Spürbar ist machbar

Bild: Glaeser-Wogg AG Die Tischplatte des Wogg 43 gibt es auch mit einem Keramiklack, der Dellen selbst heilen kann.

Lack.  Oberflächenbeschichtungen mit einer Steigerung des Kundennutzens haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Davon kann auch der Schreiner profitieren, denn die gewohnte Auftragsart muss sich auch beim Einsatz spezieller Lacke nicht ändern.

Eine der Schreinerweisheiten lautet: «Ist die erste kleine Macke erst mal drin, dann dauert es meist lange, bis die zweite hinzukommt.» Oft kommt die erste Delle schon beim Verladen zustande oder auf der Baustelle beim Montieren. Manchmal hat man Glück, weil der Makel an einer Stelle ist, die man nicht sieht.

Wünsche, die das Mögliche suchen

Wäre es nicht toll, wenn sich die kleine Delle oder der Kratzer wie von Geisterhand innerhalb von nur einer Stunde selbst beseitigt? Solch kleine Wunder sind längst möglich durch den Einsatz von Funktionslacken, sogenannten «Smart Coatings». Grössere Wunder dauern noch, aber die Forschung daran läuft intensiv in der Lack- und Farbenbranche. «Der technische Fortschritt ermöglicht laufend neue, erstaunliche und oftmals sogar sich bisher ausschliessende Effekte. Die Forschung und Entwicklung steht hierbei noch am Anfang einer Erfolgsgeschichte», zeigt sich Albert Rössler, Leiter Forschung und Entwicklung bei der Lackfabrik Adler-Werk, überzeugt.

Die Holzbranche vorne dabei

Gegen die Kratzer der Hauskatze am Möbelbein ist noch kein Lack entstanden, aber heute muss sich der Liebling der Familie unter Umständen deutlich mehr anstrengen, bis die eindeutigen Spuren so richtig zur Geltung kommen. Gerade bei der Kratzfestigkeit sind Lacke mittlerweile deutlich besser eingestellt. Das war einer der ersten Schritte hin zu den Funktionslacken, also solchen Produkten, welche auf bestimmte Eigenschaften hin getrimmt wurden.

Und Ansprüche gibt es viele: antibakerielle Beschichtungen für den Einsatz in Spitälern oder professionellen Küchen; solche, die auf Zytotoxizität hin getestet sind und damit keine Reaktionen bei Hautkontakt hervorrufen; Ferromagnetisch wirkende, luftreinigende und selbstreinigende Beschichtungen; solche, die schwer entflammbar sind und andere, die sich auch in dunkler Farbpigmentierung nur wenig erwärmen, und natürlich die Lacke, die sich selbst reparieren können. Doch damit nicht genug. In den Labors zwar erforscht, aber noch Zukunftsmusik sind weitere Eigenschaften von Lacken, die photovoltaische Effekte erzielen und damit Sonnenlicht in Energie umwandeln können oder solche, die schaltbar sind oder die vor elektromagnetischer Strahlung schützen.

Alles kein Thema für den Schreiner? Wäre da nicht die Tatsache, dass die industrielle Holzbranche absolut zu den grössten Anwendern von Beschichtungen gehört, und damit sowohl Halb- und Halbfertigprodukte als auch Hilfsmittel für den Schreiner anbietet. «Smart Coatings, also klassische Beschichtungen mit zusätzlichen intelligenten Eigenschaften, haben in den letzten Jahren bereits erheblich an Bedeutung gewonnen. Davon profitiert auch der Schreiner», so Rössler.

Was derzeit relevant ist

Während sich so manch visionäre Eigenschaft einer Oberflächenbeschichtung noch grösstenteils im Labor aufhält, spielen andere Eigenschaften in der Praxis längst eine gewichtige Rolle. Bei der Strategie mit mechanischen Beanspruchungen umzugehen, gibt es zwei unterschiedliche Ansätze: die Vermeidung und die Selbstheilung von Dellen und Kratzern.

«Dabei sind die Möglichkeiten der selbstheilenden Oberflächen breit gestreut. In der Holzbranche sehe ich die Verarbeitung solcher Produkte zurzeit eher in der Industrie, wie zum Beispiel beim Parkett. Für den Schreiner und dessen Kunden sollte das verwendete Lackmaterial eher durch die Anti-Scratch-Ausstattung die Beschädigungen verhindern. Das ist kostengünstiger und deshalb interessanter als eine selbstheilende Oberfläche», erklärt Richard Schreiber, zuständig für Technik und Verkauf bei der Hesse GmbH.

