Mit Vorlaufzeiten rechnen

Nachgefragt.  «Heute bestellt, morgen geliefert» wird nicht mehr in jedem Fall möglich sein. Für Michael Widmer, Geschäftsführer des Branchenverbands Holzwerkstoffe Schweiz, bleibt der Markt volatil. Nach der aktuellen Beruhigung dürften die Preise im Frühjahr wieder anziehen.

SchreinerZeitung: Wie erklären Sie sich die Turbulenzen am Werkstoffmarkt?
Michael Widmer: Verschiedene Faktoren kamen hier zusammen. Einer ist klar die massive globale Zunahme der Nachfrage nach Holz und Holzprodukten, besonders in den USA im vergangenen Sommer. Den Mehrbedarf konnten oder wollten die USA nicht aus naheliegenden Quellen wie Kanada decken. So schwappte die amerikanische Nachfrage nach Europa, was mit einer massiven Preissteigerung auf dem Kontinent einherging. Die europäische Industrie hat die gesuchte Ware nach Übersee geschickt, was hier zu Knappheit führte. Die Schweiz ist bekanntlich stark abhängig von Importen, entsprechend hat sich die Situation direkt niedergeschlagen.
Welchen Einfluss hatte die Pandemie?
Die Pandemie trug sicher das Ihre zur Situation bei. Einerseits gingen deswegen die Transportkapazitäten massiv zurück, und die Preise pro Schiffscontainer schnellten in die Höhe. Gleichzeitig zog der zuvor quasi darnieder liegende chinesische Markt wieder an. Das fiel alles in die gleiche Zeit. Diese Kumulation von Gründen führte zur Preisexplosion im vergangenen Sommer.
Offenbar haben auch staatliche Konjunkturprogramme die Bauwirtschaft befeuert.
Dem ist sicher so. Verschiedene Länder legten solche Programme auf. In den USA waren und sind diese teilweise enorm. Die Interventionen haben eine direkte Wirkung auf den Markt. Man muss auch die Grössenverhältnisse sehen: Wenn China oder die USA wirtschaftlich agieren, hat das in der Regel weltweite Konsequenzen.
Welche Rolle spielen Spekulations- geschäfte in diesem Massenmarkt?
Intern haben wir zwei Fragen untersucht: Einerseits, ob Transportkapazitäten künstlich verknappt und die Preise damit hochgehalten worden sind, und andererseits, ob es zu Spekulationsgeschäften kam. Was die Transportkapazitäten angeht, fanden wir keine Hinweise auf eine künstliche Verknappung. Die Thematik ergab sich wegen der Pandemie. Auch Spekulation spielt wohl kaum eine Rolle, denn die gleiche Preisentwicklung zeigte sich ja bei vielen Rohstoffen wie bei den Metallen, bei Lösungsmitteln oder Kunststoffen. Das Holz wurde medial einfach prominent erwähnt, weil man es sich hier nicht gewohnt war.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation auf dem Markt?
Punktuell ist vorübergehend eine Beruhigung eingetreten. Doch die Situation bleibt volatil. Wir gehen davon aus, das wir im Frühjahr wieder eine gewisse Erhöhung der Preise und auch Lieferengpässe erleben werden. Die Nachfrage bleibt hoch. Der Markt ist saisonal nun etwas ruhiger, was sich auf den Frühling hin ändert. Wir rechnen Stand heute – aber das ist eigentlich ja auch nur Kaffeesatz-Lesen – nicht mehr damit, dass wir wieder ähnlich hohe Preise haben werden wie im Sommer 2021. Die Preise fallen aber wohl auch nicht mehr unter das Niveau vor Herbst 2020.
Was tut der Handel, um die Lage zu beruhigen?
Der Markt hat sich von einem Käufer- in einen Verkäufermarkt gewandelt. Schreiner und Holzbauer müssen sich bewusst sein, dass mit gewissen Vorlaufzeiten zu rechnen ist. «Heute bestellt und morgen geliefert» wird nicht in jedem Fall möglich sein. Hier ist wichtig, früh zu planen und auch das Gespräch mit dem Handel zu suchen. Das oberste Ziel des Handels ist immer die Versorgungssicherheit, wobei er ja auch ein Preisrisiko trägt. Die Versorgung des Marktes konnten wir bislang gewährleisten, was sehr wichtig war.
Wie kann der Anteil an Schweizer Holz erhöht werden?
Hier gibt es ein strukturelles Problem: Einerseits ist aus infrastrukturellen und strukturellen Gründen nicht genügend Holz in den gewünschten Qualitäten und Ausführungen verfügbar. Andererseits gibt es weiterhin gewisse Holzbaustoffe, die in der Schweiz nicht produziert und damit importiert werden müssen. Natürlich ist es erfreulich zu sehen, wie die Holzindustrie jüngst in der Schweiz investiert hat und Holz als Baustoff forciert. Wir tragen diese Bemühungen mit. Aber realistischerweise wird auch in den nächsten Jahren ein Grossteil importiert werden – gerade auch, wenn die Nachfrage weiter steigt.

HIL

Veröffentlichung: 27. Januar 2022 / Ausgabe 4/2022

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