Neben der Lehre machen sie auch die Matur

Sina Manhart hält vor ihrer Berufsmaturklasse einen Vortrag. Bild: PD

Lernende, die in der Berufsschule gut mitkommen und später ein Studium machen möchten, können die Berufsmatur erlangen. Entweder während oder nach der Lehre. Zwei Lernende und eine Studierende beschreiben ihren Weg.

Einmal in der Woche vertritt Sina Manhart als einzige den Schreinerberuf in der Schule. Ihre Klassengspänli lernen Automatikerin, Konstrukteur oder Informatikerin. Die 19-Jährige aus Degersheim SG ist im vierten Lehrjahr als Schreinerin (Schreinerei Hölzli, Degersheim) und absolviert gleichzeitig die technische Berufsmatur (BM) in vier Jahren. Das heisst, dass sie einen halben Tag mehr als ihre Berufsschulkameradinnen und -kameraden in den Unterricht geht. Dort eben mit anderen Lernenden aus technischen Berufen.

«Ich besuche das Gewerbliche Berufs- und Weiterbildungszentrum St. Gallen, weil es in Herisau AR, wo ich in die Berufsschule gehe, noch keine technische Berufsmatur gibt», erzählt sie. «Aber das stört mich nicht.» Für sie sei es einfach wichtig, dass sie die Berufsschule, die BM und die überbetrieblichen Kurse koordinieren kann.

Sprachen gaben den Ausschlag

In der Sekundarschule hatten ihr die Lehrer empfohlen, ins Gymnasium zu gehen, weil sie eine gute Schülerin ist. Doch das wollte Sina Manhart nicht. Sie macht lieber eine Lehre. «Damit ich später vielleicht ein Studium machen kann, habe ich mich für die BM entschieden. Ich mache sie während der Lehre, nicht anschliessend.» Denn in der Berufsmaturitätsschule (BMS) hat sie Sprachunterricht. «Vier Jahre lang keine Sprachlektionen zu haben und trotzdem à jour zu bleiben, wäre mir zu anstrengend», beschreibt sie.

Das erste Jahr war auch so recht happig, erzählt die St. Gallerin. «Weil alles neu war und ich nicht nur im Unterricht, sondern auch in den ÜKs gefordert war.» Zwischenzeitlich sei alles etwas viel gewesen, doch mittlerweile habe es sich eingependelt. Der Aufwand und ihre Leistungen stimmen. Auch der Lehrbetrieb unterstützt sie. «Ich bin froh, habe ich mich für die BM entschieden. Ich mag die Herausforderung, zum Beispiel in der Mathematik.» Ohne die zusätzlichen Lektionen wäre sie in der Schule wohl unterfordert, gibt sie zu. In der BMS hat sie als Grundlagenfächer Deutsch, Französisch, Englisch und Mathematik. Hinzu kommen Schwerpunkt- (Mathe und Naturwissenschaften) und Ergänzungsfächer (Geschichte und Politik sowie Wirtschaft und Recht).

«Es gibt schon einiges zu tun. Manchmal muss ich Arbeiten gleichzeitig abgeben. Das ist gerade jetzt bei der IPA und der interdisziplinären Projektarbeit der BM passiert.» Letztere sei mit der Vertiefungsarbeit in der Allgemeinbildung zu vergleichen. Es werde einfach verstärkt auf die Rechtschreibung und das Zitieren von Quellen geachtet. Als IPA hat Sina Manhart für einen Kunden zwei Regale und einen Raumabsperrer aus Fichten-Dreischichtplatten produziert. Für ihre Projektarbeit hat sie sich mit dem Thema Frauen in der Schweizer Armee auseinandergesetzt.

Als Wermutstropfen bezeichnet die angehende Schreinerin, dass sie eher wenig Kontakt zu ihren Klassengspänli hat. «In die Berufsschule muss ich nur einen halben Tag, da für mich wegen der BMS die Lektionen in Allgemeinbildung und Sport wegfallen. Somit fehle ich eben auch während des Mittags.» An der BMS sei es ähnlich. «Ich bin irgendwie nur halbwegs dabei. Das ist zwar etwas schade. Doch ich mache das alles ja für mich und nicht für die anderen.»

Traum von Pilotenschule

Nach dem Berufsabschluss im Sommer möchte Sina Manhart vorerst ein bis zwei Jahre als Schreinerin weiterarbeiten. Ein Studium an der Höheren Fachschule Holz in Biel BE hat sie momentan verworfen. Dafür träumt sie von einer Ausbildung als Missionspilotin in den USA und späteren Einsätzen auf der ganzen Welt. «Ich bin während der Weltreise meiner Eltern auf Hawaii zur Welt gekommen und besitze deswegen die US-Staatsbürgerschaft», erzählt sie. Sie strebt eine bestimmte Pilotenschule an, wo sie auch zur Mechanikerin ausgebildet würde. «Dafür muss ich verschiedene Prüfungen bestehen und ein Auswahlverfahren durchlaufen. Ich hoffe sehr, dass das klappt.» Und wenn nicht, habe sie mit der Berufsmatur verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten.

