Keine Tür ohne Papiere

Alles am richtigen Ort, alles dokumentiert. Die WPK hat auch den Warenfluss unter Kontrolle. Bild: Stefan Hilzinger

WPK.  Ob fürs Gericht, für Banken oder Wohnhäuser: Aussentüren müssen besondere Ansprüche erfüllen. Firmen mit einer Werkseigenen Produktionskontrolle stehen bei der Produktehaftung auf der sicheren Seite. Was das für Kleinbetriebe heisst, zeigt die Schreinerei Imwinkelried in Belp.

Realisten wissen es schon längst: «Von der Wiege bis zu Bahre: Formulare! Formulare!» Und es gibt wohl auch keine Berufsgattung, die nicht die zunehmende Papierflut in ihrer Branche beklagt. Das Schreinergewerbe macht da keine Ausnahme, im Speziellen dort, wo ein Betrieb Türen im Angebot hat. Für einen solchen Betrieb stellt sich die Frage nach einer Werkseigenen Produktionskontrolle (WPK), sobald er Aussentüren anbietet. Denn für diese gilt das Eidgenössische Bauproduktegesetz, und sie müssen die harmonisierten europäischen Normen erfüllen (siehe Kasten auf Seite 14).

«Wir sind da voller Optimismus reingerasselt», sagt Stefan Imwinkelried, Chef der gleichnamigen Schreinerei in Belp BE. Mit «da» meint er die WPK für Aussentüren in seinem Betrieb. Die Schreinerei unweit des Bahnhofs ist ein typischer, mittelständischer Betrieb: Das Betriebsleiterpaar, sechs Angestellte und zwei Lehrlinge bieten die ganze Bandbreite an Schreinerarbeiten an. «Wir sind ein breit aufgestellter Betrieb», sagt Imwinkelried – aber mit dem Spezialzweig Aussentüren für öffentliche Bauten. Rund ein Drittel des Jahresumsatzes kommt aus dieser Ecke. «In den vergangenen Jahren wurde dieser Bereich stets etwas wichtiger», sagt er. Die Nähe zur Bundesstadt Bern mit Verwaltung und staatsnahen Betrieben wie Post oder SBB mag hier eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls wurde mit der Harmonisierung der Normen rasch klar, dass sich Imwinkelried um eine WPK bemühen muss. «Der Betrieb trägt die Beweispflicht, dass unsere Produkte die EN-Normen erfüllen», sagt er – oder anders formuliert: «Ohne Papiere verkauft niemand mehr eine Tür.»

Mit WPK Beweispflicht erfüllen

Die Werkseigene Produktionskontrolle einzuführen und umzusetzen, fordert den ganzen Betrieb. «Im Team ziehen alle am selben Strang», sagt Chefin Madeleine Imwinkelried, die für Adminstration und Personelles zuständig ist. Und es betrifft alle Bereiche, vom Offertwesen über die Kontrolle des Wareneingangs, die Produktion bis zur Auslieferung und Montage. Zwar muss Letztere nicht zwingend Teil der WPK sein. Weil die Belper Schreinerei aber auch Türen für Sicherheitsbereiche produziert, beispielsweise Schleusentüren für Gerichtsgebäude, gehört die Montage dazu.

Die WPK ist letztlich ein Instrument zur Qualitätssicherung – und eine gut eingeführte WPK schafft trotz Dokumentenflut gemeinschaftliches Wissen, wie der Betrieb tickt. «Ich weiss immer genau, was in der Bude läuft», formuliert es Stefan Imwinkelried. Der Anfangsaufwand dafür ist allerdings beträchtlich. Das lässt sich nicht in Abrede stellen. Die Zeit im ersten Lockdown im Frühling 2020 hat die Belper Schrei- nerei unter anderem dazu genutzt, alle Schränke und alles darin verstaute Material, alle Maschinen und Geräte systematisch zu erfassen und zu beschriften. An den Innentüren der Schränke kleben nun zig Etiketten mit Barcodes. «Das Beschriften war eine zünftige Fleissarbeit», sagt Madeleine Imwinkelried.

Automatisierte Nachbestellungen

Doch jetzt, wo die Barcodes an den Spinden kleben, erfüllen sie ihren Zweck. Denn wer nun beispielsweise ein Türschloss oder bestimmte Schrauben aus einem der Schränke nimmt, schiesst das entsprechende Etikett mit der Kamera seines Tablets ab und trägt die Stückzahl ein. «Wir führen auf diese Weise im WPK-System nach, dass wir für den jeweiligen Auftrag ausschliesslich die bereits in der Offerte gelisteten Bauteile verwendet haben», erklärt Stefan Imwinkelried. Ein positiver Nebeneffekt der elektronischen Lagerbewirtschaftung: Neigt sich der Bestand eines Produkts dem Ende zu, löst das System beim Beschlägelieferanten eine Nachbestellung aus.

Vergleichbare Nachvollziehbarkeit gilt auch für die in Produktion und Montage verwendeten Maschinen und Geräte. So kann im Nachhinein etwa nachgewiesen werden, welches Sägeblatt beim Zuschneiden zum Einsatz kam. Auch eine regelmässige und protokollierte Wartung des Maschinenparks und eine stete Kontrolle, ob die Fertigungstoleranzen eingehalten werden, sind Teil der WPK. Hier verlässt sich die Schreinerei auf externe Kompetenz. «Das übernimmt bei uns der Monteur der Firma Näf», sagt Stefan Imwinkelried.

