Nicht nur zum Anfassen

Die Bioland-Bäckerei Müller bei Ravensburg betont durch den Einsatz des natürlichen Organoid-Dekors «Wildspitze» ihre Naturverbundenheit. Bild: Bäckerei Müller

Ökologische Dekore.  Immer neue Materialien für den Innenausbau schaffen eine gewaltige Vielfalt an Möglichkeiten. Nach Steinfurnieren oder Betonoberflächen gehören inzwischen auch duftende Platten aus natürlichen Rohstoffen, Moospaneele oder verkohltes Holz dazu.

Oberflächen mit haptischen Reizen sind derzeit gefragt. Und: Natürliche Materialien liegen hoch im Kurs. Echtes Holz, wie Furnier, entspricht dem grundsätzlich in idealer Weise. In den letzten Jahren kamen immer wieder Materialinnovationen wie «Steinfurnier», Betonoberflächen und viele andere auf den Markt.

Aber auch andere natürliche Materialien kommen infrage. So beschäftigt sich die Tiroler Organoid Technologies GmbH damit, allerhand natürliche Materialien wie Alpheu, Kornblumen, Rinde und Blätter, Kakaoschalen oder Kaffee als Beschichtungen für den Möbel- und Innenausbau zu realisieren. Als Trägermaterial dient ein 1,1 mm dünner HPL. Mit Erfolg: Die Produkte wurden inzwischen mit zahlreichen Material- und Designpreisen bedacht. Das Herstellerunternehmen ist mittlerweile auf zehn Mitarbeiter angewachsen.

Die Materialpionierin Strasser AG Thun zeigt in ihrem Anfang des Jahres eröffneten «punkt 6», dem Haus der Materialien in Thun BE als einziger Showroom weltweit, die gesamte Vielfalt dieser organoiden Dekorbeschichtungen.

Wohlriechend anders

«Organoide Dekorbeschichtungen zeichnen sich durch ihre Natürlichkeit und Authentizität aus und ermöglichen ein neues Erleben natürlicher Ausgangsmaterialien mit allen Sinnen», so Martin Jehart, Schöpfer des Produktes und Mitbegründer der Organoid Technologies. Denn je nach verwendetem Rohstoff duftet das Material, dessen Beschichtungsstärke zwischen 0,05 und 3,5 mm liegt, mehr oder minder stark. Während Rinde oder Blätter neutral sind, verströmen die Platten aus Pfefferminzstängeln oder Lavendel eine entsprechend aromatische Atmosphäre. «Die Duftintensität nimmt mit der Zeit kontinuierlich ab, kann jedoch durch Befeuchten und Abreiben wieder aufgefrischt werden», so die Produzentin. Für «Roasa», hergestellt aus Rosenblütenblättern mit Knospen, erwartet das Unternehmen einen wahrnehmbaren Duft von erstaunlichen 20 Jahren. Je nach Ausgangsmaterial des Dekors sollte man jedoch die besonderen Eigenschaften der natürlichen Rohstoffe beachten.

Natürliche Eigenschaften

Ist etwa ein erhöhter Schutz vor Feuchtigkeit und Kratzern gewünscht, können die Oberflächen lackiert, geölt, gewachst, imprägniert oder auch unter Glas eingesetzt werden. «Bei Beschichtung mit Acryllacken wurden gute Ergebnisse erzielt», so das Unternehmen. Der Duft ist damit natürlich weg und damit auch der besondere Reiz der Produkte. Auch enthalten manche Dekore wie etwa Hanf natürliche Öle und Fette. Eine Lackierung ist dann kaum möglich.

Manche Oberflächen, vor allem jene, die Chlorophyll beinhalten, unterliegen den natürlichen Alterungsprozessen durch UV-Licht. «Um diesen Effekt zu verringern, setzen wir ein Lichtschutzmittel ein. Für einen zusätzlich erhöhten UV-Schutz kann die Oberfläche in einem weiteren Arbeitsgang mit einem Lichtschutzmittel versehen werden.» Nicht ausgeschlossen werden kann, dass in den Platten auch Einschlüsse von Fremdkörpern enthalten sind. Das liegt in der Natur der Sache.

Die Rezeptur des Bindemittels verrät das Unternehmen indes nicht. Zum Teil sollen diese biologisch abbaubar sein und die Zusammensetzung des Bindemittels soll je nach Rohstoffen auch variieren.

Vielfalt verarbeiten

Die Platten im Format 3050 × 1300 mm können weitestgehend wie normale HPL-Beschichtungen verarbeitet werden. Empfohlen wird eine Mindeststärke des Trägermaterials von 18 mm. Und: «Organoide Materialien atmen – sie quellen und schwinden mit dem Wechsel der Luftfeuchtigkeit.» So können sich im Laufe der Zeit einzelne Stängel oder Teile von der Oberfläche ablösen. Bei der Planung sollte man deshalb auch auf geeignete Abstände und Fugen im Innenausbau achten.

