Menschen und Maschinen

In der Werkstatt der Zukunft in Biel sollen neue Technologien auf ihre Praxistauglichkeit getestet werden. Bild: BFH

Holz 4.0.  Während die Industrie ihre Produktion individualisieren muss, ohne an Automatisierung zu verlieren, muss das Handwerk automatisieren, ohne an Individualität einzubüssen. Genau an diesem Punkt setzt die Werkstatt der Zukunft an der BFH in Biel an.

Die Welt dreht sich um 180 Grad. Früher wandte man sich dem Eiffelturm zu, um ihn zu fotografieren. Das Ergebnis wurde nach der Reise als Erinnerung in ein privates Album geklebt. Heute kehrt man dem Eiffelturm beim Fotografieren den Rücken zu, personalisiert ihn mit dem eigenen Konterfei und stellt das Ergebnis auf der Suche nach Likes sogleich ins Netz. Der Eiffelturm ist der gleiche, sonst ist nichts mehr, wie es einmal war.

Was bedeuten die Veränderungen der Digitalisierung für die Industrie? Vor ziemlich genau zehn Jahren wurde die vierte industrielle Revolution ausgerufen – letztlich nichts anderes als die Vision einer selbststeuernden Produktion individualisierter Produkte in Losgrösse 1 zu Kosten einer Massenproduktion («Smart Factory»). Dabei werden nicht nur Produkte radikal individualisiert, auch die Preise werden flexibel, um die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft auszunutzen.

Individualisieren, zu welchem Preis?

Den Industriebetrieben stehen Zehntausende KMU gegenüber, für die die Individualisierung der Produkte kein Problem darstellt. Sie sind es gewohnt, Einzelanfertigungen herzustellen. Das gilt ganz besonders für die Holzwirtschaft, in der die Massenproduktion auf zusätzliche Herausforderungen trifft. Es gibt zwar industrielle Lösungen für Modulbauten, Türen, Ladeneinrichtungen, Küchen und so weiter. Die Produkte müssen sich aber meist in einen bestehenden Kontext fügen: In einem denkmalgeschützten Haus wird die Eingangstür ersetzt, ein bestehendes Mehrfamilienhaus wird aufgestockt, ein Laden in der Altstadt wird neu eingerichtet, in einem Bauernhaus wird die Küche umgebaut. Oft steht das Produkt auch nicht für sich allein, sondern muss sich zusammen mit den Arbeiten anderer Gewerke zu einem Ganzen fügen.

Für die Holzwirtschaft ist somit nicht die Individualisierung der Produkte und Dienstleistungen die grösste Herausforderung, sondern die Kosten – mitunter auch die Qualität. Für ein Innenausbauunternehmen, das einen Schrank herstellt, ist der blosse Materialeinkauf teurer als der fertige Schrank im Möbelhaus, wo man ihn gleich mitnehmen und zu Hause selbst montieren kann. Es sind also neue Lösungen gefragt. Die digitale Transformation bietet hierfür gute Chancen.

Mögliche Lösungen sind allerdings noch komplexer als in den Smart Factories. «Komplex» und «digital» vertragen sich aber schlecht, auch wenn bei der künstlichen Intelligenz schon grosse Fortschritte gemacht wurden. Es geht also darum, komplexe Prozesse zu komplizierten weiterzuentwickeln. Diese können dann digitalisiert oder wenigstens digital unterstützt werden. Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine wird dabei eine Schlüsselrolle einnehmen.

Technologien, Konzepte und Methoden

Einzelne KMU können strukturell bedingt wenig erreichen. Es braucht Kooperation: Forschende, Studierende, Systemlieferanten und Systembetreiber benötigen eine Plattform für die Zusammenarbeit. Genau das bietet die Werkstatt der Zukunft. Sie ist eine offene und neutrale Lern-, Entwicklungs-, Test- und Demo-Umgebung der Berner Fachhochschule (BFH) in Biel im Originalmassstab. Partnerinnen aus angewandter Forschung und Wirtschaft adaptieren und integrieren darin neue Technologien, Konzepte und Methoden. Sie steht auch für Visualisierung und Simulation zur Verfügung. Die Werkstatt der Zukunft entstand aus dem Labor für digitale Fertigung und entwickelt sich durch die Bearbeitung von Anwendungsfällen und insbesondere durch deren Vernetzung permanent weiter.

