Kochen kennt kein Alter

Dass sich die Begriffe altersgerecht und modern nicht ausschliessen, beweist die Küche der Jörimann Schreinerei AG. Bild: Jörimann Schreinerei AG

KÜchenplanung.  Ergonomisch, praktisch und schön – was bei der konventionellen Küche gefragt ist, erhält bei der altersgerechten Küche einen zusätzlichen Stellenwert. Dem Schreiner bietet sich in diesem Bereich ein spannendes Geschäftsfeld.

«Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.» Was Udo Jürgens einst in einem Schlager besungen hat, trifft heute wohl mehr denn je zu. Senioren erfreuen sich oft bis ins hohe Alter einer guten Gesundheit, sind vital und geniessen ihr Rentnerleben. Sie möchten so lange wie möglich selbständig bleiben und einen eigenen Haushalt führen.

Eine Chance für den Schreiner

Das durchschnittliche Alter beim Eintritt in ein Alters- oder Pflegeheim beträgt 81,41 Jahre, wie aus einer Statistik der Sozialmedizinischen Institutionen (Somed) hervorgeht. Da erstaunt es nicht, dass in der Wohnung im Laufe der Jahre Anpassungen nötig sind, die den älteren Menschen den Alltag erleichtern. Dies gilt namentlich auch für das Herz des Heims: die Küche. Ein spannendes Feld für den Schreiner.

René Jörimann weiss, worauf es bei einer altersgerechten Küche ankommt. Der Inhaber der Jörimann Schreinerei AG in Chur nimmt aber gleich zwei Punkte vorweg: «Die perfekte Küche gibt es nicht.» Und: «Der Unterschied zu einer herkömmlichen Küche ist viel kleiner, als man denkt.» Wo die kleinen, aber wesentlichen Unterschiede liegen, zeigt der Schreiner an einem konkreten Beispiel auf. Dabei handelt es sich um eine von 34, einem Altersheim angegliederten, Wohnungen (Bild oben).

Eine helle, blendfreie Arbeitsfläche trägt dem verminderten Sehvermögen und der Blendempfindlichkeit von älteren Menschen Rechnung. Aus dem gleichen Grund ist unter den Hochschränken eine LED-Schiene angebracht. Die Küchengeräte sind einfach zu bedienen und verfügen über grosse Drehknöpfe. Gut sicht- und fühlbare Griffe sorgen für ein leichtes Öffnen der Schränke und Schubladen. Die Oberschränke reichen nicht zu weit nach oben und sind so gut erreichbar. Eine weitere Besonderheit ist das eingeschliffene Tropfteil.

Ältere Menschen seien sich oft gewohnt, zumindest einen Teil des Abwasches von Hand zu machen, begründet Jörimann. Um ein Überlaufen zu verhindern, mache ein Tropfteil da durchaus Sinn.

Die Küche als Gratwanderung

«Bei einer einzelnen Küche wären selbstverständlich noch viele weitere Anpassungen möglich gewesen», erklärt Jörimann. «Baut man aber mehrere Küchen, so ist man stets auf einer Gratwanderung zwischen dem Machbaren und dem Sinnvollen.» Ähnlich verhalte es sich mit den optischen Kriterien. Damit spricht Jörimann bei diesem Objekt beispielsweise die Hochschränke an. Diese reichen bis an die Decke und dienen als optischer Abschluss der Küche – mit der Konsequenz, dass die obersten Regale für ältere Menschen nur schwer zu erreichen sind.

Als weiteres Zugeständnis sieht Jörimann den Druckschnäpper beim Schranktürchen oberhalb des Dampfabzugs. «Druckschnäpper sind für ältere Menschen nicht besonders geeignet – aber in diesem Fall hat leider die gewünschte Gestaltung gewonnen.»

Entscheidend, nicht bloss praktisch

Ein Spannungsfeld zwischen Funktion und Design sieht auch der Architekt und Altersfachmann Felix Bohn: «Das bewährte Prinzip ‹form follows function› wird von Architekten immer wieder durchbrochen, dabei ist es gerade bei altersgerechten Küchen zentral.» Fähigkeiten wie in die Knie gehen, sich bücken oder auf die Zehenspitzen stehen sind bei älteren Menschen oft eingeschränkt. Auch die Kraftreserven verringern sich. Deshalb ist die Ergonomie der Dreh- und Angelpunkt in der altersgerechten Küche.

