Eine Kunst für sich

Im Prinzip ähnlich: Bach Heiden fräst auf der CNC das Kunststoff-Eckelement für ein Garagendach. Bild: Bach Heiden AG

Kunststoffe.  Das Herz der Schreiner schlägt für Holz, Kunststoff verarbeiten sie weniger häufig, sie weichen dafür oft auf Zulieferer aus. Denn es braucht spezielles Wissen und spezielle Maschinen, um das Material zu beherrschen. Doch es gibt Schreiner, die damit Erfolg haben.

Im Schreineralltag tauchen immer öfter auch Kunststoffe auf. Diese können Dinge, die Holz nicht kann. Sie lassen Licht durch, sind transparent und leicht, in der Regel auch wasserabweisend. Im und vor dem Gebäude haben sie unendlich viele Einsatzmöglichkeiten. Und einfach zu bearbeiten sollen sie auch sein. So beteuern es zumindest die Hersteller. Kunststoffe seien bruchsicher und ohne Ausschuss mit den normalen Schreinerwerkzeugen zu verarbeiten, heisst es. Aber was ist denn «normales» Schreinerwerkzeug? Bei welchen Temperaturen soll man schneiden? Womit bohren? Wie und womit lackieren und kleben? Und was machen mit den Kanten? Kurz: Für den Schreiner, der von Natur aus gerne mit Holz arbeitet, ist es ungewohnt, Hand ans eher unbekannte Material zu legen. Bei Plexiglas geht es noch einigermassen. Mit jedem gerade verzahnten Sägeblatt für Aluminium lässt sich Acrylglas noch relativ problemlos zuschneiden. Doch beim Bohren fängt es dann an. «Bei Acrylglas heisst es: Hände weg vom Holzbohrer. Sonst splittert es und bricht aus, sobald der Bohrer an der Unterseite des Materials wieder austritt», sagt Daniel Huster (Bild). Der gelernte Maurer arbeitet seit über 10 Jahren bei der Neoplex AG in Zürich Altstetten. Immer wieder hat er sich auf dem Gebiet der Kunststoffverarbeitung fortgebildet. Wenn er von Acrylglas XT und GS, von Polycarbonat und Forex spricht, so tut er das mit dem gleichen Berufsstolz wie ein Schreiner, der von den verschiedenen Holzarten erzählt. «Ich finde, es macht wirklich Sinn, wenn der Holzspezialist sich Hilfe beim Kunststoffspezialisten holt. Sich neben dem umfangreichen Holzwissen auch noch mit Kunststoffen auszukennen, ist für einen Schreiner fast nicht möglich.»

Neoplex hilft aus

Die Neoplex AG hat sich 1952 auf die Verarbeitung von Plexiglas und anderen Kunststoffen spezialisiert. Unter anderem macht das Unternehmen viele Zuschnitte und Arbeiten für Schreinereien. Laut Huster tun sich vor allem kleinere Schreinerbetriebe schwer mit Kunststoff, denn der Umgang damit erfordert Übung, Erfahrung und oft auch spezielle Maschinen. Und da hilft Neoplex aus: von Notverglasung für eingeschlagene Fenster mit bruchfestem Polycarbonat bis zu schönen Schiebetüren für Möbel wie Sideboards oder Ersatz für nicht mehr erhältliche Leuchtenabdeckungen. «Man könnte sagen, wir sind die Schreiner für Kunststoffe», sagt Huster.

Und tatsächlich: Wäre da nicht der Hauch von Chemie in der Luft, so könnte man glauben, bei Neoplex in einer Schreinerwerkstatt zu stehen. Tischkreissäge, Striebig und eine CNC-Fräse mit einer maximalen Bearbeitungsfläche von 3 auf 2 Meter lassen beim Schreiner erst einmal Heimatgefühle aufkommen. Auch das Materiallager, das zwar nicht aus Holz, sondern aus unglaublich vielen Kunststoffplatten besteht, erinnert an eine Schreinerei.

Wo der Unterschied liegt

Doch es gibt auch Räumlichkeiten mit Gerätschaften, wie sie wohl in keiner Schreinerwerkstatt zu finden sind. Genau auf diese kommt es an, um präzise und effizient mit Kunststoffen zu arbeiten. Zum Beispiel auf die Kantenpoliermaschine, welche die Schnittkanten von Acrylglas und anderen thermoplastischen Kunststoffen direkt mit einem Diamantkopf poliert. Spannungsarm, glasklar, hochwertig und schnell. Neben der Kantenpoliermaschine steht die Laserschneidmaschine zum Schneiden und Gravieren von Acrylglas bis zu einer Dicke von 20 Millimetern. Die Dritte im Bunde ist eine Biegemaschine zum linearen Umformen von Kunststoff und zur Herstellung eines exakten Abbugs. Die Maschine erwärmt das Material mithilfe eines heissen Drahts, und zwar nur dort, wo man es auch biegen möchte. Die Temperatur macht die Musik. Würde man zu hohe Hitze walten lassen, würde das Material ausgasen. Nach dem Aufbiegen wird es gehalten, bis es komplett ausgekühlt ist. Je dicker das Material, desto länger dauert dies. Und dann spricht Huster von einem weiteren Problem, das Schreinereien haben könnten, wenn sie Kunststoffe verarbeiten. «In den Absauganlagen vermischt sich der Holzstaub mit dem Kunststoff. Das führt zu Verstopfung.»