Oberfläche mit Erinnerung

Einen sich selbst reparierenden Lack setzt die Glaeser Wogg AG in einem Produkt ein. Den Tisch «Wogg 43» gibt es neben vielen anderen Varianten auch mit einer weiss lackierten MDF-Tischplatte, bei der ein Keramiklack zum Einsatz kommt, welchem der sogenannte Memory-Effekt eingebaut worden ist. Mikroskopisch kleine Keramikteile an der Oberfläche sorgen dafür, dass eine entstandene Delle in der Tischplatte sich wieder zurückformt. Diese winzigen Keramikpartikel messen weniger als ein Tausendstel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Die Technik stammt ursprünglich aus der Automobilindustrie.

Kratzer, die zerfliessen

Neben solchen harten Oberflächen gibt es zur Selbstheilung noch eine andere Strategie: den weichen Lack! Dabei lässt eine relativ weiche Oberfläche die Entstehung von Kratzern und Dellen zu. Unter genau definierten Voraussetzungen wird die Beschichtung weich und flexibel und lässt die Beschädigungen «zerfliessen». Bei diesem «Reflow-Effekt» der Polyurethanmischung des Lackes braucht es aber die Energie des Sonnenlichtes, damit sie sich wie gängige Kunststoffe im Alltagsgebrauch verhalten: Ist es kalt, sind diese spröde und damit brüchig, doch bei höheren Temperaturen werden sie weich und elastisch.

Wichtig dabei: solche Effekte lassen sich nicht nur mit Farblacken erzielen, sondern auch mit entsprechend eingestellten Klarlacken. Und entgegen an mancher Stelle verkündeter Notwendigkeit von Infrarot-Trockenstrahlern brauchen funktionelle Lacke diese nicht zwingend. «Sie können sowohl konventionell als auch forciert getrocknet werden. So vielfältig wie die Funktionen können ebenso die Verarbeitungseigenschaften an die Wünsche angepasst werden. Das kann in Form von Ein- oder Zweikomponenten- sowie als UV-härtendes Lacksystem der Fall sein», so Rössler.

Eigenschaften wie gewünscht

Neben der Kratzfestigkeit und der Selbstreparatur sind auch andere wichtige Anforderungen in Lackprodukten realisiert, etwa die antibakterielle Ausrüstung. Damit lassen sich Beschichtungen mit verbesserten Hygieneeigenschaften herstellen, welche besonders für den Innenausbau in Spitälern, Arztpraxen und auch der Lebensmittelbranche gefordert werden. Diese funktionellen Eigenschaften beruhen auf der Zugabe von Silbernanopartikeln in den Polyurethan-Acrylharz-Lack. Für Möbel, die in direktem Hautkontakt stehen können, kommen in sozialen Einrichtungen Lacke mit biologischen Sicherheitsprüfungen zum Einsatz. Der Test auf Zytotoxizität bescheinigt den lackierten Oberflächen, dass auch bei direktem Hautkontakt keine Gefahr der Schädigung von Lebendzellen ausgeht.

Immer mehr Funktionen

Lacke mit eingebauten Funktionen haben ihren Preis. Kein Wunder, denn viele der funktionalen Produkte werden für ein bestimmtes Ziel massgeschneidert und können so auch neue Chancen für den Anbieter schaffen. Je mehr Anwendungen in Produkten auf den Markt kommen, desto wirtschaftlicher wird das Ganze. Aber, darauf weisen die Fachleute hin, es gilt dabei natürlich auch die Gesamtkosten zu beachten. «Ein günstiger Lack mit geringer Haltbarkeit kann zwar aus Sicht der Rohstoffkosten ökonomisch erscheinen, High-Tech-Produkte mit einer hohen Haltbarkeit sind aber unter dem Strich nachhaltiger. Über den gesamten Lebenszyklus gesehen müssen diese weniger oft renoviert werden», weiss Rössler.

Entwicklung mit Sinn

Die Autohersteller experimentieren viel mit den selbstreparierenden Lacken. Nicht wenige erwarten, dass diese in einigen Jahren bereits zur Standardausstattung von Autos gehören werden. «Wichtig ist aber stets die richtige Auswahl der Produkte je nach Objekt, Kunde und Fragestellung. Insofern gibt es Grenzen, weil nicht jede multifunktionale Kombination überall technisch funktioniert, ökonomisch abbildbar ist oder gar Sinn macht.

Natürlich stehen diese Hochleistungsmaterialien immer im Wettbewerb mit klassischen Systemen. Daher muss neben den neuen Funktionalitäten stets das ohnehin hohe Niveau der vielfältigen anderen und als Standard vorausgesetzten Eigenschaften berücksichtigt werden. Zudem müssen die Produkte oft auch auf vorhandenen Anlagen zu verarbeiten sein. Hier gibt es immer wieder Einschränkungen oder die Notwendigkeit für zusätzliche Investitionen», erklärt Rössler.

www.adler-lacke.comwww.hesse-lignal.dewww.wogg.ch

ch

Veröffentlichung: 12. Februar 2015 / Ausgabe 7/2015

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