Ein unterschätzter letzter Durchgang

Mehrseitig gewölbte Platten müssen von Hand geschliffen werden. Bild: Andreas Brinkmann

Zwischenschleifen.  Gewölbte und strukturierte Oberflächen sind beliebt und immer einfacher herstellbar. Dies führt zu Diskussionen über die Frage, wie der Zwischenschliff beim Beschichten solcher Flächen geht. Doch die Problembewältigung beginnt schon einiges früher.

Wenn ein Kundenauftrag die Planung verlässt und Schritt für Schritt in der Werkstatt Gestalt annimmt, wächst auch immer das, was man Handwerkerstolz nennt: Die Freude an einer perfekten Umsetzung und der sich steigernden Wirkung der Produktelemente. Die Oberflächenveredelung ist dann das Tüpfelchen auf dem i. Sie ist das, was optisch, haptisch und auch funktionell noch die letzte gewünschte Wirkung herausholt. Sie ist aber auch das, was dem Produkt zusätzlichen Wert gibt und es langfristig nutzbar macht.

Wirkungen im Arbeitsablauf

«Ein guter Schliff der Holz- oder Holzwerkstoffoberfläche ist für eine hohe Oberflächenqualität ausschlaggebend», steht in den Lernunterlagen zum Oberflächenspezialisten, den das Berufs- und Weiterbildungszentrum (BWZ) in Lyss zusammen mit der Adler Lack AG ausbildet.

Dieser schlichte Satz basiert auf einem vielfältigen Hintergrund: Die äusserst feinen Beschichtungen durch Einfärbungen, Lacke oder Öle verstärken die optische Wirkung von allen Flächen, auf denen sie aufgebracht werden. Unterschiede in der Saugfähigkeit, in der Licht- und Schattenwirkung von Schleifspuren oder bei Bearbeitungsfehlern erzeugen eine verstärkte Fleckenwirkung. Haptisch fixieren und verhärten die Mittel das, was sich damit vollsaugt und beim Trocknen hart wird. Schleifstaub und Fasern sind dann in ihrer Position erstarrt, wodurch sich die Fläche rau anfühlt.

Ein «guter» Schliff

Bei der Verarbeitung ebener Plattenmaterialien bedeutet eine gute Oberflächenveredelung, dass die Platte mit der Breitbandschleifmaschine so geschliffen wird, dass keinerlei Spuren von irgendwelchen vorherigen Bearbeitungsschritten mehr sichtbar sind. Auch sind keine Leimflecken und dergleichen mehr vorhanden. Nur noch das gleichmässige Schleifbild ohne Fehler in der für das Ziel erforderlichen Körnung bildet die Ausgangslage. Auch beim Verputzen der Kanten ergeben sich keine erneuten Diagonalspuren mehr.

Nach der Entstaubung, der Grundlackierung, dem ebenfalls perfekten Zwischenschliff und der erneuten Entstaubung schliesst die Decklackierung die Arbeit ab. Etwas anders sieht das Ganze bereits dann aus, wenn die Platte in eine Richtung gewölbt ist. Dann kann zwar mit einer Exzenterschleifmaschine oder einem Rutscher gearbeitet werden. Wichtig ist es in diesem Fall aber, darauf zu achten, dass keine ringförmigen Kratzer entstehen. Denn gerade beim Holzschliff werden diese sonst mit jeder Art von Beschichtung stark sichtbar. Der Zwischenschliff einer lackierten Fläche ist da nicht ganz so empfindlich, da die nächste Lackschicht die vorherige egalisiert und etwas anlöst.

Ist das Werkstück mehrseitig stark gewölbt, sollte von Hand mit flexiblem Schleifmaterial gearbeitet werden. Die Sia Abrasives Industries AG in Frauenfeld empfiehlt, Flächen immer mit flexiblen Schleifmitteln zu bearbeiten, die den Druck gleichmässig verteilen. Das direkte Schleifen mit Schleifpapier oder -vlies kann den Druck der Finger übertragen, wodurch es zu einem ungleichmässigen Schleifbild kommt. Die verschiedenen Produkte der Firma lassen sich unterschiedlich verformen und sollten daher sehr bewusst ausgewählt werden.

Wissen, worauf man sich einlässt

Computergesteuerte Bearbeitungscenter mit intuitiv zu handhabenden Steuerungsprogrammen erlauben fortlaufend raffiniertere Frässtrukturen, mit denen Oberflächen von Platten spannend und edel gestaltet werden können. Je mehr möglich ist, desto grösser werden auch die Begehrlichkeiten. Schnell einmal landet eine fantasievoll strukturierte Wandverkleidung oder Möbelfront in der Oberflächenabteilung und soll beispielsweise eine matte, anfeuernde Lackierung erhalten. Natürlich in der gleichen Qualität wie die Flächen der glatten, kubischen Elemente nebenan.

