfreiheit sind je nach Art der Gebäudenutzung unterschiedlich. Die Norm differenziert deshalb zwischen öffentlich zugänglichen Bauten, solchen mit Wohnungen und solchen mit Arbeitsplätzen. Wo hindernisfrei gebaut werden muss, regeln dagegen die Gesetze und Vorschriften des Bundes, der Kantone sowie kommunale Bestimmungen.

Eine Norm und viele Türen

Türen sind nur ein kleiner Teil inmitten aller Anforderungen im Aussen- und Innenbereich von Bauten, die durch die SIA 500 geregelt werden. Dennoch sind sie ein integraler Bestandteil des hindernisfreien Bauens. Wichtige Punkte sind dabei etwa die nutzbare Breite bei Türen, Fenstertüren und Durchgängen von mindestens 800 Millimetern sowie das Vermeiden von Höhenunterschieden durch Türschwellen. Falls vorhanden, dürfen einseitige Schwellen nicht höher als 25 mm sein. Zulässig sind auch Abdeckschienen mit flacher Wölbung. Wenn aus konstruktiven Gründen Türen und Fenstertüren in den Aussenbereich eine Schwelle aufweisen müssen, darf diese beidseitig bis zu 25 mm über den Böden innen und aussen hochstehen. «Das Überwinden von Schwellen und das Öffnen von Drehflügeln sind die entscheidenden kritischen Punkte bei Türen», erklärt Schmidt (kleines Bild). Denn jede Schwelle ist ein Hindernis. «Wenn man Höhenunterschiede mit dem Rollator überwinden möchte, muss man diesen seitlich kippen. Wenn Sie in einem Türdurchgang stecken, geht das kaum», sagt die Expertin. Entscheidend ist auch der Platz vor einer händisch bedienbaren Drehtür. Auf der Seite des Schwenkbereiches muss neben dem Türgriff mindestens 60 cm Platz sein, wie auch vor dem Flügel im geöffneten Zustand. Nur so können auch Rollstuhlfahrer mit manuellen Drehflügeln klarkommen. Bei der Realisierung des notwendigen Platzes stossen die Fachleute in der Praxis oft an Grenzen. «In einem Neubau ist es in aller Regel möglich, die Manövrierflächen vor den Türen bereitzustellen. Wenn aber im Bestand nicht genügend Fläche um die Tür vorhanden ist, kann man das schlecht korrigieren», sagt Schmidt. Im Wohnungsbau sei dies öfter ein Punkt als im öffentlichen Bereich.

Wenn der Platz beschränkt ist

Aber auch ohne Rollstuhl sind beengte Platzverhältnisse für körperlich eingeschränkte Personen oft eine Herausforderung. Das betrifft etwa Einrichtungen im Gesundheits- und Pflegebereich. Dort sind die Zugänge zu den integrierten Nasszellen in den Zimmern räumlich oft eher beengt. Eine Antwort darauf gibt die Firma Bach Heiden aus Heiden AR mit «Jaso». Die leichtgängige und robuste Tür mit Drehpunktverschiebung ermöglicht den barrierefreien Zugang für Personen mit eingeschränkter Mobilität. «Unsere raumsparende Tür wird vielfach in Nasszellen von öffentlichen Gebäuden wie Spitälern, Pflege- und Altersheimen eingesetzt», sagt Mark Brassel, Geschäftsführer der Bach Heiden AG. Aktuell kommen 40 Türen des Typs beim Projekt Kaserne Frauenfeld zum Einsatz. «Jaso» hat sich dabei gegen eine Faltraumspartür-Lösung durchgesetzt. «Beide Türen wurden parallel eingebaut und verglichen. ‹Jaso› überzeugte hinsichtlich Stabilität, Langlebigkeit und Ästhetik», erklärt Brassel. Die besondere Tür wurde bereits 2007 entwickelt, patentiert und seither stetig weiterentwickelt. Das Unternehmen vertreibt diese auch an Schreinerkolleginnen und -kollegen. Die Raumspartür wird auf Mass realisiert. In der gängigen Breite von 800 mm entspricht sie auch der Mindestbreite für Rollstuhlfahrer. Dank des zweiten Drehpunkts in der Fläche des Türblattes braucht «Jaso» deutlich weniger Platz, wodurch die normativen Bestimmungen für die Mindestmasse vor dem geöffneten Flügel deutlich leichter erfüllt werden können.

