Sorry, Boys! Für einmal hiess es: Girls Only

Die Teilnehmerinnen der zweiten Gruppe des Frauen-Workshops haben Spass und strahlen nach dem letzten Tag in Gossau SG um die Wette. Bild: Nicole D’Orazio

Bei einem fünftägigen Workshop des VSSM für angehende Schreinerinnen blieben die Frauen unter sich. Neben dem Herstellen eines Beistellmöbels ging es vor allem darum, neue Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen.

«Wer hat einen Schreiber?», fragt eine Schreinerlernende. «Du kannst meinen haben, aber ich will ihn wieder zurück», entgegnet eine andere. Eine junge Frau sucht eine bestimmte Handmaschine und die anderen bieten ihr ihre an. Allgemein helfen sie sich bei Fragen und Anliegen weiter. Es herrscht eine fröhliche Atmosphäre. Acht Schreinerlernende haben sich Anfang Dezember zum letzten Tag des Frauenpower-Workshops des Verbands Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) im Ausbildungszentrum in Gossau SG getroffen. Sie arbeiten an einem Beistellmöbel mit Schubladen und Klappe. Nicht alle werden mit dem Objekt fertig, was jedoch zweitrangig ist. Es wird gearbeitet, gelacht und sich rege ausgetauscht.

Am Workshop teilnehmen dürfen angehende Schreinerinnen vom zweiten bis vierten Lehrjahr oder solche, die im zweiten Jahr der EBA-Ausbildung sind. Da es erfreulich viele Anmeldungen gibt, werden zwei Gruppen gebildet und die Tage unabhängig voneinander durchgeführt. Gestartet wird nach den Sommerferien jeweils mit einem Wochenende mit Übernachtung, damit sich die Teilnehmerinnen kennenlernen können. Dann folgen drei Samstage. Als Durchführungsorte dienen die ÜK-Zentren in Lenzburg AG und Gossau SG. Geleitet wird der Kurs von Sven Bürki, Möbelschreiner-Weltmeister von 2017, und Samanta Kämpf, die an den World Skills 2019 die Silbermedaille bei den Möbelschreinern gewonnen hat.

Froh, dass es zwei Kurse gibt

Michelle Bussinger aus Hüttwilen TG (Lehrbetrieb: Otto Wägeli AG in Iselisberg TG) hatte per Zufall die Ausschreibung in der Schreinerzeitung gesehen und ihre Kolleginnen gefragt, ob sie teilnehmen wollen. «Als es hiess, dass es keine freien Plätze mehr gebe, war ich etwas enttäuscht», sagt die 18-Jährige, die im dritten Lehrjahr ist. Umso grösser sei ihre Freude darüber gewesen, dass es einen zweiten Kurs gab. Mit dem Beistellmöbel ist sie fertig geworden. «Ich habe es extra nicht zusammengebaut, da ich es noch verputzen und ölen möchte», beschreibt sie. Den Workshop findet die Thurgauerin toll und sehr lustig. Sie habe einige Teilnehmerinnen von der Berufsschule her gekannt, es sei aber schön gewesen, junge Schreinerinnen aus anderen Kantonen kennenzulernen. «Dass der Kurs nur für Frauen ist, war für mich nicht ausschlaggebend. Es wäre für mich okay gewesen, wenn er allen offen geständen hätte.» Im Alltag arbeitet Michelle Bussinger ja auch ständig mit Männern zusammen. Das sei für sie normal.

Neue Herangehensweisen gesehen

«Es ist schön, andere Herangehensweisen und Ansichten kennenzulernen», sagt Johanna Scolese aus Balterswil TG. «Im Betrieb und in den ÜK hat man gewisse Arbeitsweisen und die gleichen Ausbildner und Mitarbeitenden, hier lerne ich Neues.» Die Lehre absolviert die 18-Jährige bei der Furrer Schreinerei und Küchenbau AG in Wila ZH und ist im dritten Lehrjahr. Sie hat sich mit einer Schulkollegin für den Workshop angemeldet, die dann aber leider nicht mitmachen konnte. «Da ich jeweils samstags lerne und übe, dachte ich, es wäre eine schöne Möglichkeit, einen Kurs zu besuchen, statt alleine im Lehrbetrieb zu sein.»