Bei der Neoplex AG kann man das Material online fertig zugeschnitten, gebohrt und bearbeitet bestellen. «Unsere Stammkunden rufen aber einfach an und schicken uns dann per Mail die Pläne», sagt er. Die Seilschaft zwischen «Kunststoffschreiner» und «Holzschreiner» funktioniert auch andersherum. «Manchmal möchte ein Kunde, dass wir auch Montagen machen. Das machen wir nicht. Diese Aufträge leiten wir direkt an den Schreiner weiter», sagt er.

Einige haben es voll drauf

Während der Pandemie hatten viele Schreinerbetriebe mit Plexiglas zur Herstellung von Spuckschutzwänden zu tun. Mit Acrylglas kommen die meisten mittlerweile gut zurecht. Auf die telefonische Anfrage der Schreinerzeitung, ob man denn auch andere Kunststoffe verarbeite, winkten aber die meisten ab.

Einer der Schreinerbetriebe, der auch Kunststoff verwendet, ist die Bach Heiden AG in Wolfhalden AR. Momentan arbeiten hier 60 Mitarbeiter. Kürzlich kam das Unternehmen den Konstrukteuren eines freischwebenden Dachs für eine neue Autogarage zu Hilfe. Als sich die geraden Aluminiumkanten gerundet mit einem Radius von fünf Metern in einem Winkel von 90 Grad treffen sollten, gerieten die Metallbauer an ihre Grenzen. «Aluminium lässt sich nicht faltenfrei nach hinten und zugleich um die Kurve biegen. Dreidimensionale Verformung mit diesem Radius – das geht nicht», erklärt Sandro Keller, gelernter Schreiner und seit 2015 Co-Geschäftsleiter der Bach Heiden AG (Bild). Und so stellte man in der Wolfhaldener Werkstatt einfach zwei Segmente aus PUR-Hartschaum RG60 her, fügte diese zusammen und lackierte sie fünfmal «Alu-like». Die Teile fungieren jetzt als eine Art gebogener Adapter zwischen den geraden Aluminiumprofilen. 290 Zentimeter lang, 52 Zentimeter hoch und 84 Zentimeter breit, fügt sich dieses Kunststoffteil des Schreiners ins Gesamtbild ein.

PUR-Hartschaum ist in der Variante RG60 ein extrem dichter Kunststoff. Das bedeutet: wenig Lufteinschlüsse, glatte Oberfläche, leicht zu bearbeiten mit PU-Leim. Solche Details sind, wenn man nicht tagtäglich mit Kunststoffen zu tun hat, schwer einzuschätzen. «Das erfordert eine komplexe Materialabklärung. Selbstverständlich kann man den Kunststoff auch thermisch verbinden, durch Hitze in einen flüssigen Aggregatzustand bringen, aber dazu braucht man eine Anlage. Ein Bügeleisen genügt nicht», sagt er. «Grundsätzlich lassen sich Kunststoffe mit dem richtigen Werkzeug genauso bearbeiten wie Holz. Das Problem sind oft die Drehzahlen. Da muss man viel ausprobieren, damit das Material nicht ausreisst», erklärt er. Denn bei Kunststoff komme es extrem darauf an, wie langsam oder schnell man die Fräse und den Vorschub einstelle und ob man Hartmetall- oder Diamantwerkzeug wähle.

Als Beispiel dafür nennt Sandro Keller einen Auftrag, den die Bach Heiden AG 2017 realisierte. Damals kam ein Planungsbüro auf den Schreiner zu. Es ging um einen Messestand für die Expo in Astana, der Hauptstadt Kasachstans. Die Wände waren wie ein Sandwich aus Plexiglas. Scheibe, Wabenstruktur und wieder Scheibe. «Wir packten an die 60 fast 5 Meter grossen Platten auf unsere CNC-Fräse. Um diese Komposition ohne Ausriss zuzuschneiden, brauchte es viel Erfahrung», sagt Keller. An den 122 Teilen arbeitete man zwei Wochen lang.

