Schreiner-GAV: Fehler einfach vermeiden

Die korrekte Berufsbezeichnung ist wichtig, weil sie einen Einfluss auf die Entlöhnung hat. Bild: Bessey

Arbeitsrecht.  Regelmässige Lohnbuchkontrollen sollen sicherstellen, dass sich alle Schreinereien an die Mindestanforderungen halten. Die häufigsten Verfehlungen entstehen indes nicht in böser Absicht, sondern aus Unwissenheit. Sie lassen sich vermeiden.

Der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ist eine Errungenschaft, die beiden dient: den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern. Im GAV sind Mindeststandards festgelegt, die den Arbeitnehmer vor unfairen Arbeitsverhältnissen schützen sollen und dem Arbeitgeber einen fairen Wettbewerb garantieren – gleich lange Spiesse für alle. Der GAV für das Schreinergewerbe ist bereits seit 1966 ein allgemeinverbindlicher Branchen-GAV und gilt damit für alle Schreinerbetriebe, unabhängig davon, ob diese Mitglied des VSSM sind oder nicht.

Ausgehandelt wird der GAV jeweils paritätisch von Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Das heisst, gleich viele Vertreter des VSSM und der Gewerkschaften sitzen am Tisch und bringen ihre Anliegen ein. «Damit bestimmen Leute vom Fach, welche Standards gelten – nicht branchenfremde Politiker», erklärt Simon Meyer. Er ist Wirtschaftsjurist und überprüft regelmässig die GAV-Anwendung im Schreinergewerbe. Für den Juristen ist der Vertrag kein trockenes Gesetz, sondern die Basis für ein faires Zusammenarbeiten.

Wer kontrolliert wird

Dass der GAV durchgesetzt wird, stellt die Zentrale Paritätische Berufskommission (ZPK) mit Sitz in Zürich sicher. Die Kommission ist zuständig für die Überwachung und den Vollzug des GAV und fungiert als Beschwerdeinstanz. Über einen Solidaritätsbeitrag, den alle Schreinerbetriebe bezahlen, werden die Vollzugskosten finanziert.

Die Kontrollen der Betriebe werden von den Regionalen Paritätischen Kommissionen (RPK) koordiniert, das Verfahren variiert deshalb von Kanton zu Kanton. Einige RPK wählen zu kontrollierende Betriebe über ein Losverfahren, andere führen laufende Listen. Aber bei allen gilt: Lohnbuchkontrollen werden immer angeordnet, wenn mehrere unabhängige Stellen den Verdacht äussern, dass der GAV nicht eingehalten wird. Arbeitnehmer melden sich bei der RPK, wenn sie argwöhnen, ihr Gehalt entspreche nicht dem Mindestlohn. Mitbewerber, die beobachten, dass ein Betrieb regelmässig den Preis bei Vergaben unterbietet, wenden sich an die regionalen Kommissionen. Regelmässig wird auch direkt auf den Baustellen kontrolliert, ob die Mindestanforderungen eingehalten sind. Weil der GAV allgemeinverbindlich ist, gelten die Mindestanforderungen genauso für ausländische Schreiner, wenn sie auf einer hiesigen Baustelle arbeiten.

Wie eine Lohnbuchkontrolle abläuft

Die Kontrollen werden zumeist von externen, unparteiischen Unternehmen durchgeführt, zum Beispiel von Simon Meyers Rechtsberatung Aquilaw in Zürich. «Wenn wir einen Auftrag von der RPK erhalten, besuchen wir den Betrieb und suchen das Gespräch mit den Inhabern. Kontrolliert werden die schriftlichen Dokumente wie Arbeitsverträge und Lohnabrechnungen.» Meyer überprüft, ob die Mindestanforderungen eingehalten sind: Werden die Arbeitszeiten korrekt erfasst, der 13. Monatslohn ausbezahlt und die Überstunden mit dem richtigen Ansatz verrechnet?

Hilfsarbeiter oder Hilfsmonteur

Wenn Meyer auf wiederkehrende Fehler hinweist, redet er bewusst von Stolpersteinen. «Denn die meisten Verfehlungen entstehen aufgrund von Unwissenheit.» Er treffe kaum auf Betriebe, die ihre Mitarbeiter absichtlich übervorteilen. Dieser Meinung schliesst sich Urs Sager an, Geschäftsleiter der ZPK. «Wirklich grobe Verfehlungen gibt es selten.» Die Mehrheit mache nur ein bis drei Prozent der gesamten Lohnsumme aus.

