Kurzzeitiger Plexiglas-Boom

Wo Menschen aufeinandertrafen, wurden Spuck-schutzwände nötig. Bild: Envato Elements

Kunststoff.  Plexiglas hat während der Coronapandemie einen regelrechten Boom erlebt. Viele Institutionen und Geschäfte benötigten auf einmal einen Spuckschutz. Die Schreinereien waren unmittelbar und kurzfristig mit der Produktion von Plexiglas-Konstruktionen konfrontiert.

Der Gesundheitsschutz hat während der Coronapandemie im öffentlichen Leben eine zentrale Bedeutung erlangt. Hygienekonzepte waren Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Betriebe im Einzelhandel, in Hotels und Restaurants, in Praxen, Schulen oder Büros. Alle brauchten transparente Trennscheiben als durchsichtige Barriere, die vor Tröpfcheninfektionen mit dem Coronavirus schützen. Acrylglas, geläufig unter dem Markennamen Plexiglas, wurde zum gefragten Produkt. Die Ausführungen waren vielfältig: mobile Thekenaufsätze mit Durchreiche, fest installierte Schutzscheiben, hängender Hygieneschutz, bewegliche Paravents oder farbige bis opake Trennwände. Schreinereien wurden zum Bindeglied zwischen Endkunden und Plexiglashersteller.

Überbrückung in schwierigen Zeiten

Vom Plexiglas-Boom haben auch die Schreinereien profitiert. Bernhard Kuster gehörte zu den Ersten, die den Bedarf an Spuckschutzvorrichtungen erkannten. Als sich der Lockdown anbahnte, wurde dem Inhaber der Kuster GmbH im bernischen Bangerten bewusst, dass solche Trennwände aus Plexiglas gefragt sein werden. «Ich habe mir eine beachtliche Menge Plexiglas bestellt, noch bevor ich dafür Aufträge hatte.» Sein Riecher täuschte ihn nicht. Als Erstes habe er einen Prototyp hergestellt, einen T-förmigen Fuss aus Holz. «Dieses Modell habe ich auf meine Website gestellt.» Zusätzlich habe er Inserate in den lokalen Zeitungen geschaltet. Lange liessen die ersten Aufträge nicht auf sich warten. Sein Geschäft florierte. Nebst seinem Standardmodell fertigte er Sonderausführungen an: fahrbare oder fixe Plexiglaseinrichtungen, solche mit Winkelkonstruktionen und viele weitere Modelle. «In meinen 17 Jahren als Ein-Mann-Betrieb hatte ich bisher 7 Quadratmeter Plexiglas verarbeitet. Zu Coronazeiten kletterte diese Zahl auf 120 Quadratmeter.»

Das Geschäft mit dem Spuckschutz habe ihm über den ersten Lockdown hinweggeholfen, weil die anderen Aufträge auf Eis gelegt oder Projekte sich zeitlich verzögert hätten. Später kam es zu Plexiglas-Lieferengpässen. Kuster wich auf teurere Varianten aus. «Konnte ich liefern, fragten mich die Kunden gar nicht mehr nach dem Preis», erzählt der 53-Jährige.

Einfache Bearbeitung

Auch die Seifert Schreinerei AG im aargauischen Strengelbach spürte den kurzfristigen Plexiglas-Boom. «Unsere Kunden brauchten von einem Tag auf den anderen Trennwände», sagt Produktionsleiter Fabian Matter. Zu Spitzenzeiten machten Plexiglaskonstruktionen bis zu einem Viertel der Aufträge aus. Der Vorteil von Plexiglas sei, dass es sich einfach bearbeiten lasse. «Zum Trennen, Bohren, Fräsen oder Sägen eignen sich die gängigen Maschinen der Holzbearbeitung.» Man sei so nicht auf externe Partner angewiesen. Deshalb fügte sich die Fertigung von Hygieneschutzeinrichtungen gut in die Produktionsprozesse von Schreinereien ein. Plexiglas hat noch ein weiteres Plus: Es ist belastbar und bruchfest. Damit hat es gegenüber Glas einen klaren Vorteil in Sachen Sicherheit. Weiter ist es langlebig, gesundheitlich unbedenklich, geruchsneutral und bei Bedarf zu 100 Prozent rezyklierbar. Ausserdem lässt sich Plexiglas mit einem feuchten, fusselfreien Tuch und wenig Geschirrspülmittel einfach reinigen. Damit es keinen Staub anzieht, kann es mit einem antistatischen Kunststoffreiniger behandelt werden. Um Kratzer zu vermeiden, sollte es jedoch nicht trocken abgewischt werden.

