Erzwungene Suche nach einem neuen Lehrbetrieb

Nathascha Stofer steht im Lager ihres neuen Lehrbetriebs, der Topline Küchen AG in Belp. Bild: Nicole D'Orazio

Die Ausbildung bei der Vifian Möbelwerkstätte AG hat Nathascha Stofer und Cid Blaser gut gefallen. Plötzlich kündigte der Betrieb seine Schliessung innerhalb weniger Monate an. Für alle Angestellten keine einfache Situation.

Es war ein Schock. Ende November letzten Jahres machte ein Zettel die Angestellten der Vifian Möbelwerkstätte AG in Schwarzenburg BE auf eine kurzfristig anberaumte Mitarbeitenden-Information aufmerksam. «Wir trafen uns im Maschinenraum, und dort wurde uns eröffnet, dass der Betrieb auf Ende März 2024 eingestellt wird», erzählt Nathascha Stofer, Lernende im zweiten Lehrjahr. «Das kam sehr unerwartet und traf uns alle hart.» Sie hätte zwar mit- bekommen, dass es im Unternehmen nicht reibungslos laufe, doch es habe zum Beispiel nie Kurzarbeit oder andere Sparmassnahmen gegeben. «Dass der Betrieb gleich geschlossen wird, hätte kaum jemand gedacht.» Die Situation hat die angehende Schreinerin etwas durcheinander gebracht. Nach zwei Jahren sei sie gut integriert gewesen und habe auch selbstständig arbeiten können. «Plötzlich musste ich mir wieder den Bewerbungsstress machen, meine Unterlagen aktualisieren und relativ schnell eine neue Stelle finden.»

Der Berufsbildner hat den Lernenden bei der Suche geholfen und bei anderen Betrieben rumgefragt. «Ich habe mich bei zwei Unternehmen beworben und konnte noch im Dezember schnuppern. Ich wollte die Angelegenheit noch bis Ende Jahr bereinigen und wissen, wie es für mich weitergeht», erzählt sie. Das schaffte sie, denn sie hatte zwei Angebote.

Vom Gross- in den Kleinbetrieb

Am 1. Februar hat Nathascha Stofer bei der Topline Küchen und Innenausbau AG in Belp BE angefangen. «Beide Möglichkeiten hätten mir gefallen. Der gewählte Betrieb hat mir vom Menschlichen her sehr zugesagt», begründet sie ihre Wahl. «Hier sind wir rund zehn Mitarbeitende, und ich bin die einzige Lernende. So kann sich der Berufsbildende auf mich konzentrieren.» Zudem lernt sie beim neuen Arbeitgeber eine neue Ausrichtung kennen, da dieser vor allem Küchen und Schränke herstellt. Bei Vifian hat die 27-Jährige vor allem im Möbelbau gearbeitet und auch bei Praxisausstattungen mitgewirkt. «Es waren teilweise Serien, aber das war für mich immer etwas Neues und trotzdem interessant. Zudem war ich drei Monate auf Montage bei einem Praxiseinbau.» Sie hatte eine tolle Zeit und verstand sich mit den Mitarbeitenden sehr gut. «Mit ein paar habe ich noch Kontakt. Soviel ich weiss, haben sie etwas Neues gefunden. Es war sehr schade, dass die Zeit bei Vifian so zu Ende ging. Aber das Leben geht weiter.»

Umorientierung nach Unfall

Die junge Frau hat bereits einige Erfahrungen mit Veränderungen gemacht. Denn für sie ist es die zweite Ausbildung. Als Köchin konnte sie nach einem Unfall nicht mehr weiterarbeiten, da sie den Geschmacks- und Geruchssinn verloren hatte. Lernenden, die in ihrem Betrieb oder der Ausbildung nicht glücklich seien und an einen Wechsel dächten, rät sie, sich damit auseinanderzusetzen und einen Neuanfang zu wagen, wenn sie sich sicher seien. Zuerst empfiehlt sie aber, das Gespräch mit den Ausbildenden zu suchen. «Wenn man sich aber definitiv nicht wohlfühlt und keine Lösung findet, finde ich es wichtig, dass man versucht, die Stelle zu wechseln», sagt sie. «Wenn möglich, sollte man sich aber mehrere andere Betriebe anschauen, bevor man sich für einen entscheidet.» Es gebe immer etwas, das einem weniger zusage.

Nathascha Stofer freut sich nun auf die Herausforderung im neuen Lehrbetrieb. Sie hat sich gut eingelebt und ist zufrieden. «Es sind alle sehr freundlich, und es stört mich überhaupt nicht, dass ich die einzige Frau bin. In die neue Sparte muss ich mich aber noch vertiefen und mit den neuen Aufgaben noch besser vertraut machen. Aber das kommt gut.» Bezüglich der Berufsschule hat sich für die Bernerin hingegen nichts geändert. Sie geht weiterhin für den Unterricht nach Lyss BE. «Darüber bin ich froh. Es muss ja nicht alles neu sein.»