Betrachtet man die perfekt gefräste Oberfläche der Platte (Bild rechts), sind auch bei näherem Hinschauen keine Werkzeugspuren zu sehen. Und doch gibt es einen Haken: Die Platte besteht aus einem Mineralwerkstoff. Wäre sie aus MDF oder sogar Massivholz, müsste mit Materialfehlern und entsprechend kleinen Ausrissen gerechnet werden. Für einen Schleiflackaufbau kann man diese natürlich füllen, was aber zeitaufwendig wird. Bei klarlackiertem Massivholz geht das nicht. Die Kittflecken würden optisch hervorstechen. Zudem ist der Handschliff der Vertiefungen eine grosse Herausforderung.

Formgebende Kanten

Diesen subtilen Wechsel der sich endlos wiederholenden Form so zu schleifen, dass das Bild perfekt bleibt, dürfte in der Realität kaum möglich sein. Die dünnen, scharfkantigen Übergänge würden darunter leiden und somit liesse sich die optische Linie nicht mehr perfekt halten.

Der Anwendungstechniker Walter Streiter der Firma Adler in Österreich weist darauf hin, dass sich beim Auftragen die Oberflächenspannung der Beschichtung an scharfen Kanten verändert. Der Lack zieht sich etwas zurück und die sowieso schon stärker beanspruchte Partie wird weniger geschützt

– ein Durchschleifen ist somit vorprogrammiert. Für den Aussenbereich braucht es einen Radius von mindestens 3 Millimetern, um das zu verhindern. In Innenräumen reichen dazu auch 2 Millimeter.

Scharfe Kanten gibt es auch anders herum: Eine V-Nut hat beispielsweise eine Innenkante. Auch diese muss einen leicht runden Grund aufweisen, damit dort nicht eine Lackbrücke und somit ein Hohlraum entstehen kann, der sich als weisse Linie zeigt.

Die Nacharbeit vermeiden

Stefan Koller, Leiter der Schweizer Niederlassung von Votteler in Schwarzenbach SG, betont, dass der Aufwand von gross zu enorm ansteigen kann, wenn die Vorgehensweise unüberlegt und unvorbereitet ist – egal, was sich beispielsweise ein Architekt für seinen Kunden wünscht. Das fängt bei der Bestimmung des Materials, der Konstruktion und der Formgebung an. Das Ziel ist, so zu fräsen, dass es kaum Nacharbeit braucht. Der Aufwand wird dort sicher grösser, ist aber kalkulierbar und somit unter dem Strich sicher und günstiger.

Das Material muss möglichst homogen, dicht und einfach zu bearbeiten sein. Ausrissfreies Fräsen kann zudem mit scharfem Werkzeug und einer geeigneten Laufrichtung erreicht werden. Lufteinschlüsse, auch bei undichten Leimfugen, sowie gestauchte Holzfasern ergeben eine raue Lackoberfläche. Das sollte aber von Anfang an vermieden werden. Auch ist darauf zu achten, dass alle Reliefbereiche mit der Spritzpistole erreicht werden können, ohne dass viel Nebel entsteht. Je grösser die Radien und je flacher die Konturen ausfallen, desto einfacher verläuft die Beschichtungsarbeit. Das gilt bei grobporigem Holz umso mehr.

Ein eigenes Produkt

Bei wasserbasierenden Systemen ist die Aufrauung der Oberfläche grösser als bei lösemittelhaltigen. Das kann man nutzen und den ersten Lackdurchgang lösemittelhaltig ausführen. Bei Ölen hilft es, dünn aufzutragen und gut einzupolieren.

Eine gute Oberflächenstruktur ist für sich schon ein eigenes Produkt und eine Visitenkarte für spätere Kunden. Es lohnt sich daher, diese Arbeit sorgfältig aufzubauen und zu dokumentieren, damit sie so oder abgewandelt für spätere Aufträge zur Verfügung steht. Aufwand sowie Qualität lassen sich somit sicher kalkulieren.

Im Engadin wurde zum Beispiel eine Aussentür als Kunstobjekt hergestellt und sehr aufwendig von Hand beschichtet. Sie ist ein absolutes Einzelstück und das zu einem angemessenen Preis.

www.bwzlyss.chwww.adler-lacke.comwww.sia-abrasives.comwww.votteler.com

ab

Veröffentlichung: 27. Februar 2020 / Ausgabe 9/2020

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