Eine Reise zu den Materialien

Rechts der Wand entlang verläuft die Schausammlung. Mittig gruppieren sich die Arbeitsplätze, flankiert von den Musterschränken, links stehen Tische zum Experimentieren. Bild: Gewerbemuseum Winterthur

Ausstellung.  Im Material-Archiv des Gewerbemuseums Winterthur kann der Schreiner Werkstoffe entdecken und anfassen. Was haben manche Thermoplaste mit Karton gemeinsam? Und warum ist eine Spanplatte mit einem Pilzwerkstoff verwandt? Eine interaktive Spurensuche.

Auf der Schublade des mannshohen Musterschrankes steht «Baumhasel». Darin liegt ein rohes Holzstück; rauh fühlt sich die Oberfläche an, geschmeidig dagegen die glanzlackierte Version. Das Holz liegt auch geölt, gewachst und matt lackiert vor. «In unserer Mustersammlung kann man Holz und andere Materialien anfassen, riechen, anschauen», sagt Mario Pellin, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Material-Archiv des Gewerbemuseums Winterthur. Ein analoger Erlebnisraum in unserer digitalisierten Welt – aber nicht nur das.

Von der Spanplatte zum Pilzwerkstoff

Die Online-Datenbank mit zurzeit 1113 Datensätzen bildet das Kernstück des Material-Archivs. Der Vorteil: «Online kann ständig aktualisiert und geordnet werden», sagt Pellin. Zu den 15 Materialgruppen zählen etwa Metall, Glas oder Farbmittel. Zu Holz und Holzwerkstoffen bestehen rund 130 Datensätze. In einer anderen Schublade liegt eine Spanplatte mit RFID-Tag. Wird dieses gescannt, erscheint am Monitor das dazugehörige Datenblatt mit Eigenschaften, Bearbeitung, Anwendungsformen und Hinweis auf verwandte Materialien. Hier ist es Okoumé, ein aussereuropäisches Holz, das auch zu Spanplatten verarbeitet wird – und ein Pilzwerkstoff aus Myzel, der gepresst wie eine Spanplatte aussieht. So klicken sich Besucherinnen und Besucher des Material-Archivs flugs hinein in die wunderbare Welt der Werkstoffe.

Wissen vernetzen

Die verknüpfte Recherche ist das Ziel des Bildungswerkzeugs Material-Archiv. «Wie also kann es im Unterrricht eingesetzt werden?», möchte die Gruppe von Berufsschullehrern der Fachrichtung Maschinenbau wissen, die zu Besuch ist. Man könne gezielte Fragen zur Recherche und Wissensaufbereitung stellen, so Mario Pellin. Jeder Nutzer habe auch die Möglichkeit, seine individuelle Datensammlung mithilfe eines Logins anzulegen.

Neben- und Endprodukte entdecken

Von der digitalen Welt gehts wieder in die analoge. Die Schau- und Studiensammlung verläuft entlang der rechten Raumwand wie eine Art übergrosser, verglaster Setzkasten. Er zeigt zum Beispiel eine Biegform für die Rückenlehne des Konsumsessels von Thonet, daneben hängt ein Profilschnitt durch einen Laleggera-Stuhl von Riccardo Blumer, stabilisiert mit geschäumtem PU. «Die diversen Herstellungsarten sind also augenfällig», sagt Pellin. Wer noch weiter in die Materie einsteigen will, zieht die Schublade «Holz biegen» heraus. Auch kindgerechte gibts, sie sind mit einem blauen Kreis markiert.

Der Verarbeitungstechnik auf der Spur

Interaktiv gehts weiter: Mario Pellin reicht den Besuchern den gräulichen Zellulosedämmstoff herum, in Fachkreisen auch als «Isofloc» bekannt. Je nach Verarbeitungstechnik entstehen aus dem Rohstoff aber auch Leichtbauplatten. Er hält eine unkaschierte Wabenplatte in der Hand, wie sie etwa im Messebau Anwendung findet. Verklebt mit Glasfaser und PU, und so noch stabiler, wird sie in der Autoindustrie eingesetzt. Das Wabenbauprinzip hat sich auch die Kunststoffindustrie abgeguckt, z. B. für die Konstruktion von Wabenkernplatten mit einem Kern aus Polycarbonat (PC) und Deckschichten aus Polymethylmethacrylat (PMM).

Welches Material ist von Dauer?

Die Industrie entwickelt ständig neue Materialien und Verfahrenstechniken. «Welche Materialien nehmen Sie in die Sammlung auf?», fragt einer der Lehrer. «Jede Institution prüft, abhängig von ihren Schwerpunkten, ob ein Material dauerhaft relevant sein könnte», erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter. Er betont, dass es sich nicht um einen Produktekatalog mit Link zur Bezugsquelle handle. Sich diese Unabhängigkeit zu bewahren, sei nicht immer leicht. Pellin nennt «Eternit» und zeigt es im Schaukasten. «Wir sind auf Informationen des Herstellers angewiesen. Wenn dieser aber im entsprechenden Datensatz die Nennung von Asbest verweigert, müssen wir die objektive Sicht mithilfe eines zusätzlichen historischen Datensatzes herstellen.» Die Sammlung entwickelt sich ständig weiter. Neue Arbeitsunterlagen entstehen, und neu werden auch Verbindungstechniken wie etwa der Schwalbenschwanz angelegt.

Unmögliches Material

«Gibt es auch Material, das unmöglich zu beschaffen ist?», möchte ein anderer Lehrer wissen. «Ja, gefährliche Stoffe wie Quecksilber oder sehr teure wie Titan», antwortet der Fachmann. Glockenspiel erklingt. Einige Lehrer versuchen sich an den Experimentiertischen auf der linken Raumseite. Weitere Versuchsaufbauten sind etwa das Spiel mit Farbkreisen oder PET-Schmelzen im Thermoplastverfahren. «Manche Schüler sehen sich auch ausschliesslich die filmischen Fachdokumentationen an oder vertiefen sich in ein Buch», weiss ein Lehrer über seinen Museumsbesuch mit der Klasse. «Es ist doch gut, wenn jeder sein Medium findet», fügt er noch hinzu.

www.gewerbemuseum.ch

Aufbau eines Bildungswerkzeugs

Material-Archiv Winterthur

2009 eröffnete die Dauerausstellung im Gewerbemuseum Winterthur und wurde im Herbst 2016 erweitert. Acht Schweizer Bildungsinstitutionen (Gewerbemuseum Winterthur, Hochschule Luzern, Sitterwerk St.Gallen, ZHdK Zürich, ETH Zürich, ZHAW Winterthur, HKB Bern) spannen zusammen. Ziel ist es, Materialien erfahrbar zu machen – für Fachleute und Laien. Die einzelnen Sammlungen, basierend auf den Forschungsschwerpunkten, sind in einer öffentlichen Online-Datenbank gebündelt. Zu den 15 Materialgruppen zählen Farbmittel, Gesteine, Glas, Holz, Keramik, Kunststoff, Lösungsmittel, Metall, mineralische Werkstoffe, Papier, pflanzliche, textile und tierische Werkstoffe sowie Wachs. Weitere Bausteine sind die Mustersammlung zum Anfassen sowie die Schau- und Studiensammlung.

www.materialarchiv.ch

MZ

Veröffentlichung: 12. Januar 2017 / Ausgabe 1-2/2017

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