Herrenholz mit Aussicht

Die Grundform ist das Dreieck. Durch das Drehen der Elemente entsteht am Ende die Skulptur. Bild: Ladina Bischof

Aussichtsturm.  Was Architektur in Holz ausmacht, zeigt der neue Aussichtsturm im Norden Zürichs. Er dokumentiert auch, wie nachhaltiges Bauen aussehen kann. Daneben ist der Turm ein Hingucker, der an manchen Tagen von bis zu 2000 Personen bezwungen wird.

Früher waren sie überlebenswichtig. Heute bereiten sie vor allem Vergnügen. Die alten Römer hatten sie schon, und auch zu Zeiten des Dreissigjährigen Krieges waren sie kaum wegzudenken.

In jüngerer Zeit hat Gustave Eiffel einen aus Stahl hinterlassen, und ein anderer aus Stein ist schief geworden und deshalb berühmt. Der Bedeutendste unter ihnen jedoch ist und bleibt ein biblischer, nämlich der zu Babel. Nichts weniger als die Verbindung zum Himmel wollten die Menschen mit ihm erschaffen.

Und nun gibt es einen neuen Turm. Er hat das Zeug, ein ganz grosser seiner Art zu sein, auch wenn er zunächst mit offiziellen 41,5 Metern «nur» der dritthöchste Holzturm der Schweiz ist. Freilich werden zu den 210 Stufen, die es bis ganz oben zu überwinden gilt, keine mehr hinzukommen. Gross wird der Turm vielmehr deshalb, weil seine Schöpferinnen und Schöpfer vieles richtig gemacht haben. Keine Selbstverständlichkeit, in einer Zeit, in der Architektur und Planung eigentlich mehr richtig machen könnten, als es gemeinhin der Fall ist. Dazu gehört auch, dass ein Bauwerk so konstruiert wird, dass es über möglichst lange Zeit seinen Zweck erfüllen kann.

 

«Wir wollten einen Turm bauen, der lange hält.»

Lukas Frei, Architekt, Luna Productions

 

Der neue Aussichtsturm auf dem Flurstück Herrenholz liegt im Hardwald zwischen den Zürcher Gemeinden Opfikon, Kloten, Wallisellen, Bassersdorf und Dietlikon. Das Holz, aus dem der Turm gebaut wurde, entstammt dem Wald, der ihn umgibt. Insgesamt kamen acht Holzarten entsprechend ihrer Eignung bei dem Bau zum Einsatz. Darunter auch Esche für die Treppe und Robinie für die Unterkonstruktion des bewitterten Holzdecks der obersten Plattform. «Wir arbeiten viel und gern mit Holz, aber wir setzen Holz nicht automatisch mit Nachhaltigkeit gleich», sagt Architekt Lukas Frei, der zusammen mit seiner Frau Nadja das Planungsbüro Luna Productions in Deitingen SO führt.

 

«Das Treppenhaus schafft Innenräume, welche einen willkommenen Kontrast zur Weite des Waldes bilden.»

Aus dem Jurybericht des Wettbewerbs, 2020

 

Das Holz aus dem Wald der fünf Gemeinden wurde von Unternehmen in der Region verarbeitet. Ausser dem Brettsperrholz für das Primärtragwerk aus Fichte und Tanne wurden keine weiteren Teile verleimt. Auf einen chemischen Holzschutz konnte zugunsten eines wirksamen konstruktiven Holzschutzes ganz verzichtet werden. Damit das funktioniert, bildet eine Keilschalung die Schutzhülle für den Turm. Die ungehobelten Bretter sind dazu einzeln an Zahnleisten angeschraubt. Optisch fast geschlossen, kann die Luft hindurch, und falls einmal ein Brett ausgetauscht werden muss, kann das von den Waldarbeitern erledigt wer- den. Das alte, naturbelassene Fassadenbrett kann einfach im Wald verbleiben und gliedert sich so wieder in den Stoffkreislauf der Natur ein.

Die schützende Hülle sorgt an anderer Stelle für Herausforderungen. «Wir wollten auf mehreren Ebenen Aussichtsmöglichkeiten bieten, um die verschiedenen Stufen der Waldvegetation sehen zu können. Beide Anforderungen widersprechen sich etwas», sagt Frei. Dadurch entstand die Idee mit den Durchbrüchen der schrägen, überhängenden Flächen, die so vor der Witterung geschützt die Fassadenschalung öffnen. Und auch die Brandschutzvorschriften hatten Auswirkungen auf den Entwurf. Damit die Vorgaben eingehalten werden konnten, durfte die Fassade nur zu 50 % geschlossen sein. Mehr würde zur Einstufung des Turmes als Gebäude führen, was wiederum bei den Brandschutzanforderungen andere Vorgaben mit sich bringen würde.

«Ein Turmbau ist etwas Besonderes und Einmaliges. Uns hat die Bauaufgabe sehr interessiert», sagt Frei. Im Verhältnis zu einem Turm seien die Anforderungen an ein Gebäude noch viel umfänglicher. Da gelte es, verschiedene Nutzungen und Nutzergruppen im Blick zu behalten, klimatische und technische Anforderungen zu beachten und vieles mehr. «Ein Aussichtsturm dient einfach der Aussicht. Insofern ist die Aufgabenstellung in einem solchen Fall einfach und eindeutig», sagt Frei.