Einen häufigen Fehler sieht Meyer bei der Einstufung in die Berufskategorie. «Die Unterscheidung von Hilfsarbeiter und Hilfsmonteur führt immer wieder zu Fehlern, weil der GAV-Wortlaut zu viel Interpretationsspielraum lässt.» Ob der Arbeiter ein Fenster nur in die Wohnung trägt oder dort auch bei der Montage mithilft, scheint nicht wirklich relevant. Doch solche Details unterscheiden den Hilfsmonteur vom Hilfsarbeiter, was einen Lohnunterschied von 450 Franken monatlich ausmacht. Denn schliesslich ist es immer eine Frage des Geldes, ob es nun zu wenig Ferientage oder zu tiefe Löhne sind. Hält sich ein Unternehmen nicht an die Mindestanforderungen des GAV, profitiert es von tieferen Kosten und verschafft sich damit Vorteile gegenüber seinen Mitbewerbern.

Unterschreiten nicht erlaubt

Generell gilt: Mündliche Verträge und Barauszahlungen – wie das Geldcouvert mit dem 13. Monatslohn – sind zwar erlaubt, lassen sich aber nur schwer nachweisen. Und auch wenn ein Mitarbeiter in eine Abmachung zu seinen Ungunsten einwilligt, zum Beispiel auf den Überstundenzuschlag zu verzichten, ist das längst nicht rechtens. Das Obligationenrecht erklärt jede Vereinbarung, die zu Ungunsten des Arbeitnehmers vom GAV abweicht, als nichtig.

Die Mindestanforderungen dürfen deshalb auch mit der Zustimmung der Angestellten nicht unterschritten werden. In vielen Betrieben übernimmt ein Treuhänder die Arbeitsverträge. Doch auch diese sind vor Irrtümern nicht gefeit. Schliesslich muss die Betriebsleitung für die Fehler geradestehen. Die ZPK unterstützt die Betriebe darin, Fehler zu vermeiden: Auf der Website ist ein detaillierter GAV-Kommentar aufgeschaltet, der einfach erklärt, worauf zu achten ist. Bleiben doch noch Fragen offen, gibt die ZPK telefonisch Auskunft, auf Wunsch auch anonym.

Nachdem Meyer alle Unterlagen geprüft hat, stellt er der RPK einen Kontrollbericht aus. Der Betrieb wird über das Ergebnis informiert und um eine Stellungnahme gebeten. Danach entscheidet die RPK über das weitere Verfahren. Wurde beispielsweise festgestellt, dass Mitarbeitern nicht der Mindestlohn bezahlt worden ist, muss der Betrieb einerseits die Kosten der Lohnbuchkontrolle übernehmen – was zwischen 1500 und 3000 Franken beträgt –, zum anderen den betroffenen Mitarbeitern die Löhne nachzahlen. In einem weiteren Schritt entscheidet die Kommission über die Konventionalstrafe.

Beispiel einer Busse

Ein Rechenbeispiel: Die fiktive Schreinerei Knauserig hat ihrer zehnköpfigen Belegschaft monatlich 125 Franken zu wenig bezahlt. Das ergibt eine Lohneinbusse von über 15 000 Franken im Jahr. Auf diesen Betrag wird die Konventionalstrafe erhoben. Zahlt der Geschäftsleiter Knauserig die Lohnnachzahlungen den Mitarbeitern aus, verhält er sich kooperativ. Werden zudem keine weiteren GAV-Verletzungen festgestellt, kostet das den Inhaber in diesem Beispiel 3000 Franken Konventionalstrafe. «Die eigenen Mitarbeiter um Lohn geprellt und somit etwas Unrechtes getan zu haben, das macht dem Arbeitgeber oft am meisten zu schaffen. Der finanzielle Schaden ist in der Regel das kleinere Übel», sagt Meyer.

In den meisten Fällen werden in den Lohnbuchkontrollen nur marginale Fehler nachgewiesen. So gering, dass auf eine Konventionalstrafe und gar die Kosten der Kontrolle verzichtet wird. Doch in etwa zehn Prozent der Fälle stellen die Kontrolleure ein systematisches Fehlverhalten fest. «Ein paar Schlaumeier gibt es immer – und auch einige wenige, die mit Absicht zu tiefe Löhne zahlen oder Ferientage streichen.»

Wären beim Unternehmen aus dem fiktiven Beispiel noch weitere GAV-Verfehlungen festgestellt worden, beispielsweise weil die Arbeitszeit nicht erfasst ist und sich der Arbeitgeber weigert, die Löhne nachzuzahlen, steigt die Konventionalstrafe deutlich – auf über 14 000 Franken. In diesem Fall würden auch die Mitarbeiter von der ZPK über das Verfahren informiert, damit sie die Lohnnachzahlungen vor Gericht einklagen können.