Solche Eigenentwicklungen tragen auch da- zu bei, die Kompetenz des hindernisfreien Ausbaus beim Schreiner zu verorten. Sind individuelle Lösungen nötig, denen sich das Schreinerhandwerk oft gegenüber sieht, kann Hilfe in Anspruch genommen werden. «Es gibt in jedem Kanton eine Fachstelle für hindernisfreies Bauen mit Experten, die auch Details beurteilen können. Wer eigene Entwicklungen oder individuelle Lösungen umsetzen möchte, sollte unbedingt Kontakt zu den Fachpersonen aufnehmen», sagt Eva Schmidt.

Automatisierung fördert Schiebetüren

Generell favorisiert die SIA 500 eine automatisierte Türöffnung. Und dabei vorzugsweise eine Schiebelösung. Während automatisch öffnende Drehtüren wegen des Schwenkbereiches auch Risiken bergen, sind motorisierte Schiebelösungen über jeden Zweifel einer Eignung zur Barrierefreiheit erhaben. Die Beschlaghersteller haben darauf reagiert und eine Reihe von technischen Lösungen auch zur Nachrüstung von Schiebetüren auf den Markt gebracht. Für die handwerkliche Ausführung von automatisierten Türen gibt es inzwischen vielfältige Möglichkeiten. So kann die Ansteuerung des Öffnungsvorganges etwa über Radarbewegungsmelder, über Funk und mobile Auslöser, einen Taster, Sensoren oder einfach einen gewöhnlichen Schalter erfolgen.

Das soll dort, wo es räumlich möglich ist, durchaus einem gewissen Trend hin zum Ersatz von Drehtüren durch Schiebevarianten entsprechen. Aber auch für Drehtüren gibt es automatisierte, erprobte und steckerfertige Lösungen.

Karusselltüren und Drehkreuze sind ein rotes Tuch im hindernisfreien Bauen. Nach SIA 500 müssen diese zwingend durch automatisierte Türen nach den normativen Grundlagen ergänzt sein.

Türschliesser können schwierig sein

Bei den Türschliessern zum manuellen Bedienen von Drehtüren hat sich einiges getan. Moderne Gleitschienentürschliesser sind durchaus geeignet, die Anforderungen an die Hindernisfreiheit zu erfüllen, bieten diese heute doch ein hohes Mass an Komfort bei der Benutzung. Neben der einstellbaren Schliessgeschwindigkeit ist es vor allem der geringere Kraftaufwand beim Öffnen, der für mehr Komfort sorgt. Neue Technik senkt das zu überwindende Öffnungsmoment deutlich. Bei Dormakaba soll der Mechanismus den nötigen Kraftaufwand um 40 % reduzieren. Die SIA 500 lässt als maximal einzusetzende Kraft 30 N zu. Die neuen Generationen von Türschliessern lassen eine exakte Einstellung über eine Anzeige zu, bei älteren Modellen kann nur geschätzt werden. Trotzdem sorgt der Türschliesser auch in Neubauten vereinzelt für Schwierigkeiten. «Es gab schon Fälle, in denen man die Türen nachträglich automatisieren musste, weil die Bedienbarkeit nicht gegeben war. Das kann an der nötigen Schliesskraft eines Obertürschliessers liegen», sagt Schmidt. Auch weitere nötige Eigenschaften wie Brandschutz oder die Einbruchhemmung würden die Hindernisfreiheit von Türen nicht gerade fördern.

Eine gewisse Sonderstellung nehmen Pivot-Türen ein. Für die meist grossformatige Realisierung der oft in beide Richtungen mit wenig Kraft zu öffnenden Türkonstruktion sorgen die besonderen Beschläge, deren Drehpunkt aus der Ecke in die Fläche der Tür wandert. «Meine zweijährige Tochter kann so eine Tür mit drei Mal zwei Metern aufdrücken», sagt Robert Niederer, zuständig für den Verkauf bei Air Lux, einem Tochterunternehmen der Krapf AG in Engelburg SG. Und: «Mit der patentierten doppelten pneumatischen Dichtung ist die Konstruktion auch in den Aussenbereich öffnend nahezu schwellenfrei», so Niederer.

Den Drücker im Griff

Neben der Schwellenhöhe, der Grösse des Raumes um eine Tür, der Öffnungsart und dem nötigen Kraftaufwand zum Betätigen der Tür sind die Griffmöglichkeiten, die Anordnung und die Form des Türdrückers für eine hindernisfreie Bedienung wichtige Elemente. «Knauf und Muschelgriff werden von der Norm explizit abgemahnt», betont Eva Schmidt. Diese entsprächen grundsätzlich nicht dem Anspruch an eine hindernisfreie Bedienung. Der klassische Türdrücker oder die Griffstange sind besser. Da aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrenden übliche Drückerhöhen einen ungünstigen Hebel mit sich bringen, scheint die Bedienungsmöglichkeit auf variablen Höhen die ideale Lösung.