Nico Seiger: BM in drei Jahren

Nico Seiger durchläuft die technische Berufsmaturitätsschule in drei Jahren in Lenzburg AG. Er befindet sich im dritten Jahr der Schreinerlehre bei der Kellenberger AG Schreinerei in Oberentfelden AG. «Ich habe im zweiten Lehrjahr mit der BMS begonnen. Neben einem halben Tag Berufsschule gehe ich eineinhalb Tage in die BMS», erzählt der 18-Jährige aus Küttigen AG. Eigentlich plante er, die Berufsmatur während vier Jahren zu erlangen. Doch sein Lehrbetrieb war dafür, dass er sie in drei Jahren macht. «Meine Ausbildner und Chefs wollten mich zuerst kennenlernen, bevor ich mit der BMS anfange.»

Im Moment heisst das für ihn: Von Montag bis Mittwoch geht er zur Arbeit, am Donnerstag in die BMS, am Freitagnachmittag in die Berufsschule und jeden zweiten Samstag wieder in die BMS. «Wenn ich samstags zur Schule gehe, habe ich dafür am Freitagmorgen frei.» Bisher läuft es gut. «Es ist gerade etwas anstrengend, weil ich mich einerseits für die Teilprüfung vorbereite und ich andererseits in der BM parallel Prüfungen habe. Aber das ist eine Phase.» Der Aargauer mag vor allem die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer wie Mathe, Physik und Chemie. Geschichte habe er auch, aber diese interessiere ihn weniger, wie er erzählt. In seiner Klasse sind noch zwei weitere Schreiner. Der Rest seien Zimmerleute, Polymechaniker oder Lernende weiterer technischer Berufe.

So den Horizont erweitern

Was er nach seinem Berufsabschluss machen möchte, weiss Nico Seiger noch nicht. «Ich habe keinen definitiven Plan. Ich mache die Berufsmatur, weil ich so meinen Horizont erweitern kann und einen zusätzlichen Abschluss habe.» Er ist sich auch sicher, so einen besseren Marktwert zu haben.

Die Berufsmatur empfiehlt er allen, die gerne etwas mehr Zeit in die Schule investieren möchten. «Es braucht schon Durchhaltevermögen und Motivation. Wichtig ist, die Aufgaben immer zu machen.» Am besten investiere man täglich eine Dreiviertelstunde bis eine Stunde zum Lernen, sagt Nico Seiger. In der Berufsschule ist er trotz der Mehrbelastung gut mit dabei. «Ohne die BM wäre ich wahrscheinlich unterfordert. Ich habe gerne viel zu tun», sagt er.

Sara Gloor: Ein Jahr Vollzeit

Im Sommer 2021 hat Sara Gloor ihre Schreinerlehre abgeschlossen. Anschliessend hat sie an die Gibb Berufsfachschule Bern gewechselt und macht innerhalb eines Jahres die technische Berufsmatur BM2. Vollzeit in einer Fünftagewoche. «Während der Lehre habe ich den BM-Vorkurs gemacht. Nach dem Abschluss kann man mit diesem prüfungsfrei in die Berufsmaturitätsschule wechseln», erzählt die 20-Jährige aus Kirchberg bei Burgdorf BE. Während der Ausbildung wollte sie sich die zusätzliche Belastung nicht aufbürden. «Das wäre zeitlich eng geworden, weil ich reite, meine Pferde pflegen muss und auch noch Musik mache.»

Täglich in der Schule zu sitzen, sei schon anstrengend, erzählt die Bernerin. «Der Aufwand ist etwas grösser, als ich zu Beginn gedacht habe. Aber ich habe mich daran gewöhnt.» Es sei wichtig, mit dem Lernen dranzubleiben und nicht den Anschluss zu verpassen. Zum Beispiel in der Mathematik, wovon sie zehn Lektionen in der Woche hat. Von den Noten her dürfe man im ersten Semester nicht mehr als zwei ungenügende haben und müsse einen Vierer im Schnitt haben.

In ihrer Klasse sind von 17 Personen drei Frauen und insgesamt vier Schreinerinnen und Schreiner. «Die anderen sind Informatiker oder Polymechanikerinnen.» Im ersten Semester hat sich die Bernerin intensiv mit ihrer individuellen Diplomarbeit auseinandergesetzt. «Wir haben zu zweit über das Auto der Zukunft geschrieben», beschreibt sie. «Das war anspruchsvoll, dem Thema gerecht zu werden, da es so viele Meinungen gibt. Ich bin froh, dass es gut herausgekommen ist.»