Wenn ein Betrieb mit dem Entscheid der RPK nicht einverstanden ist, kann sich dieser bei der ZPK beschweren, die dann das Verfahren überprüft. «Das System funktioniert», sagt Sager überzeugt. Auch wenn für jeden Betrieb eine Lohnbuchkontrolle aufwendig ist, so garantiert das System doch weitgehend, dass sich alle an dieselben Standards halten.

www.zpk-schreinergewerbe.chwww.aquilaw.ch

Lohnbuchkontrolle

Oft begangene Fehler

Auf folgende Verfehlungen stösst Simon Meyer von Aquilaw bei der Lohnbuchkontrolle:

  • Berechnung des Überstundenansatzes: Überstunden müssen mit einem Zuschlag von 25 Prozent auf den Normallohn bezahlt werden. Der Normallohn umfasst dabei den Stundenlohn inklusive des Anteiles für den 13. Monatslohn (Art. 13 GAV i.V.m. Art. 16 GAV).
  • Wochenpensum: Für Schreiner gilt eine Stundenwoche von 41,5 – nicht 42 Stunden wie in anderen Branchen üblich (Art. 7 GAV).
  • Keine Arbeitszeitkontrolle: Der Betrieb kann mit einer Konventionalstrafe bis zu 4000 Franken gebüsst werden.
  • Ferientage: Nicht 4 Wochen, sondern mindestens 23 Tage sind im GAV des Schreinergewerbes vorgeschrieben (Art. 32 GAV).
  • Bezahlung in Naturalien: Der Mitarbeiter darf den Firmenwagen nutzen und das Benzin wird vom Arbeitgeber bezahlt: Diese Ausgabe darf nicht als Teil des Mindestlohnes abgegolten werden.
  • Spesen: Der Betrieb bezahlt mehr Spesen, dafür etwas weniger Lohn. Da Spesen keinen Lohnbestandteil darstellen, darf dies auch nicht miteinander verrechnet werden.
  • Überstunden: Ende Jahr werden die restlichen Ferien und Überstunden zusammengezählt und der Saldo nächstes Jahr gutgeschrieben. Ferien- und Stundensaldo müssen jedoch immer getrennt geführt werden.
  • Mindestlohn Hilfsarbeiter: Erhöhung des Mindestlohnes des Hilfsarbeiters seit 2018 auf 4000 Franken.

Erster GAV überdauerte nur zwei Jahre
 

Der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) des Schreinergewerbes war einer der ersten in der Schweiz. Im Jahr 1919, ein Jahr nach dem grossen Landesgeneralstreik, legten Vertreter des Schreinerverbandes und der Gewerkschaften den Grundstein für den ersten GAV und einigten sich auf eine 48- Stunden-Woche.

Stundenlöhne gekürzt

Doch der Arbeitsvertrag überdauerte nur zwei Jahre. 1921 wurde die Vereinbarung wieder aufgelöst, nachdem der Schreinerverband die Stundenlöhne von 1.55 Franken um 21 Rappen kürzte. Eine massive Kürzung, die von der Gewerkschaft nicht akzeptiert werden konnte. Danach organisierte sich das Gewerbe mit regionalen Gesamtarbeitsverträgen und diversen Rahmenverträgen. 58 unterschiedliche Regelungen lagen vor, als 1960 der zweite nationale Gesamtarbeitsvertrag in Kraft trat. 1966 wurde dieser vom Bund für allgemeinverbindlich erklärt. Ziel eines national gültigen GAV war es, Löhne und Arbeitszeiten zu vereinheitlichen, um Lohndumping innerhalb der Kantone zu verhindern. «Der Gesamtarbeitsvertrag hat sich über die Jahre laufend weiterentwickelt. Ziel der Reglementierung war immer, einen fairen Wettbewerb zu garantieren und einen einklagbaren Sozialschutz für die Arbeitnehmenden sicherzustellen», sagt Franz Cahannes, Historiker, langjähriger Verhandlungsleiter der Gewerkschaft Unia und ehemaliges Mitglied der ZPK-Geschäftsleitung.

Mindest- statt Durchschnittslöhne

Erst gegen Ende der 1990er-Jahre – im Zuge der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU – wurden statt der bisherigen Durchschnittslöhne erstmals verbindliche Mindestlöhne festgelegt. Sie sollten einer zu starken Liberalisierung des Arbeitsmarktes vorbeugen. Auch heute sind die Vorgaben des Gesamtarbeitsvertrags nicht in Stein gemeisselt, sondern werden laufend den Veränderungen im Arbeitsmarkt angepasst.

ho

Veröffentlichung: 08. November 2018 / Ausgabe 45/2018

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