Millimeterarbeit an einer Brücke

Präzision ist gefragt: die Studierenden der BFH beim Montieren der Da-Vinci-Brücke. Bild: Zoe Ferrari Castelli

Kunstprojekt.  Diese Woche sind mitten in Biel zwei Brücken aufgerichtet worden. Studierende der Berner Fachhochschule haben sie entworfen und gebaut. Die Brücken sind Teil des Kunstprojekts «Robert-Walser-Sculpture». Der Schreiner im Team erkannte Parallelen zu seiner Arbeit.

Seit April wird das Kunstprojekt «Robert-Walser-Sculpture» von Thomas Hirschhorn auf dem Bahnhofplatz Biel in Form von drei Plattformen aufgebaut. Die Plattformen dienen ab Mitte Juni als Begegnungsorte für ein breites Publikum. Die Grösse und Form der Plattformen werden während der Bauphase intuitiv von den Erbauern bestimmt. Nur zwei Durchgänge für Fussgänger und Taxis müssen gewährleistet sein. Die dadurch unterteilten Plattformen werden mit zwei Brücken verbunden.

Initiant Thomas Hirschhorn ging auf die Berner Fachhochschule (BFH) zu, stellte sein Vorhaben vor und präsentierte seine Vorstellungen. In der Folge haben sich acht junge Leute des Studiengangs Bachelor of Science in Holztechnik bereit erklärt, sich im Rahmen der Projektarbeit im 8. Semester der Herausforderung anzunehmen und die zwei Brücken zu planen, zu bauen und zu montieren. Eine nicht alltägliche Aufgabe, während der die Studierenden mit ihrem erworbenen Ingenieurwissen einen Beitrag an die Realisierung eines Kunstprojekts leisten dürfen.

Zwei Brücken in drei Monaten

Ziel war es, ein Tragwerk zu entwickeln, das dem Konzept der Robert-Walser-Skulptur entspricht und sich mit dessen Ausdruck und Sprache verbindet. Neben ästhetischen Ansprüchen sollte es alle statischen und wirtschaftlichen Vorgaben erfüllen.

In der ersten Phase erstellten die Studierenden Vorstudien und Entwürfe zur Tragstruktur und Konstruktion der Brücken und entwickelten diese laufend weiter. Daraus entstanden drei finale Entwürfe mit Vorbemessung, Kostenschätzung und Montagekonzept. In der Folge bestimmten die angehenden Holzingenieure ein definitives Konzept, das gleichzeitig als Abschluss des Vorprojekts diente. In einer zweiten Phase nahmen sie sich der Ausarbeitung sowie der Bemessung des gewählten Entwurfs an. Sie bestellten und bereiteten das Material vor und arbeiteten einen detaillierten Montageablauf inklusive Logistik aus. Die Brücken wurden im Technologiepark der BFH in Biel vorgefertigt und vormontiert zum Bahnhof Biel transportiert. In der abschliessenden, dritten Phase haben die Studierenden diese Woche die zwei Holzbrücken auf dem Bahnhofplatz montiert und mit geladenen Gästen die Aufrichte gefeiert.

Die Bachelor-Studierenden Jonas Amstutz, Christian Arnold, Andrea Balmelli, Zoe Ferrari Castelli, Patrick Javet, Luca Jeannerat, Matthias Schilliger und Philipp Umiger haben das Brückenprojekt ausgearbeitet und realisiert. Cornelius Oesterlee, Leiter Studiengang Bachelor Holztechnik, und Christophe Sigrist, Professor für Ingenieurholzbau und Stahlbau, begleiteten die Studierenden. Balmelli und Ferrari studieren in der Vertiefung Process and Product Management (PPM), die anderen sechs des Teams in der Vertiefung Timber Structures and Technology (TST). Diese Teamzusammensetzung ermöglichte eine dynamische und interkulturelle Zusammenarbeit. Während die TST-Studenten sich um die Kalkulation und die Analyse kümmerten, waren die PPM-Kollegen um die Logistik und das Montagesystem besorgt. «Es ist ein komplexes Projekt, das uns in verschiedenen Themen auf die Probe stellte und es uns ermöglichte, unsere fachlichen und kollaborativen Fähigkeiten zu verbessern und zu bereichern», fasst Balmelli zusammen.

Der Schreiner im Team

Patrick Javet ist der einzige Schreiner in der Gruppe, und seine Erfahrungen und Kenntnisse waren von grundlegender Bedeutung. «Im ersten Moment hat eine Brücke nicht viel mit der Arbeit eines Schreiners zu tun. Sie ist gross, schwer, feucht und schmutzig. Nicht wie bei einem Möbelstück: Dort ist millimetergenaues und sauberes Arbeiten zwingend», sagt Javet.

Doch in Wahrheit sieht die Sache anders aus. Die Brücke funktioniert über Druckkräfte, das heisst, es werden alle Kräfte über Kontaktreibung weitergegeben. Wenn ein Winkel nicht ganz genau geschnitten ist, reicht die Kontaktfläche nicht aus und die Brücke wird instabil. «Für die Brücke mussten wir jedes einzelne Bauteil millimetergenau zuschneiden und die einzelnen Schnitte präzis ausführen. Die Planung des Produktionsablaufs war ähnlich wie bei einer Möbelproduktion», sagt Javet. Der Ablauf vom Zuschnitt über die Vorfertigung bis zur Montage muss einwandfrei verlaufen. Aus der Ferne hat eine Brückenkonstruktion zwar nicht viel mit einer Schreinerarbeit zu tun. Betrachtet man das Ganze etwas näher, gibt es Gemeinsamkeiten.

Von Leonardo da Vinci inspiriert

Die Studierenden haben eine der Brücken nach dem Da-Vinci-Prinzip konzipiert – eine Hommage an den legendären Ingenieur Leonardo da Vinci anlässlich seines 500. Todestages. Vom Genie inspiriert, haben sie eines seiner berühmtesten Werke in einer besonderen Version nachgebaut.

Auch die Suche nach Kooperationen mit Unternehmen, die das Projekt zu realisieren halfen, bot den Studierenden interessante und lehrreiche Situationen. Sie erhielten nicht nur Einblicke in die Materialbeschaffung, sondern auch die Möglichkeit, realitätsnah mehr über den Handel und die Branche zu erfahren. Beispielsweise konnten sie mit der Schilliger Holz AG die Menge des benötigten Holzes besprechen und die Firma gleich für die Lieferung gewinnen. Gleiches gelang ihnen bezüglich Nägeln mit der ITW Haubold Paslode GmbH. Für die Schrauben konnten sie mit der Firma Rothoblaas einen Deal machen, für die Montagelogistik mit der Kran-Hag AG.

www.ahb.bfh.ch/holz

Zum Projekt

Hommage an Robert Walser

Im Rahmen der 13. Schweizerischen Plastikausstellung bespielt der Installationskünstler Thomas Hirschhorn in diesem Sommer den Bahnhofplatz Biel. Die Ausstellung mit dem Titel «Robert-Walser-Sculpture» ist eine Hommage an den Schweizer Schriftsteller. Ab dem 15. Juni wird die Plattform täglich von 10 bis 22 Uhr für alle zugänglich sein und 86 Tage lang zum Begegnungsort mit Robert Walser werden.

www.robertwalser-sculpture.com

CCA

Veröffentlichung: 23. Mai 2019 / Ausgabe 21/2019

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