Handwerk zum Abheben

Den Luxus eines First-Class-Hotels, aber hoch über den Wolken: Wer über das nötige Kleingeld verfügt, kann in seinem eigenen Wohnzimmer fliegen und muss sich nicht über mangelnde Platzverhältnisse ärgern.

Exklusiv. In der Region Basel baut die Firma Jet Aviation Passagierflugzeuge zu fliegenden Privat­hotels um. Die SchreinerZeitung besuchte das Hauptwerk am Flughafen Basel und zeigt, wie aus Wabenplatten ultraleichte Möbel werden.

Wer diesen Betrieb besuchen will, muss sich ausweisen, bekommt einen Zugangspass, darf sich nicht alleine auf dem Gelände bewegen und muss den Fotoapparat zu Hause lassen: «Diskretion und Sicherheit haben bei uns oberste Priorität», sagt Miriam Crespo, Informationsbeauftragte der Jet Aviation in Basel. Die von Carl Hirschmann Senior gegründete und mittlerweile zum amerikanischen General Dynamics Konzern gehörende Firma ist ein starker Player für die Erbringung von Dienstleistungen in der Aviatik. Die Firma vermietet Flugzeuge, betreibt das Handling von Privat- und Geschäftsflugzeugen sowie die Wartung weltweit. Etwas weniger bekannt sind die Aktivitäten im Bereich Flugzeugausbau. An verschiedenen Standorten im Grossraum Basel beschäftigt das Unternehmen rund 1600 Mitarbeiter, die indirekt oder direkt mit dem Ausbau von Jets zu tun haben. Es sind dies Elektriker, Lüftungsspezialisten, Metallbauer und natürlich Schreiner. Rund 200 weitgehend spezialisierte Fachleute fertigen die Innenausbauten. Angesiedelt sind die Werke rund um den EuroAirport Basel-Mulhouse, stehen also mehrheitlich auf französischem Boden. Ein Grossteil der angestellten Schreiner kommt denn auch aus dem Elsass.

Ultraleichte Materialien gefragt
Flugzeugausbau hat nur wenig mit konventionellem Schreinerhandwerk zu tun. Verwendung finden vorwiegend synthetische Werkstoffe wie Wabenplatten aus glasfaserverstärktem Epoxyharz, Aluminium oder geschäumte Produkte. «Das Gewicht ist in der Fliegerei immer ein Thema», erklärt Crespo und präzisiert: «Die Flugzeuge sind auf ein maximales Abfluggewicht zugelassen. Wenn wir mit dem Innenausbau zu viel Gewicht einbringen, kann der Kunde am Schluss weniger Zuladen als gewünscht.» Wie schwer der Innenausbau sein darf, wird mit dem Auftraggeber definiert. Daraus errechnen die Planer für jedes Element ein maximal zulässiges Gewicht. «Vor dem Einbau in den Flugzeugkörper wiegen wir jedes Teil, denn Übergewicht können wir uns kaum erlauben», sagt José Kessler, Super­visor im Cabinet Shop, wie die Schreinerabteilung heisst. «Natürlich kann es immer zu Übergewicht kommen. Was dann passiert, ist Verhandlungssache», präzisiert Crespo. Mit wem verhandelt wird, erfährt das ausführende Schreinerteam nicht. Die Wünsche der Kunden sind genauso exklusiv wie sie selber. «Jeder Auftrag bekommt einen Arbeitstitel und die Namen der Auftraggeber sind nur einem kleinen Kreis bekannt», sagt Kessler.

Handwerk dominiert
In der Werkstatt der Jet Aviation dominiert Handarbeit. Gegen 50 Bankschreiner kleben, fräsen, schrauben, schleifen und fertigen Fernsehmöbel, Betten, Schränke und Verkleidungen aus den ultraleichten Werkstoffen. Holz findet man nur sehr wenig, auch wenn am Schluss fast nur noch glänzendes, poliertes Edelholz zu sehen ist. ­Einzig zwei CNC-Bearbeitungszentren erinnern an die technische Hochrüstung, wie sie konventio­nelle Betriebe mittlerweile betreiben. Auf diesen Maschinen wird vorwiegend im Nestigverfahren gefräst. Aus den Wabenplatten trennen die Hartmetallfräser die Einzelteile heraus. Doch gefräst wird im ersten Durchgang nicht durch die ganze Platte hindurch. Die untere Deckschicht bleibt bei der ersten Bearbeitung stehen und die offene Wabenstruktur füllen die Spezialisten mit einem 2K-Spachtel. Im zweiten Durchgang, einen Tag später, fräsen die Maschinisten das gleiche Programm mit geändertem Tiefenmass, sodass in einem Arbeitsgang die Kante sauber geputzt und gleichzeitig das Stück vollständig abgetrennt wird.