Mit ambitionierten Projekten wie jenem in Kasachstan oder dem Garagendach positioniert man sich am Markt. Auftraggeber in diesem Bereich sind meistens andere Firmen oder die öffentliche Hand. Um die Jahrtausendwende hat man auch schon mal Küchen für Private mit Fronten aus Dibond, Aluminiumplatten mit Kunststofffüllung, gemacht. «V-Nut gefräst und dann leicht gebogen. Ich sage ‹leicht›, aber auch so eine Arbeit erfordert Fingerspitzengefühl und Wissen. Es ist schon verständlich, dass Schreiner, deren Herz für Holz schlägt, einen grossen Bogen um Kunststoff machen.»

Katz bildet aus

Um dem entgegenzuwirken, bietet das Kunststoff-Ausbildungs- und Technologie-Zentrum in Aarau (Katz) unter anderem Kurse für die professionelle Bearbeitung von Kunststoffplatten und Kunststoffprofilen an. Die Kurse richten sich speziell an Handwerker. «Mit einer Erweiterung seiner Fähigkeiten und seines Wissens, begleitet von einer gezielten Ausstattung mit Maschinen, kann der Schreiner dann die grosse Welt der Kunststoffe für seine Arbeit besser nutzen», sagt Werkstoffingenieur Rémy Stoll, seit 2002 Leiter des Katz. Drei Kurse im umfangreichen Angebot sind relevant für Schreiner. Der «Grundlagen Apparatebau und Handschweissen» eignet sich speziell für die Verarbeiter von Forex oder anderen Kunststoffplatten (www.katz.ch/ags). Im Kurs «Faser-Kunststoff-Verbunde» lernt man den Aufbau und die Verarbeitung von Werkstoffen wie zum Beispiel Glaslaminat (www.katz.ch/fkv). Und es gibt auch einen speziellen Kurs für die Acrylglas-Bearbeitung (www.katz.ch/pg).

www.bach-heiden.chwww.neoplex.ch

Gängige Kunststoffe

Polycarbonat

Polycarbonat ist transparent und schlagresistenter als Acrylglas. Zudem ist das Material auch kalt umformbar. Ungeeignete Klebstoffe führen allerdings zu Trübung und Rissen.

Forex

Forex ist seit 1977 eine eingetragene Schutzmarke der 3A Composites Airex AG. Sie bezeichnet Hartschaumstoffplatten, die typischerweise aus PVC bestehen. Die Schaumstoffe werden beim Erhitzen weich und formbar. Bei zu grosser Hitze geht die Schaustruktur verloren, und der Kunststoff zersetzt sich. Forex ist schweiss- und klebbar.

Acrylglas

Bei Acrylglas handelt es sich um Kunststoffplatten aus Polymethylmethacrylat (PMMA). Die Firma Röhm stellt das Original, Plexiglas, her. Das Material ist nicht leicht zu brechen, kann gesägt, thermogeformt und geklebt werden. Die Bearbeitungsspuren an den Kanten werden durch Flammpolieren oder mechanisches Polieren entfernt. Beim Überhitzen wird es trüb. Acrylglas gibt es in zwei Ausführungen:

Acrylglas GS: Es weist höhere Witterungs- und Alterungsbeständigkeit als normales Acrylglas auf sowie eine bessere Oberflächenqualität. Zudem zeichnet sich das Material dadurch aus, dass es nicht anfällig ist auf Spannungsrisse.

Acrylglas XT: Besser verklebbar, leichter umformbar, niedrige Stärketoleranz, günstigerer Preis.

Dibond

Dibond ist eine eingetragene Schutzmarke von 3A Composites für Mehrschichtplatten aus Aluminium und Kunststoffen. Die klassische Dibond-Platte hat einen Polyethylenschaumstoffkern. Mit mineralischem Kern erfüllen sie erhöhte Brandschutzanforderungen. Eine harte Aluminium-Ober- fläche zeichnet Dibond aus, wie auch Biegesteifigkeit bei wenig Gewicht.

Glaslaminat Rauvisio

Rauvisio von Rehau ist bruchsicher, biegbar und um 50 Prozent leichter als Glas. Zuschnitte sind ohne Bruchgefahr und Ausschuss mit Holzbearbeitungswerkzeug möglich. Das Material schafft grossen Gestaltungsspielraum für beispielsweise Nischenrückwände oder fugenfreien Nassraumeinsatz.

PUR-Hartschaum

PUR-Hartschaum ist FCKW-freier Dämmstoff mit Isoliereigenschaft. Das Material ist in verschiedenen Dichten erhältlich, als Platte oder im Block. Als duroplastischer Werkstoff ist PUR-Hartschaum nicht schmelzbar. Er ist unverrottbar, fäulnis- und schimmelbeständig sowie lackierbar und ist für den Aussenbereich geeignet.

Beatrix Bächtold, beb

Veröffentlichung: 19. Mai 2022 / Ausgabe 20/2022

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