Kiefernzapfen spenden Schatten

Das Funktionsprinzip der Kiefernzapfen aufs Beschattungssystem aus Holz übertragen. Bild: Chiara Vailati / ETH Zürich

Forschung. An der ETH Zürich hat eine Doktorandin ein Beschattungssystem entwickelt, dass sich selbständig im Tagesverlauf einstellt, ohne Sensoren und Strom. Inspiriert hat sie ein Kiefernzapfen.

Dass sich die Forschung immer wieder von der Natur inspirieren lässt, ist nichts Neues. Was dabei herauskommt, ist aber immer wieder faszinierend.

Markus Rüggeberg entwickelte mit seinem Team an der ETH in Zürich eine autonome Steuerung für den Aussenbereich, die beispielsweise Schattierungen von Gebäuden oder Solarpaneele bewegen. Die witterungsabhängige Steuerung besteht aus Holz und funktioniert ganz ohne Elektronik. Die SchreinerZeitung berichtete im Juni vergangenen Jahres darüber. (SZ 25/2017, «Die Kraft der innovativen Schritte»)

Lamellen bewegen sich autonom

Nun wurde die Idee von Chiara Vailati weiterentwickelt. Die italienischen Bauingenieurin erarbeitete in ihrer Doktorarbeit bei Professor Ingo Burgert am Institut für Baustoffe der ETH Zürich ein neuartiges Beschattungssystem. Der Prototyp ist erfrischen einfach: Das System verwendet schattenspendende Lamellen aus Holz und kommt gänzlich ohne Sensoren und Motoren aus – Strom braucht es keinen. Dennoch passt es sich den Wetterbedingungen an: Die Lamellen bewegen sich autonom. Mehrere parallel angeordnete Lamellenpaare bilden so eine Art Dach, das sich selber öffnet und schliesst. Die Konstruktion kann waagerecht beispielsweise über einem Fenster an einer Hausfassade befestigt werden.

Vorbild Kiefernzapfen

«Für die Eigenbewegung der Lamellen haben wir uns vom Zapfen der Kiefer inspirieren lassen», sagt Vailati. Solange ein Föhrenzapfen vom Baum feucht gehalten wird, umschliesst er die Samen darin. Sobald er aber trocknet, öffnet er sich wie ein Schirm. Eine Bewegung, die eigentlich jedem Holzfachmann bekannt ist: Durch Schwinden und Quellen entstehen kraftvolle Bewegungen im Holz, die man normalerweise zähmen und möglichst erst gar nicht aufkommen lassen möchte.

Die Schuppen der Zapfen reagieren also auf Veränderungen der Luftfeuchtigkeit: Nimmt diese ab, verbiegen sich die Schuppen und gehen von einer geraden in eine gebogene Form über. Möglich macht das seine Bauweise: Die Zapfenschuppen bestehen aus zwei verbundenen Gewebeschichten, die sich bei sinkendem Feuchtigkeitsgehalt unterschiedlich stark zusammenziehen.

Trockenheit krümmt die Lamellen

Das Funktionsprinzip der Zapfen hat Vailati auf zweischichtige Lamellen aus Holz übertragen. Die beiden Schichten bestehen aus unterschiedlichen Holzarten, deren Fasern zudem senkrecht zueinander orientiert sind. Die Idee ist bestechend: «Die Holz-Doppelschicht nutzt wie ihr natürliches Vorbild die im Tagesverlauf schwankende Luftfeuchtigkeit aus», erklärt Vailati. In der feuchten Morgenluft und nachts sind die Lamellen flach und stehen senkrecht, während sie sich gegen Mittag, wenn die Sonne hochsteht und es trockener ist, zusehends verbiegen und so Schatten spenden.

Bewegung in die Sache bringen

Was simpel aussieht, benötigte mehrjährige Forschungsarbeit. Vailati musste insbesondere zwei Herausforderungen meistern. Einerseits galt es, die zunächst sehr kleinen Doppelschicht-Strukturen auf die marktübliche Lamellenlänge von bis zu einem halben Meter zu vergrössern, ohne dass sich das Material unkontrollierbar verformt. Andererseits reagierte das System verglichen mit herkömmlichen motorisierten Lamellen zu langsam. «Ich musste einen Weg finden, die Doppelschicht-Kinetik zu beschleunigen», erzählt die Erfinderin. Ins Holz gefräste Streifenmuster sowie ein fein justiertes Verhältnis der Schichtdicken halfen, die Bewegung zu beschleunigen. Schliesslich kam Vailati auch ihre Berufserfahrung als Bauingenieurin zu gute: Um den Schattenwurf zu vergrössern, koppelte sie jeweils zwei Lamellen. «Das erhöht auch die Reaktionszeit deutlich», sagt sie.

Die ETH Zürich hat die Erfindung zum Patent angemeldet. Vailati hat im Februar ihre Doktorarbeit verteidigt und arbeitet seit Kurzem als Postdoc an der Empa. Ein kleiner Prototyp ihres Beschattungssystems befindet sich aber noch immer auf dem Dach eines ETH-Gebäudes auf dem Hönggerberg.

 

eth/ids

www.ifb.ethz.ch
www.ethz.ch

Veröffentlichung: 24. August 2018

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