Laie findet Profi – neue Wege fürs Design

Bild: Daniela Gellner Wohnen mit Holz vom Baumarkt, gestaltet nach dem Prinzip Bauhaus: Die «Hartz IV Möbel» des Designers Van Bo Le-Mentzel.

Do it yourself.  Einst war die Lust am Selbermachen der Auslöser, in den Siebzigern ging es um politische Selbstbestimmung. Im aktuellen «Do It Yourself Design» ist das sinnliche Handwerk wieder erwacht. Amateur- und Profiwissen treffen sich, wie eine Ausstellung in Zürich zeigt.

Rohe Dachlatten aus Nadelholz zum Regal verschraubt – so lässt sich der Entwurf des Schweizer Designers Alex Valder umreissen. Es ist das Eingangsobjekt zur Ausstellung «Do It Yourself Design» im Schaudepot des Zürcher Museums für Gestaltung. Die Besucher durften sogar selbst Hand anlegen und das Regal erweitern. Das Werk namens «Latte» steht für den populären Trend, selbst Möbel zu entwerfen und zu bauen.

Design für alle

Die Entwicklung des Selberbauens von Möbeln reicht bereits mehr als ein Jahrhundert zurück, wie der erste Teil der Schau zeigt. In Glasvitrinen aufgelegte Handbücher und Zeitschriften illustrieren die einst gängigsten Quellen für Bauanleitungen. Das Buch «Nomadic Furniture» von Victor J. Papanek und James Hennessey aus den 70er-Jahren gilt als Symbol für die einsetzende politische Dimension der Bewegung: Selbstbestimmung wurde prägend, und es kam Kritik auf am herrschenden Massenkonsum. Heutzutage ermöglichen digitale Plattformen wie Dawanda, Hartz IV oder Ikea-Hackers den globalen Austausch von Plänen und Anleitungen von Profis wie Amateuren. Ein Breitenphänomen ist entstanden. Dieses ist auch bestimmt durch die Sehnsucht nach Individualität und die Freude am sinnlichen Handwerk.

Im zweiten Ausstellungsbereich ist zu sehen, wie professionelle Gestalter unterschiedliche Produktions- und Vertriebsansätze entwickeln. Doch die Möbel sprechen durchwegs eine ähnliche Sprache. Aus Holzresten gebaut, war der erste «Crate Chair» des niederländischen Designers Gerrit Rietveld gewissermassen ein Pionier. Im Jahr 1934 entwarf er den Stuhl als Bausatz zur Selbstmontage. Flach verpackt, kam er per Post in jeden Haushalt.

Einfach gebaut, aber selbstbestimmt

Spartanisch gehts weiter: Aus rohem Holz wird der «Sedi 1 chair» des italienischen Designers Enzo Mari aus den 70er-Jahren zusammengenagelt. Es handelt sich also nicht um technisch hochwertige und solide Handwerkskunst. Doch der Entwurf hat dem Flüchtlingshilfeprojekt «Cucula» in Berlin zum Durchbruch verholfen.

In jedem von uns steckt ein Designer, lautet die Botschaft der Entwürfe zwischen den Zeilen. Der Berliner Designer Van Bo Le-Mentzel kreierte 2010 bis 2012 «Hartz IV Möbel», benannt hat er sie nach der deutschen Sozialreform 2002. Die Entwürfe sollen für Menschen in prekären Verhältnissen eine ästhetische Einrichtungsalternative sein.

Die Gestaltung orientiert sich am Bauhaus – das Material vom Baumarkt am Geldbeutel. Die Pläne stehen im Netz zum Download bereit – gratis für private und soziale Zwecke. Die Weiterentwicklung ist ausdrücklich erwünscht.

In jedem steckt ein Designer

Entwickeln heisst es auch für die Besucher.Das kuratorische Konzept von Franziska Mühlbacher und Angeli Sachs fokussiert auf die Wechselwirkung von Laien- und Profidesign. Der übernommene Ausstellungsteil des Wiener Museums für angewandte Kunst (Mak) blickt hingegen auf Möbel und Wohnen. Eine Vielzahl an Exponaten und filmisches Material dokumentieren das Selberbauen. Dank integrierter Werkstatt können Besucher in Workshops neu gebaute Objekte beisteuern.

Doch wie schwierig oft schon der Nachbau sein kann, zeigt ein Film über das mühevolle Unterfangen, den «5-Minuten-Stuhl» aus Drahgitter in Sitzform zu biegen. Manchmal ist der Weg vom Entwurf zum funktionierenden Produkt sehr weit. Den Stuhl hatte das Schweizer Designerpaar Susi und Ueli Berger im Jahr 1970 entwickelt.

Nicht nur Ikea liefert Beispiele dafür, wie mittels Bausätzen und Vetriebswegen dem Konsumenten seine Kreativität wieder abgekauft wird. Mit «Hacking» antwortet der Schweizer Designer Andreas Bhend in seinem eigens für die Ausstellung konzipierten Entwurf. Seine Garderobe aus Birkensperrholz «Frosta Z 2.0» basiert auf dem Bausatz des Ikea-Hockers «Frosta», der übrigens selbst schon als Kopie des «E60» vom Finnen Alvar Aalto gilt. Bhend bietet die Bauanleitungen zum Download kostenlos an und provoziert so einmal mehr die Frage nach dem Wert von Design.

Konsument und Produzent zugleich

Der dritte Bereich der Ausstellung zeigt, wie Konsument und Produzent zu einer Person verschmelzen können. Der Schweizer Yves Ebnöther entwickelte einen digitalen Konfigurator für Sitzhocker. Der Nutzer kann damit sein Möbel hinsichtlich Grösse und Material individuell entwerfen. Die Einzelteile finden alle auf einer Platte Platz. Die professionelle Produktion übernimmt eine Projektstation vor Ort, beispielsweise das Fablab (Fabrikationslaboratorium) Zürich. Diese ermöglicht einen niederschwelligen Zugang zu modernen Fabrikationstechnologien. Derzeit gibt es weltweit über 250 Fablabs. Dort werden die Teile mittels CNC aus dem Material gefräst. Der Kunde steckt sie selbst zusammen – fertig ist der Hocker! Das Projekt mit dem Namen «Stool around the world» ermöglicht also eine digital vernetzte Produktion mit lokalen Wurzeln. Mit nachhaltigen Design-Ideen schliesst die Schau.

Die Ausstellung «Do It Yourself Design» im Schaudepot des Zürcher Museums für Gestaltung dauert noch bis Ende Monat.

www.museum-gestaltung.ch

MZ

Veröffentlichung: 15. Mai 2015 / Ausgabe 20/2015

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