Auf der Baustelle erfahren

Von Vifians Betriebsschliessung war auch Cid Blaser betroffen. Für den 19-Jährigen war dies ein denkbar schlechter Zeitpunkt, denn er befindet sich im vierten Lehrjahr. «Ich habe meine Ausbildung an der Technischen Fachschule (TF) Bern gemacht. Drei Jahre verbringen wir in der Lehrwerkstatt und gehen dann für das vierte in einen Betrieb ins Praktikum», beschreibt er. «Ich habe mich bei Vifian sehr wohlgefühlt. Ich war zuvor schon einmal für zwei Monate als Aushilfe im Unternehmen und freute mich, das letzte Lehrjahr dort zu verbringen. Die Arbeit hat Spass gemacht, ich verstand mich gut mit den Kollegen, und ich erhielt schon viel Verantwortung.»

An der besagten Mitarbeitenden-Information Ende November 2023 war der Berner jedoch nicht dabei. Er befand sich auf einer Baustelle in Biel BE, als ihm sein Vorgesetzter von der Schliessung erzählte. «Ich war schockiert. Ich hatte zwar bemerkt, dass es nicht rundläuft. Aber diese Entscheidung kam überraschend.»

Wegen der IPA schwierig

Für den angehenden Schreiner war die Situation besonders schwierig, weil er kurz vor der IPA, der individuellen praktischen Arbeit, stand. «Am liebsten wäre ich so lange wie möglich bei Vifian geblieben und hätte meine Abschlussarbeit dort gemacht. Denn ich kannte die Maschinen und konnte alle bedienen.» Da aber nicht sicher war, ob er bis zum Schluss richtig hätte betreut werden können, musste er die IPA in den neuen Lehrbetrieb verschieben. Zusammen mit dem VSSM Sektion Kanton Bern hat er zudem die Möglichkeit geprüft, die Arbeit vorzuziehen. Doch das ging ebenfalls nicht, weil auch da nicht klar war, wie lange er noch betreut worden wäre.

Die TF Bern und Vifian haben Cid Blaser bei der Suche unterstützt und haben ihn weiterempfohlen. «Nach einer gewissen Zeit konnte ich mich bei der Schwab Schreinerei AG in Kerzers FR vorstellen und schnuppern», berichtet er. Anfang Februar hat er dort angefangen. «Es gefällt mir gut. Die Leute sind super und haben was drauf. Sie können mich gut unterrichten. Dass ich mich anstrengen muss, ist ein gutes Zeichen», erzählt er. Das neue Unternehmen ist zudem anders ausgerichtet als das vorherige. «Schwab ist vor allem mit dem Einbau von Fenstern, Türen und Küchen beauftragt. Wir machen Innenausbau, aber schon auch mal Möbel oder Restaurationen.»

Ein neues Bett für sich

Die IPA von Cid Blaser hat sich wegen des Wechsels zwar nicht verzögert, aber er findet die Ausgangslage schwieriger, weil er sich im neuen Betrieb noch nicht so gut auskennt. Er produziert für sich ein neues Bett und freut sich auf die Aufgabe. Ende März hat er sein Konzept gezeichnet und eingereicht, er erhielt wegen allem etwas Aufschub. «Das wird sicher gut. Wenn die Arbeit fertig ist, habe ich viel geschafft. Dann heisst es wirklich Schlussspurt.»

Was er nach dem Berufsabschluss machen wird, weiss der Berner noch nicht genau. «Eine berufliche Herausforderung im sozialen Bereich wäre noch spannend. Zuerst kommt aber der Zivildienst. Da sehe ich ja, ob mir das zusagen würde. Dann lasse ich es auf mich zukommen.» Primär sei es für ihn wichtig, dass er die Lehre im neuen Betrieb ordentlich abschliessen könne. «Alles andere ergibt sich dann von alleine. Das habe ich auch rund um die Betriebsschliessung gelernt. Man weiss nie, was kommt.»

 

Was tun bei einem gefährdeten Lehrverhältnis?

Die drohende Auflösung eines Lehrvertrags ist für Lernende immer eine unangenehme Erfahrung. Bei schwierigen Situationen im Lehrbetrieb empfiehlt das Berufsbildungsamt des Kantons Zürich folgende Schritte:

• Besprich die Situation mit einer Drittperson (Eltern, Kolleg/in, Geschwister, Mitarbeiter/in, Lehrer/in etc.).

• Such das Gespräch im Lehrbetrieb. Wenn du noch nicht 18 Jahre alt bist, zusammen mit deinen Eltern oder einem Elternteil.

• Teile der Berufsbildnerin oder dem Berufsbildner oder der bzw. dem Vorgesetzten mit, wie es dir geht.

• Falls das Gespräch im Lehrbetrieb nicht zu einer Verbesserung führt, melde dich beim zuständigen Berufsinspektorat deines Kantons. Auf Wunsch kann über dieses ein Gespräch mit allen Beteiligten vereinbart werden.

• Wichtig: Eine Lehrvertragsauflösung muss immer schriftlich erfolgen sowie Grund und Auflösungstermin enthalten. Bei unter 18-Jährigen muss zudem die gesetzliche Vertretung unterzeichnen.

• Eine Liste der kantonalen Berufsbildungsämter findest du unter www.adressen.sdbb.ch

 

www.topline-kuechen.chwww.schwabschreinerei.ch

Nicole D'Orazio

Veröffentlichung: 04. April 2024 / Ausgabe 14/2024

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