Fast alles geklebt
Die ultraleichten Materialien erfordern auch spezielle Ansätze bei der Verbindungs- und Befestigungstechnik. Für die Verankerung von Schrauben braucht es eingeklebte Muffen, und Flächenverbindungen sind nur über spezielle Injektionsdübel zu realisieren. Es gibt kaum Teile – weder Verbindungen noch Beschichtungen – die sich mit Holzleim realisieren lassen. Gefragt sind vollsynthetische 1K- oder 2K-Klebstoffe. Das ist in den Werkstätten deutlich zu riechen. Punktuell müssen sogar Reaktionsgase abgesogen werden, um die Gesundheit der Mitarbeiter nicht zu gefährden. Der Einsatz von Massivholz oder anderen Holzwerkstoffen beschränkt sich aus Gewichts- wie auch aus Sicherheitsgründen auf das absolute Minimum. Brennbare Materialien werden im Flugzeugbau nur wenig eingesetzt.

Unter dem Furnier ist fast nur Luft
Im Bankraum bauen die Schreiner ganze Möbelzeilen inklusive funktionierender Türen und Schubladen ausschliesslich aus den leichten Wabenplatten zusammen. Wenn alles einwandfrei funktioniert, überziehen die Facharbeiter die gesamten Möbel mit ­einer Schicht Furnier. Auch dieser Arbeitsgang erfolgt vorwiegend in Handarbeit. Dabei werden überaus kostbare und seltene Furniere mit Pyramiden- oder Wurzelma­serung verwendet. «Der Einkaufspreis des Holzes wirkt sich nicht allzu sehr auf den Verkaufspreis des Flugzeugs aus», sagt Kessler. «Angesichts des teuren Konstruktionsmaterials, der sehr detaillierten Planung und der aufwendigen Fertigungsweise hat der Holzpreis nur wenig Einfluss auf den Endpreis.» Die Beschaffung des richtigen Rohmaterials gestaltet sich zum Teil recht schwierig, stehen doch die exklusiven Materialien nicht unbegrenzt zur Verfügung. Holzwerkstoffe setzt Jet Aviation vorwiegend im Formenbau ein; sie sind für den ­Innenausbau einfach zu schwer.

Detaillierte Feinplanung
Im Bereich der Planung stützt sich Supervisor Kessler auf ein ausgeklügeltes System, das kaskadenartig aufgebaut ist. Die Auslastung des Grossbetriebes wird jeweils zwei bis drei Jahre im Voraus geplant. Schwankungen gleichen die Manager mit der Wartung von Flugzeugen aus. Ein Gesamtprojekt teilen die Planer dann in kleinere Einheiten auf, die wiederum geteilt werden, bis überschaubare Teilprojekte wie etwa das Fernsehmöbel in der Abbildung unten links, übrig bleiben. Die Planungstiefe nimmt mit der Aufteilung zu. In der Endfertigung sind neben dem bearbeitenden Team auch Arbeitsbeginn und -ende sowie alle relevanten Bedingungen genau definiert.
Wer kann sich das nur leisten?
Die vielleicht spannendste Frage kommt zum Schluss, nämlich die der Kosten und der Kunden. Natürlich lässt sich das Unternehmen nicht in die Karten schauen. Patrick Kunkel, unabhängiger Aviatikjournalist aus Freiburg im Breisgau, schätzt den nötigen Kaufpreis für einen leeren, flugbereiten Airbus A380 auf etwa 300 Millionen Franken. Für den Innenausbau sollen danach nochmals rund 150 Millionen fällig werden. Jet Aviation baut pro Jahr im eigenen 20 000 m2-Hangar am Euro Airport mehrere Grossraumflugzeuge und einige Businessjets um. Als Kunden kommen in erster Linie Privatkunden aus aller Welt, vorwiegend aber aus der Golfregion und zunehmend aus Asien in Frage. Regierungschefs können diese Investitionen ihren Wählern gegenüber mit wenigen Ausnahmen nicht rechtfertigen, auch wenn Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gerade 185 Millionen (Staats-)Euro in ein repräsentatives Flugzeug investiert hat.wi

Veröffentlichung: 11. November 2010 / Ausgabe 45/2010

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

«Einfach mal durchklicken»

Dokumentation.  Auf der Internetseite holzbaukultur.ch wächst eine Dokumentation heran, die den Werdegang des Holzbaus in der Schweiz begreifbar macht. Bis Ende des Jahres sollen 400 Gebäude online sein. Im Gespräch dazu Elia Schneider von der Berner Fachhochschule in Biel.

mehr
17. April 2024

Ein meisterlicher Botschafter

Parkettverband ISP. Im Schloss Laufen am Rheinfall fand die 55. Generalversammlung der Interessengemeinschaft Schweizer Parkettmarkt (ISP) statt. Ein abgekühlter Markt und der Mangel an Lernenden beschäftigt die Bodenlegerbranche auch in diesem Jahr.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Werkstoffe