Derzeit übt Johanna Scolese für die Teilprüfung, doch schon zuvor hatte sie regelmässig am Samstag allgemein für sich gelernt und trainiert. Den Workshop hat die Thurgauerin genossen. «Ich kann einiges für mich mitnehmen. Und die Stimmung ist toll, speziell weil es nur Frauen sind», sagt sie. «Man fühlt und benimmt sich einfach anders, wenn Frauen oder Männer unter sich sind. Das ist einfach so.»

Froh, dass es keinen Stress gibt

Sandra Steinacher aus Müllheim (im 3. Lehrjahr bei der Herzog Küchen AG in Unterhörstetten TG) findet den Kurs lustig und gut. «Das Herstellen des Möbels macht Spass. Teilweise bin ich aus den Plänen zwar nicht so schlau geworden, aber ich konnte ja immer fragen.» Sie gehöre in den überbetrieblichen Kursen zu den Langsameren, deswegen findet sie es gut, dass es hier keinen Stress und Zeitdruck gibt. Es sei nicht schlimm, dass sie mit dem Objekt nicht fertig wird. «Das kann ich später noch vollenden.»

Céline Harder aus Wangen SZ (Lehrbetrieb: N. Lehmann AG, Buttikon SZ) und Janita Köpfli aus Lachen SZ (Friedlos Schreinerei, Altendorf SZ) sind im dritten Lehrjahr und haben sich in der Berufsschule in Goldau SZ kennengelernt. «Wir sind Freundinnen geworden und unternehmen in der Freizeit viel zusammen», erzählen sie. Ihr Lehrer hätte sie drei Tage vor Anmeldeschluss auf den Kurs aufmerksam gemacht. «Wir wollten das gerne ausprobieren. Zum Glück konnten wir im zweiten Workshop dabei sein.» Die eher weite Anreise habe sich gelohnt.

Neue Beschläge und Verleimarten

«Es war cool, neue Leuten kennezulernen und andere Arbeitsweisen zu sehen. Zum Beispiel die verschiedenen Auszüge, die man für Schubladen verwenden kann», sagt Janita Köpfli. Oder die Vorgehensweise des Verleimens. In ihrem Betrieb hätte man es nicht so wie im Kurs gemacht. Die 17-Jährige findet es interessant, sich mit den anderen über ihre Arbeitsweisen und deren Lehrbetriebe auszutauschen. «Spannend ist auch, auf wie viele Arten man Schablonen für Oberfräsen machen kann», ergänzt Céline Harder. Sven Bürki habe immer wieder etwas erfunden. Beeindruckt hat sie auch das super Profimaterial, mit dem sie arbeiten durfte. «Einmal drückte mir Sven einen Stechbeitel in die Hand und meinte, er sei ihm heilig. Ich musste diesen quasi nur aufs Holz drauflegen und er hat sich fast durchgefressen. Toll.»

Verantwortliche sind zufrieden

Spass gemacht hat der Workshop auch den beiden Leitenden. «Solche Sachen mache ich gerne», sagt Samanta Kämpf. Der Austausch mit den Mädels sei toll gewesen. Es sei spannend, zu sehen, woher die angehenden Schreinerinnen kommen, welche Hintergründe und Vorkenntnisse sie mitbringen und was sie in ihrer Lehrzeit schon alles erlebt haben. Sven Bürki freut sich über die vielen Anmeldungen. «Es ist schön, dass sich die Lernenden auch in ihrer Freizeit für ihren Beruf engagieren. Es geht hier ja nicht um eine Note oder um eine Auszeichnung», sagt er. Interessant war für ihn der Unterschied zwischen den zwei Gruppen. In der ersten kannten sich die Frauen noch nicht. Die Hälfte war auf dem zweiten Bildungsweg und schon etwas älter, und alle gingen ruhig an die Sache, während die jungen Schreinerinnen des zweiten Workshops von Beginn weg offen und kommunikativ gewesen seien. Dass er für einmal der einzige Mann war, war für Bürki kein Thema. «Das ist mir nicht speziell aufgefallen. Wir alle teilen ja die Freude an unserem Beruf.»

Auch seitens des Verbands ist man mit der Durchführung der Frauenförderung zufrieden. «Wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten», sagt Melanie Burri, die verantwortliche Projektleiterin beim VSSM erfreut. «Wir werden auch im nächsten Jahr wieder etwas für Schreinerinnen anbieten. In welcher Form, kann ich aber noch nicht sagen.»

Nicole D’Orazio

www.vssm.ch

 

Veröffentlichung: 12. Januar 2023 / Ausgabe 1-2/2023

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