Von der Idee zum Produkt

Ein aktuelles Projekt verfolgt etwa die Entwicklung einer flexiblen Lösung, mit der dank der Triangulation von Flächen Freiformen gestaltet und automatisiert hergestellt werden können. Zu dieser Lösung gehört die Produktentwicklung genauso wie die Entwicklung der Prozesse und der digitalen Werkzeuge. Markt und Einkaufserlebnis aus Kundensicht werden ebenfalls mit betrachtet. Die Erarbeitung eines digitalen Rahmengerüsts für projektbezogene Kooperationen ist ein weiteres Vorhaben. Unternehmen sollen Projekte gemeinsam bearbeiten können. Das können Aufträge oder Beschaffungen sein. Auch die gemeinsame Ausbildung von Lernenden oder die gemeinsame Beschäftigung von Spezialistinnen und Spezialisten ist denkbar.

Referenzmodelle unterstützen die Kommunikation und führen zu einem gemeinsamen Verständnis. Bestehende Referenzmodelle wie «Rami 4.0» passen zwar für grosse Industrieunternehmen, aber nicht für ein KMU mit 50 Mitarbeitenden. Nun hat die BFH ein Modell entwickelt. Mit einer ersten Version wurden mit Unternehmen bereits Kompetenzprofile erstellt, Prozessschritte und Software-Infrastrukturen visualisiert sowie Studien zu Aufwand und Sparpotenzial in der Datengenese durchgeführt.

Die Beispiele sind ein Auszug aktueller Anwendungen in der Werkstatt der Zukunft der BFH. Weitere Forschungs- und Lehrprojekte sind im Entstehen begriffen. Um auch den Transfer in die Praxis zu fördern, wird aktuell eine Besucherplattform gebaut und ein Multimediasystem integriert. Beides wird an der nächsten Konferenz Holz 4.0 im Juni 2022 in Biel im Zentrum stehen.

Mit der Werkstatt der Zukunft leistet die BFH einen Beitrag, um die regional verankerten Unternehmen zu international wettbewerbsfähigen Wertschöpfungsnetzwerken zu formen. Die technologischen Voraussetzungen in den Unternehmen sind gut, und das verarbeitete Holz ist einheimisch und klimaneutral. Das eröffnet nachhaltige Perspektiven – ökologisch, ökonomisch und sozial.

www.bfh.ch/wood

Noch ein weiter Weg

Eine neunköpfige Steuergruppe aus Branchenvertreterinnen und -vertretern begleitet die Initiative Wald & Holz 4.0. Für den VSSM wirkt Heinz Fehlmann in der Gruppe mit. Der Unternehmer aus Müllheim ist Präsident der Thurgauer VSSM-Sektion. Es sei ein grosser Gewinn, dass in diesem Projekt alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette Holz zusammenarbeiten.

Schreinerzeitung: Herr Fehlmann, wie haben Sie die Arbeit im Projekt erlebt?

Heinz Fehlmann: Es war in erster Linie eine grosse Auslegeordnung entlang der Wert- schöpfungkette Holz, um herauszufinden, wer wo steht in der digitalen Transformation. Dabei war es eine gute Erfahrung, dass die Akteure vom Wald über die Holzverarbeiter und den Handel bis hin zu den Holzbauern und Schreinern alle am gleichen Tisch sassen. Wir stellten fest, wie verschieden weit die einzelnen Branchen sind. Auch innerhalb der Branchen gibt es beträchtliche Unterschiede. Das zeigten Betriebsbefragungen.

Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der ersten Phase des Projektes Wald & Holz 4.0?

Wir haben einmal mehr gemerkt, dass vieles im Wandel ist, nicht nur bei uns Schreinern. Ich durfte auch feststellen, dass die Schreinerbranche verhältnismässig weit ist, was die digitale Tansformation angeht. Doch letztlich sollte ja ein durchgängiges Bim – ein Building Information Modeling – unser Ziel sein, eine komplette, digitale Modellierung aller relevanten Informationen rund um ein Bauwerk. Und bis es so weit ist, bleibt noch ein weiter Weg vor uns. Ein zentrales Problem sind die unterschiedlichen Software- lösungen, die vom Architekten bis zum Bauhandwerker auf allen Stufen im Einsatz stehen. Hier sind wir alle aufeinander angewiesen, damit es letztlich gemeinsame Standards und funktionierende Schnittstellen gibt.