Zertifikate erforderlich

«Die grosse Vielfalt an Farben und Oberflächen wird von Kunden geschätzt», sagt Matter. Kunststoff sei aber nicht gleich Kunststoff. Es gebe verschiedene Kunststoffe, die als Trennwände, Sicht- oder Spuckschutz eingesetzt werden können. Je nach Einsatzgebiet wie beispielsweise in der Lebensmittelindustrie oder im Gesundheitsbereich müsse man das Material genau deklarieren, weil dort gewisse Zertifikate erforderlich seien. «Der Schreiner verfügt nicht über dieses spezifische Kunststoff-Know-how und die entsprechenden Dokumente.» Deshalb sei ein verlässlicher und kompetenter Partner wichtig, der die Zertifikate vorlegen könne. Im vergangenen Sommer bekam auch die Seifert Schreinerei die Lieferengpässe beim Plexiglas zu spüren. «Wir wichen auf Einscheibensicherheitsglas (ESG) aus, was die Ausführung etwas verteuerte. Doch den Kunden war der Preis egal. Hauptsache, wir konnten kurzfristig liefern.»

Von Anfragen überrollt

Von der gewaltigen Plexiglas-Nachfrage haben auch die Kunststoffspezialisten profitiert. Die schweizweit tätige Neomat AG, eine Handelsfirma für Kunststoffe mit Hauptsitz in Beromünster LU, hat 2020 während der beiden Monate März und April 80 Prozent der Menge Plexiglas verkauft, die sie sonst innert eines Jahres absetzt. An Spitzentagen gab es über 30 Anfragen in einer Stunde. Alle wollten dasselbe. Lieferengpässe gab es europaweit. «Es war schwierig, das Material aufzutreiben. In der Schweiz produziert niemand Acrylglas, alles wird importiert. Doch bei uns kam es zum Glück nie zu einem Lieferstopp, höchstens zu längeren Lieferzeiten. Wir zehrten einerseits von unserem Lager, andererseits konnten wir uns über unseren Konzern eindecken», sagt Florian Gloor, Leiter Verkauf und Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung. Die Not habe die Firma auch erfinderisch gemacht. So wich Neomat auf andere Materialien aus wie zum Beispiel Stegplatten, welche die Firma bei ihrem Dachfensterhersteller bezog.

Rückläufige Bestellungen

Seit einiger Zeit gehen die Bestellungen von Plexiglas-Trennwänden in den Schreinereien wieder zurück. «Die Praxen, Verkaufsstellen und Apotheken sind nun ausgerüstet», sagt Kuster. Der Schutz vor Infektionen wird wohl auch in Zukunft eine Rolle spielen. Viele Apotheker erwägen beispielsweise, die transparenten Schutzscheiben an den Theken auch nach der Coronakrise zu behalten. Somit ist naheliegend, dass der Hygieneschutz künftig zum festen Bestandteil bei der Planung von Laden-, Gastronomie- und Büroeinrichtungen wird. Die Schreinerbranche war kurzfristig weniger stark von der Coronakrise betroffen als andere Branchen. Langfristig wird die Pandemie nun in Lieferengpässen beispielsweise bei den Holzplatten und in gros- sen Preisaufschlägen spürbar.

www.kuschi.chwww.seifert-schreinerei.chwww.neomat.ch

Plexiglas

Plexiglas ist ein Markenname für Acrylglas. Das Material wurde 1933 erfunden und ist eine Marke der Röhm GmbH aus Darmstadt (D). Dank viel Pioniergeist und Innovationskraft ist aus dem Ursprungsmaterial, einer transparenten Platte, eine ganze Produktfamilie geworden.

Transparente Trennwände

Diese Kunststoffe eignen sich

Acrylglas (auch Plexiglas genannt, chemisch Polymethylmethacrylat, kurz PMMA). Eigenschaften: Standard-UV-vergütet sowie gute optische Eigenschaften. Man unterscheidet die Untergruppen Acrylglas GS und Acrylglas XT. Letzteres darf in Kontakt mit Lebensmitteln verwendet werden, falls eine Konformitätserklärung des Herstellers vorhanden ist.

Polycarbonat (Reaktionsprodukt von Kohlensäuredichlorid bzw. Diphenylcarbonat und Bisphenol A). Eigenschaften: sehr hohe Schlagfestigkeit, gute optische und mechanische Eigenschaften. Existiert sowohl in UV- wie auch in nicht UV-vergüteter Qualität.

PET (Polyethylenterephthalat, gehört in die Gruppe der Polyester). Eigenschaften: sehr hohe Schlagfestigkeit, hohe Transparenz und schwer entflammbar. Existiert sowohl in UV- wie auch in nicht UV-vergüteter Qualität.

Caroline Schneider, cs, cs

Veröffentlichung: 26. August 2021 / Ausgabe 35/2021

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