«Eine ergonomisch konzipierte Küche kann mit körperlichen Einschränkungen länger selbständig und sicher genutzt werden.» Der Experte plädiert für zusammenhängende Grundrisse, also Einfronten- oder L-förmige Küchen. Die Anordnung sollte zwingend den Arbeitsablauf «waschen – schneiden – kochen» repräsentieren. So sind die Arbeitswege kurz und schwere Kochtöpfe können von der Spüle zum Kochfeld geschoben statt getragen werden. «Was für uns praktisch ist, ist für ältere Menschen entscheidend», sagt Bohn.

Das bestätigt auch Marlies Segenreich. Sie ist seit über zehn Jahren in der Küchenbranche tätig und hat in ihrer Weiterbildung zur Küchenspezialistin eine Diplomarbeit zum Thema «Hindernisfreies Bauen im Bereich Küche» verfasst. «Es gilt jeden unnötigen Kraftaufwand zu vermeiden», sagt sie. Konventionelle Schränke sollten durch Auszüge oder Schubladen ersetzt werden. Diese sind leichter zu bedienen und bieten einen besseren Überblick.

Da ältere Menschen schneller ermüden, ist nach Möglichkeit ein kleiner Tisch einzuplanen, an dem sitzend gearbeitet werden kann.

Bedürfnisgerechte Küchengeräte

«Da ältere Personen oft alleine oder zu zweit leben, kann es sinnvoll sein, Backofen und Geschirrspüler in einer kleineren Dimension zu wählen», meint Segenreich. Diese können direkt unter der Abdeckung montiert werden und sind so gut erreichbar. Gerade beim Backofen sollte auch eine Schwenktür anstelle einer Klapptür in Betracht gezogen werden. «Diese ist oft einfacher zu bedienen», erklärt sie. Ideal ist in diesem Fall eine hitzebeständige Arbeitsfläche direkt unter dem Backofen, auf der die heissen Bleche abgestellt werden können.

Beim Geschirrspüler kann ein Salzbehälter im Deckel zur Entlastung beitragen. Geeignet sind auch Schubladengeschirrspüler.

Während der Backofen, Geschirrspüler und Kühlschrank tendenziell eher klein dimensionert sein können, verhält es sich beim Tiefkühler umgekehrt: «Senioren haben oft jemanden, der für sie einkaufen geht, da braucht es mehr als nur ein Tiefkühlfach», begründet Segenreich.

Das Zwei-Sinne-Prinzip

«In vielen Fällen treten bei älteren Menschen mehrere körperliche Einschränkungen in unterschiedlicher Ausprägung auf», sagt Felix Bohn. Es sei deshalb wichtig, stets das Zwei-Sinne-Prinzip einzuhalten. Jedes Element der Küche muss mit zwei der drei Sinne Sehen, Hören und Tasten zu erfassen und zu bedienen sein. Aus diesem Grund sind Touch-Schalter absolut tabu. Gefragt sind konventionelle Drehschalter mit gut sichtbarer Beschriftung.

Ob beim Kochfeld auf Glaskeramik oder Induktion gesetzt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Als Hauptargumente nennt Bohn folgende: «Induktionsherde sind bei Trägern von Herzschrittmachern problematisch, dafür bieten sie Schutz vor Verbrennungen.» Um die Unfallgefahr beim Kochen zu verringern, können akustische Warnsignale oder Sicherheitssysteme mit Überhitzungsschutz eingebaut werden.

Die Sicherheit ist bei der altersgerechten Küche immer in die Planung mit einzubeziehen, so ist beispielsweise bei den Armaturen ein Einhebelmischer mit Thermostat zu empfehlen.

Mit Licht und Kontrasten

Besonders häufig ist bei Senioren eine Sehschwäche. «Hier stecken wir scheinbar in einem Dilemma», erklärt Bohn.

«Ältere Menschen brauchen mehr Licht, sind aber blendempfindlicher. Die Küche sollte deshalb über eine indirekte Grundbeleuchtung verfügen, die Arbeitsflächen linear, grossflächig und gleichmässig ausgeleuchtet sein. Auf Punktlichtquellen wie Spots sollte verzichtet werden, da diese blenden und unerwünschte Schatten erzeugen. Sinnvoll kann eine Innenbeleuchtung von Schränken und Schubladen sein.