Zu jeder ausgelieferten und montierten Tür gehören Papiere, die belegen, wie die Tür produziert wurde und welche Materialien verwendet wurden. «Das sind nicht nur ein paar Seiten, das ist meistens ein richtiges Buch», sagt Imwinkelried. Noch mehr Papiere werden es, wenn nicht allein die Tür ausgeliefert wird, sondern ein ganzes System samt Motorisierung und Elektronik. «Wenn wir alle Dokumente tatsächlich auf Papier ablegen wollten, würde das zig Schränke füllen», sagt er und verweist auf den sparsamen Platz im Büro. Darum setzt sein Betrieb vollständig auf digitale Dokumente, die auf einer sicheren Cloud beim Provider Swisscom abgelegt sind. «Hier mussten wir doch etwas investieren, während der Betrieb ansonsten IT-mässig auf der Höhe ist», sagt Madeleine Imwinkelried.

Der Chef soll nicht Polizist sein

Checklisten und Musterformulare, wie sie beispielsweise der VSSM den Schreinereien in seinem Handbuch zur Verfügung stellt, gehören zur formalen Seite jeder WPK. Doch Stefan Imwinkelried sagt ganz klar: «Die bedeutendere Seite stellen die beteiligten Mitarbeiter dar.» Entscheidend sei qualifiziertes und motiviertes Personal, wie es gerade derzeit nur schwer zu finden sei. Seien die Prozesse einmal definiert und eingespielt, so gelte Eigenverantwortlichkeit. «In der Anfangsphase musste ich noch die Rolle des Polizisten übernehmen, der alles kontrolliert.» Doch längerfristig dürfe das nicht der Fall bleiben. Und er kommt nochmals auf die Wichtigkeit des beteiligten Personals zu sprechen: «Wenn mir jetzt einer ausfällt, brauche ich zwei Jahre, um jemanden Neues auf den gleichen Stand zu bringen.» Daher sei es entscheidend, dass sich das Personal auf dem Laufenden hält und sich in Kursen weiterbildet.

Von Bedeutung ist überdies die Kommunikation untereinander, wozu etwa der firmeninterne Whatsapp-Chat gehört, worin alle Teammitglieder die wichtigen Punkte jedes Arbeitstages mit Text und Bild laufend rapportieren, zum Beispiel, dass die Tür nach der Montage einwandfrei funktionierte und keine Schäden aufwies.

Schlicht eine Notwendigkeit

Stellt sich dann die Frage, ob sich der Aufwand für eine WPK am Ende auszahlt? Ja, sagt Imwinkelried, für seinen Betrieb auf jeden Fall. «Sonst könnte unsere Schreinerei in diesem spannenden Bereich künftig nicht mehr tätig sein.» Die WPK sei eine Investition in die Zukunft, zumal in den nächsten Jahren der Bereich der Innentüren ebenfalls harmonisiert werde. Mit Ratschlägen ist der Schreiner zurückhaltend. Eines sagt er aber doch: «Eine WPK muss man wirklich wollen.»

Stefan Hilzinger

www.schreinerei-imwinkelried.ch

Bauproduktegesetz

Marktöffnung mit Folgen

Die ganze Geschichte nahm ihren Anfang bei den bilateralen Verträgen der Schweiz mit der EU, die 2008 um das Kapitel Bauprodukte erweitert wurden. Mit der neuen EU-Bauprodukteverordung 2011 wurde eine Anpassung der Schweizer Gesetzgebung notwendig. Gesetzliche Grundlagen sind das Bauproduktegesetz und die Bauprodukteverordnung des Bundes. Mit der Harmonisierung der Normen sollen Handelshemmnisse abgebaut und Schweizer Firmen der Zugang zum europäischen Markt erleichtert werden. Für das Schreinergewerbe sind die Normen SN EN 14351-1 (Fenster, Aussentüren) und SN EN 16034 (Türen, Tore und Fenster mit Feuer- und/oder Rauchschutzeigenschaften) von Bedeutung. Für beides ist die Koexistenzphase abgelaufen, während der die alten Schweizer Normen und die harmonisierte Norm parallel galten. Noch nicht harmonisiert ist der Bereich der Innentüren.

Es geht darum, die Leistungseigenschaft, die das Produkt aufweisen sollte, sicherzustellen. Die sogenannte Leistungserklärung hält fest, welche Eigenschaften eine Aussentür punkto Feuerschutz, Wärmedämmung, Schlagregendichtheit etc. erfüllt. Jeder Tür, die den Betrieb Imwinkelried verlässt (siehe Haupttext), liegt eine Leistungserklärung bei. Die Werkseigene Produktionskontrolle (WPK) stellt sicher, dass die Tür die Anforderungen nicht nur auf Papier erfüllt, sondern auch in Tat und Wahrheit. «Der Hersteller muss eine Werkseigene Produktionskontrolle einrichten, dokumentieren und aufrechterhalten, um sicherzustellen, dass die in Verkehr gebrachten Produkte mit den ausgewiesenen Leistungseigenschaften übereinstimmen», steht im WPK-Handbuch des VSSM.

Für Schreinerbetriebe, die Türen in Verkehr bringen, gibt es mehrere Möglichkeiten, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Wer lediglich als Wiederverkäufer auftritt, benötigt keine WPK. Wer weiterhin Wertschöpfung generieren möchte, kann dies entweder als Hersteller oder als Subunternehmer tun. Der Unterschied dieser beiden Möglichkeiten besteht lediglich darin, wer gegenüber dem Markt als Hersteller auftritt und die Leistungserklärung erstellt.

Stefan Hilzinger

 

Veröffentlichung: 18. März 2021 / Ausgabe 12/2021

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