Die Position des Türdrückers darf laut SIA nicht höher als 110 cm liegen. «Das wird zwar in der Norm nicht explizit erwähnt, lässt sich aber ableiten. Die Autorenschaft der SIA 500 schreibt, dass mit der Platzierung von Bedienelementen so verfahren werden muss. Und der Türdrücker stellt eben ein Bedienelement dar», erklärt Schmidt.

Schwierig dabei sei, dass man in der Baueingabe nicht sehen könne, welche Drückerhöhe und welche Form der Drücker am Ende haben werde. Eine Folge kann sein, dass es zu Schwierigkeiten bei der Türbedienung für beeinträchtigte Menschen kommt. An solchen Details zeigt sich, wie wichtig es ist, dass alle Beteiligten das Ziel der Hindernisfreiheit im Blick haben. Denn: «Bei der Bauabnahme ist die Kontrolle eher bescheiden, was die Anforderungen angeht. Das liegt auch daran, dass die Personen nicht immer geschult sind in Sachen Hindernisfreiheit», sagt Schmidt.

Die Orientierung im Blick

Zu den Bedienhilfen und zur besseren Orientierung gehören gerade bei Türen auch visuelle und taktile (mittels Tastsinn wahrnehmbare) Hilfsmittel. Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen (SZB) in St. Gallen geht in einer Studie aus dem Jahr 2012 davon aus, dass etwa 325 000 Personen mit einer Sehbehinderung in der Schweiz leben. Etwa 10 000 Menschen davon gelten laut SZB als blind. Ansonsten gilt auch bei der Sehbehinderung: Sie hat viele Gesichter. «Visuelle Kontraste spielen eine wichtige Rolle. Diese können auch zur Lenkung eingesetzt werden, indem die Tür des Büros für das Pflegepersonal etwa unscheinbar in der Wand integriert ist, während wichtige Türdurchgänge für die Bewohnerinnen und Bewohner einer Institution sich deutlich von der Umgebung abheben und so einfacher wahrgenommen werden können», erklärt Schmidt.

Auch hier gibt es eine ganze Palette an Möglichkeiten, so etwas umzusetzen: Material- und Farbwechsel, die Inszenierung mit Licht oder visuell kontrastreich ausgebildete Rahmen für Türen sind einige Varianten, die Erleichterung schaffen.

Abhilfe kann einfach sein

Gerade bei den visuellen und taktilen Signalen lassen sich Türen auch nachträglich leicht ertüchtigen. Das fängt schon bei der Beschriftung an, die dort, wo hindernisfreies Bauen gefordert ist, eine genügende Grösse haben und stark kontrastierend sein sollte. «Taktile Beschriftungen gehen oft vergessen. Gerade die Geschlechterkennzeichnung bei Toiletten ist oft nur visuell wahrzunehmen, aber nicht über den Tastsinn», sagt Schmidt. Der Platz für die Anbringung der visuellen und taktilen Hinweise auf und neben Türen ist übrigens nicht geregelt. «Diese Information kann auf der Tür zentriert sein, wo man den Hinweis auch zuerst suchen würde. Aber auch die Anbringung neben der Tür ist möglich», sagt Schmidt.

Es gibt auch Fragestellungen, die von Experten durchaus kontrovers gesehen werden und konkrete Auswirkungen für die Betroffenen haben. So werde immer wieder darüber diskutiert, ob bei mehreren verfügbaren Türen auf den Balkon oder zur Terrasse alle in hindernisfreier Form ausgebildet sein müssen. Ähnliches gelte bei mehreren Badezimmern. «Reicht es dann, wenn ein Zugang zu einem Badezimmer hindernisfrei ist?» Fragen wie diese stellen sich Expertinnen wie Eva Schmidt. In jedem Fall dürfte ihr die Arbeit auf dem Weg zur Durchgängigkeit für alle auf absehbare Zeit wohl nicht ausgehen.

Christian Härtel

www.hindernisfreie-architektur.ch
www.bach-heiden.ch
www.dormakaba.com
www.frank-tueren.ch
www.air-lux.ch

 

Veröffentlichung: 20. Mai 2021 / Ausgabe 21/2021

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