Die Produzentin empfiehlt für die Verarbeitung, die Platten zunächst während fünf bis zehn Tagen zu akklimatisieren. Wird nicht beidseitig mit dem gleichen Material gearbeitet, solle man auf den abgestimmten erhältlichen HPL-Gegenzug des Lieferanten zurückgreifen.

Belegt wird mit einer Presstemperatur unter 60 °C mithilfe eines Trennpapieres. Darüber hinaus empfehlen sich Vliese als Auflage, damit die Beschichtung beim Pressen nicht beschädigt wird.

Mehr «grün» verarbeiten

Der Schaffung von Wohlfühloasen mit besonderen Materialien hat sich auch die österreichische Freund GmbH verschrieben. Die Herstellerin von echten Mooswänden erntet und reinigt das Naturmaterial und setzt es dann mit viel Handarbeit zu Flächen zusammen. Als Trägerplatte für die Moosoberfläche kommen dabei zum Beispiel MDF oder HDF infrage. Die Polster werden teilweise mit natürlichen Farben gefärbt, um mehr Designs zu erhalten. Das Geheimnis beim Produkt ist die Konservierung des Materials. Würde das Moos unbehandelt bleiben, müsste man es immer wieder befeuchten, damit es weich und elastisch bleibt. Durch die Konservierung wird genau dies erreicht. Allerdings «lebt» das Moos dadurch nicht mehr, vielmehr ist es in weichem Zustand gewissermassen «eingefroren». Aber auch das Moos bleibt ein Naturmaterial. So kann in der Winterzeit, wenn die Raumluftfeuchtigkeit absinkt, das Moos in der Haptik härter werden. Es wird aber wieder weich, wenn die Raumluftfeuchtigkeit im Frühling ansteigt.

Die Westo GmbH in Geroldswil ZH bietet als Schweizer Vertriebspartner der Organoid-Produkte auch Moospaneele auf einer Korkunterlage an. Neben dem natürlichen Farbtupfer mit besonderer Raumwirkung sind die Moospaneele akustisch wirksam und sollen zudem Schadstoffe aus der Luft binden.

Feuer und Flamme

Das Zeug zum Architektenliebling hat auch ein ganz anderes Produkt oder besser gesagt, eine besondere Oberflächenbehandlung von Holz: die an- oder gar verkohlte Holzoberfläche. In Japan ist das Verfahren des Schwärzens von Holz unter «Shou-Sugi-Ban» bekannt, das dort in vielen Arbeitsschritten mit Bürsten und Flammen umgesetzt wird. So entstehen dunkle Holzbilder, die farblich viele Varianten aufweisen und beim Berühren keine schwarzen Finger erzeugen. Relativ neu in Mitteleuropa ist das «Seidenholz», dass ebenfalls durch Ankohlen der dann seidig glänzenden Oberfläche schwarz und silbern schimmert.

Das Verfahren an sich ist freilich uralt, denn das flächige Ankohlen von Holz ist eine der wirksamsten Methoden zur Erhöhung der natürlichen Dauerhaftigkeit. Die Kohleschicht an der Oberfläche ist stark wasserabweisend, weshalb Zaunpfähle und auch ganze Holzbauten schon in früheren Zeiten so behandelt wurden. Schädlinge wie Insekten und Pilze können sich an den verdichteten und «beschichteten» Holzzellen kaum niederlassen.

Neu daran ist vielmehr, dass die Technik nun salonfähig werden soll, auch für den gehobenen Innenausbau. «Die Struktur des Holzes und seine charakteristische Maserung treten hervor und bilden die aussergewöhnliche Haptik», so die Erfinder. Die Schöpfer des Produktes «Seidenholz» sind Architekten. Standardmässig wird das Produkt derzeit als Dreischichtplatte in Fichte angeboten. Aber auch andere Hölzer mit verschiedenem Verkohlungsgrad, mit gebürsteter und sägerauer Struktur sind möglich, denn jedes Holz wirkt durch das Verkohlen anders. Die Macher betonen, dass den Varianten und Einsatzmöglichkeiten praktisch keine Grenzen gesetzt sind. Damit die Oberfläche bei Berührung nicht abfärbt, muss diese beschichtet werden. Je nach Verkohlungsgrad und dem Mass des Bürstens zur teilweisen Entfernung der entstandenen Kohleschicht kann dies durchaus als Herausforderung gesehen werden. Auch weitere Veredelungen mit Perlmuttglanz als Zusatzbeschichtungen in Gold und Silber sind laut Hersteller möglich. Man darf in jedem Fall gespannt sein, wie verkohlte Holzoberflächen bei den Kunden ankommen werden. Und darauf, ob sich bestimmte Holzarten und Verkohlungsgrade etablieren werden.

www.organoids.comwww.strasserthun.chwww.westo.chwww.freund-moosmanufaktur.dewww.kreos-europe.comwww.seidenholz.de

ch

Veröffentlichung: 03. Dezember 2015 / Ausgabe 49/2015

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