«Bei der Abdeckung passieren die grössten Fehler», weiss Bohn. So werde beispielsweise oft geschliffener Granit verwendet, eine Oberfläche, die stark spiegelt und durch die Sprenkel das Erkennen der verschiedenen Gegenstände erschwert. Der Experte empfiehlt deshalb helle, matte (blendfreie) Oberflächen. «Die teuerste Lösung ist nicht immer die beste», sagt Bohn. Ein wichtiges Thema sind bei einer Sehbehinderung auch die Kontraste. So können farbige Steckdosen als Orientierungshilfe dienen, ebenso wie grosse Anzeigen, Schalter und Griffe.

Auf die Kommunikation kommt es an

Die altersgerechte Küche verursacht weder nennenswerte Mehrkosten noch besondere Schwierigkeiten bei der Montage, dafür aber eine eingehende Abklärung der Bedürfnisse. Wichtig ist ausserdem die Kommunikation. «Bei einem Generalunternehmer zählen die Fakten», erklärt Marlies Segenreich. Bei einem Privatkunden müsse auch die Gefühlsebene mit einbezogen werden. Sie empfiehlt deshalb, anstelle der «altersgerechten Küche» von einer «Komfortküche» zu sprechen.

www.joerimann-schreinerei.chwww.wohnenimalter.ch

Zur Person

Felix Bohn ist dipl. Architekt ETH, dipl. Ergotherapeut HF, zert. Gerontologe Inag, zert. Lichtdesigner SLG und arbeitet als Fachbereichsleiter Altersgerechtes Bauen bei der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen. Er ist ausserdem Initiant und Leiter des Netzwerks Gerontologische Architektur und arbei- tet als selbständiger Berater.

Altersgerechte Küche

Checkliste

  • Keine Spezialküche, sondern eine ergonomisch optimale Küche planen.
  • Rutschsicherer Bodenbelag, Bewertungsklasse GS1/R 10.
  • Anordnung von Spüle, Arbeitsfläche und Kochfeld in direkter Abfolge.
  • Helle, einfarbige Arbeitsflächen erleichtern das Erkennen von Gegenständen. Kontraste erleichtern die Orientierung in der Küche.
  • Matte Oberflächen des Arbeitsbereichs, der Rückwand und der Schranktüren verhindern Blendung durch Reflexionen.
  • Separate Arbeitsfläche, an der für längere Arbeiten sitzend gearbeitet werden kann (Küchentisch mit Oberkante 720 bis 750 mm).
  • Apothekerschränke, Auszugelemente und Ausdrehbeschläge bei den Eckelementen und in den Oberschränken erleichtern die Erreichbarkeit. Abstand Arbeitsfläche – Oberschränke 480 bis 520 mm.
  • Bedienungselemente, welche auch von Menschen mit rheumatischen Beschwerden oder eingeschränkter Kraft bedient werden können, das heisst, gut umgreifbare Türbeschläge, Armaturen mit langen Hebeln usw.
  • Vermeidung von Touch-Bedienfeldern beim Kochfeld. Diese können von Menschen mit einer Sehbehinderung nicht erkannt und bedient werden. Drehschalter mit kontrastreicher Beschriftung einsetzen.
  • Beleuchtung ausreichend und blendfrei. Grundbeleuchtung im Raum 500 Lux am Boden. Nicht direkt einsehbare, lineare Leuchte als Unterschrankleuchte im Arbeitsbereich mit mindestens 750 Lux auf der Arbeitsfläche.
  • Anpassbarkeit einplanen, zum Beispiel leichte Demontage des Schrankbereichs unter der Arbeitsfläche zur Unterfahrbarkeit mit einem Rollstuhl oder nachträglicher Einbau eines Hauptschlüsselschalters für das Kochfeld in Wohnungen, in der eine an Demenz erkrankte Person lebt.
  • «Planungsrichtlinien für altersgerechte Wohnbauten» findet man unter:→ www.hindernisfrei-bauen.ch

mh

Veröffentlichung: 13. November 2014 / Ausgabe 46/2014

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