Zurück in die Werkstatt

Dass sie die BMS macht, bereut Sara Gloor nicht. «Ich würde sie als BM2 allerdings nicht während zweier Jahre berufsbegleitend machen wollen. Denn zu arbeiten und zu lernen, wäre sehr anstrengend, und man ist bei beidem nicht richtig dabei», sagt sie. «Ich investiere nun ein Jahr in die Matur und kann mich danach wieder aufs Arbeiten konzentrieren. Denn ich vermisse die Werkstatt.» Ihr Ziel ist, nach den Sommerferien wieder als Schreinerin zu arbeiten. Gedanken über eine mögliche Weiterbildung oder ein Studium hat sie sich noch keine gemacht. Das wird sie auf sich zukommen lassen. «Es wird allerdings schön sein zu wissen, dass man abends nicht auch noch lernen muss. Endlich», sagt sie und lacht. Sie plant zudem, eine Reise nach Kanada zu machen oder sogar dort zu arbeiten. «Dann habe ich die Abschlüsse ja in der Tasche und kann schauen, was kommt.»

Bezüglich möglicher Weiterbildungen und Studiengänge stehen Schreinerinnen und Schreinern sehr viele hölzige Möglichkeiten offen. Der Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) bietet Weiterbildungswilligen nicht nur mit der eigenen Höheren Fachschule auf dem Bürgenstock, sondern auch in Zusammenarbeit mit Bildungspartnern spannende Studienrichtungen an. Auf der VSSM-Website sind die Angebote zu finden. Je nach Weiterbildung gibt es zudem die Möglichkeit der Rückvergütung eines Teils der Kosten.

www.berufsmaturitaet.chwww.berufsberatung.chwww.yousty.chwww.gbssg.chwww.bslenzburg.chwww.gibb.chwww.vssm.ch/wb

Die Berufsmaturität

  • Was ist die BM?: Mit der Berufsmaturität, auch Berufsmatura, BMS oder BM genannt, schliessen Lernende nicht nur eine Berufsausbildung ab, sondern haben auch das Ticket für ein Studium an einer Fachhochschule in der Tasche, wie es auf der Website berufsmaturitaet.ch heisst. Ein Studium an einer Universität oder ETH sei ebenfalls möglich. Nämlich dann, wenn die Eignungsprüfung, die sogenannte Passerelle, bestanden wird. Ein Studium muss nicht sofort begonnen werden. Wer die BM hat, kann sich auch Zeit lassen.
  • Arten der BM: BM1: Während der Lehre besucht man zusätzlich den BM-Unterricht. Die Lernenden sind deswegen einen oder eineinhalb Tage mehr in der Schule. Je nach Kanton wird die BM1 in drei oder vier Jahren angeboten – oder beides. Für die Zulassung gelten in den Kantonen verschiedene Bedingungen. Alle Infos gibt es auf der Website des Wohnkantons. Natürlich muss auch der Arbeitgeber einverstanden sein. BM2: Nach der Lehre kann die Berufsmatur in einem Jahr (Vollzeit) oder zwei Jahren (berufsbegleitend) erlangt werden. Wer ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis besitzt, hat zudem die Möglichkeit, sich direkt für die eidgenössische Berufsmaturitätsprüfung anzumelden und sich darauf individuell vorzubereiten.
  • Ausrichtungen der BM: Grundsätzlich gibt es in der Schweiz fünf Ausrichtungen der Berufsmatur. Diese ist mit dem eigenen Beruf verwandt: Technik, Architektur und Life Sciences; Natur, Landschaft und Lebensmittel; Wirtschaft und Dienstleistungen; Gestaltung und Kunst sowie Gestaltung und Soziales. Je nach Kanton werden nicht alle Ausrichtungen angeboten. Es gibt aber die Möglichkeit, die BM in einem anderen Kanton zu besuchen. Das Schulgeld wird in der Regel vom Kanton übernommen, in dem man die Lehre macht oder wohnt. Die Kosten fürs Material muss man selber tragen. Will man hingegen an eine Privatschule oder in einem anderen Kanton zur Schule gehen, obwohl es im Wohnkanton ein Angebot gibt, wird das Schulgeld vom Lernenden verlangt. Es empfiehlt sich, die Website des eigenen Kantons gut anzuschauen und bei den zuständigen Stellen nachzufragen.

Nicole D'Orazio

Veröffentlichung: 07. April 2022 / Ausgabe 14/2022

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