Wenn das Planungsbüro an einem Wettbewerb teilnimmt, arbeiten die Freis Hand in Hand an der Spitze des Planungsteams. Die Grundform des Dreiecks sei aufgrund der stabilen geometrischen Figur recht schnell als Idee geboren gewesen. Das Prinzip des Entwurfes: Die Primärkonstruktion baut auf der Form des gleichseitigen Dreiecks als statisch günstige Form auf. Zwei Dreiecke bilden eine Raute und eine Plattform. Die vier übereinanderliegenden Ebenen sind jeweils um 60° gedreht, wodurch die besondere Form des Turmkörpers entsteht.

«Bei einem Turm sei die Perspektive ein wichtiges Kriterium», sagt Frei. Das Team habe deshalb auch viel mit Modellen gespielt. «Durch das Zusammensetzen, Spiegeln und Stapeln ergeben sich verschiedene Figuren. Je nachdem, wo man steht, wirkt der Turm anders», sagt Frei.

Die erste Plattform befindet sich auf einer Höhe von zehn Metern, die so einen Blick ins Unterholz ermöglicht. Auf 20 Metern schauen die Besucherinnen und Besucher in den Wald, und auf der dritten Ebene in 30 Metern über Grund findet man sich im Bereich der Baumkronen. Auf knapp 40 Metern steht man auf dem Boden der obersten Ebene und blickt ringsum in die Ferne, sofern der häufig auftretende Nebel dies zulässt.

 

«Der Turm behauptet sich mit einer eigenständigen Form und wird zur unverwechselbaren Skulptur.»

Aus dem Jurybericht des Wettbewerbs, 2020

 

Der Turm ist schon heute, wenige Monate nach Fertigstellung, eine Attraktion. Ein Zählwerk am Eingang registriert die Besucherschaft. Demnach sollen pro Monat rund 20 000 Personen auf den Turm steigen. Der Tagesrekord liegt bei 2000 gezählten Menschen. Keine Frage: «Der Turm gefällt recht vielen Leuten», sagt Frei. Wichtig war den Planern die Nachhaltigkeit des Bauwerkes. Neben der Konstruktion, die abgesehen von den Verbindern des Primärtragwerkes komplett aus Holz besteht, haben die Planer auf viele Details geachtet. So kamen für das Bauwerk etwa Punktfundamente zum Einsatz, die nur einen geringen Platzbedarf von 1,8 m2 haben und so die Versiegelung des Waldbodens äusserst gering halten. Für die Spenglerarbeiten zur Entwässerung kam Chrom-Nickel-Stahl zum Einsatz, damit die Umwelt nicht mit Schwermetallen kontaminiert wird.

Während der Bauzeit konnte vor Ort auf den Einsatz von schweren Maschinen verzichtet werden. Lediglich ein Teleskopkran war dreimal im Einsatz, um die vier vorgefertigten Elemente des Turmes montieren zu können.

 

Wir sind derzeit in einer Umbruchphase, in der alle Gruppen und jeder Einzelne Verantwortung übernehmen müssen.

Lukas Frei, Architekt, Luna Productions

 

Was auch auffällt am Turm: die Komposttoilette sowie das Fehlen von Abfallkübeln. An einem solchen Ort soll jede und jeder seinen Unrat wieder mit nach Hause nehmen. Tatsächlich liegt kein Abfall herum. «Dies deckt sich mit den Erfahrungen des Forstdienstes. Wenn keine Abfallkübel vorhanden sind, können diese nicht übervoll werden», sagt Frei. Bislang scheint das Konzept aufzugehen. Die Besucherschaft nimmt ihren persönlichen Unrat wieder mit nach Hause.

Das passt auch zur Einstellung und Arbeitsweise der Luna-Gründer. Für Frei ist klar, dass jede und jeder Verantwortung übernehmen müsse, ob als Architekt, Schreiner oder Journalist. Dies sei entscheidend in einer Zeit mit vielen Veränderungen und Umbrüchen, damit die Weichen richtig gestellt würden.

Ein sichtbares Zeichen dafür steht nun mitten im Herrenholz und verbindet zwar nicht Himmel und Erde miteinander, wohl aber Generationen an Waldbesucherinnen und Waldbesuchern.

Architektur

Nachhaltigkeit im Blick

Das Planungsbüro Luna Productions ist ein junges Team von zehn Architektinnen und Architekten im solothurnischen Deitingen. 2014 gegründet von Nadja und Lukas Frei, konnte sich ihr Entwurf für einen Aussichtsturm im Herrenholz der Gemeinde Dietlikon gegenüber 42 Konkurrenzarbeiten durchsetzen. 380 m3 Holz waren nötig, um die 41,5 m hohe Turmskulptur zu errichten. Laut Zählwerk besuchen rund 20 000 Personen monatlich das Bauwerk.

www.luna-productions.ch

christian härtel, ch

Veröffentlichung: 09. März 2023 / Ausgabe 10/2023

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