Woran denken Sie konkret?

Eine grosse Frage ist für mich, wie weit vorne der Schreiner bei der Planung eines Bauprojektes dabei sein soll. Ich finde, möglichst weit vorne! Schliesslich sollten die Daten aus der Planung direkt auf die Maschinen in der Produktion fliessen. Hier gibt es noch viel Handlungsbedarf, etwa aufseiten der Architekten, wo Details mit dem Schreiner abgestimmt werden müssen, Dann stellt sich auch die Frage, wem die Daten gehören. Unternehmen, die schon viel in digitale Technologien investiert haben, teilen diese nicht so ohne Weiteres.

Nebst den technologischen stellen sich auch strategische Fragen, um vom digitalen Wandel zu profitieren.

Letztlich muss jeder Betrieb solche Fragen für sich beanworten. Wichtig ist, dass wir als Branche vorne dabei sind und den Zug nicht vepassen. Zusammenarbeit ist sicher ein möglicher Weg. Warum als Schreinerbetrieb nicht mit einer Softwarefirma zusammenarbeiten, um eine Möbelkollektion zu entwerfen, die Kunden online konfigurieren und bestellen können? Und die damit die Parameter gleich auf die Maschinen schicken?

Initiative Wald & HOlz 4.0

Zusammenbringen, was zusammengehört

Anfang dieses Jahres endete die erste Projektphase der Intitiative Wald & Holz 4.0 unter der Federführung der Berner Fachhochschule (BFH) in Biel. Am Projekt wirkten Exponenten entlang der Wertschöpfungskette Holz vom Wald bis zum fertigen Produkt mit, um sich mit den Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation in der Holzbranche zu befassen. Der Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten ist eine von neun Partnerorganisationen und mit dem Präsidenten der Thurgauer Schreiner, Heinz Fehlmann, im Steuerausschuss vertreten (siehe Interview auf Seite 22).

Eine 30-seitige Zusammenfassung der Erkenntnisse der ersten vier Jahre erschien im Frühjahr 2021. Die technologische Seite der Initiative zeigt sich unter anderem im Projekt «Werkstatt der Zukunft» der BFH in Biel und ist in nebenstehendem Artikel beschrieben. Doch die digitale Transformation beeinflusst auch die Strategien von Firmen. In ihrem Fazit kommt die Projektgruppe zum Schluss, dass den Unternehmern vier Wege offenstehen, auf den technologischen Wandel zu reagieren (siehe Grafik). Während sich einige Firmen aus dem Markt zurückziehen oder sich in einer passenden Nische spezialisieren werden, streben viele andere nach Grösse, mit dem Ziel «Individualfertigung zu Bedingungen der Masssenproduktion». Wiederum andere suchen in der einen oder anderen Form die Zusammenarbeit mit Partnerbetrieben. Digitale Technologien helfen hier, sich zu vernetzen, und ermöglichen es – als fünfter Weg –, die Produkte gemeinsam mit anderen auf Plattformen zu vermarkten (analog Amazon, Uber oder Airbnb).

Der Bund unterstützt die Initiative mit Mitteln aus dem Aktionsplan Holz. Bereits hat er für das Folgeprojekt Gelder gesprochen. Nebst Projekten zur technologischen Innovation, etwa zur Vorfertigung von Nasszellen aus Schweizer Holz, soll hier insbesondere die digitale Vernetzung und Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette mittels der neuen Plattform Wald und Holz 4.0 gestärkt werden.

www.wh40.ch

Zum Autor

Rolf Baumann war bis am 30. September Leiter des Instituts für digitale Bau- und Holzwirtschaft an der Berner Fachhochschule (BFH) Biel, wo er sich unter anderem mit der Entwicklung der Werkstatt der Zukunft befasste. Der hier abgedruckte Artikel erschien zuerst in der Oktober-Ausgabe der BFH-Zeitschrift «Spirit».

Rolf Baumann, hil, hil, hil

Veröffentlichung: 17. November 2021 / Ausgabe 38/2021

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