Training fürs Kräftemessen

Die Vertreter der Schweizer Schreiner: Samanta Kämpf … Bild: Alejandro Jiménez

World Skills. Jérémie Droz und Samanta Kämpf wollen es an den World Skills 2019 im russischen Kazan aufs Siegertreppchen schaffen. Die beiden bereiten sich in den Betrieben ihrer Experten auf den Wettkampf vom 22. bis am 27. August vor.

Es ist Mittwochnachmittag. Vor dem Werkstattfenster grünen die Wiesen und ein Bächlein plätschert. Für Samanta Kämpf stehen an diesem Frühlingstag die Schönheitskorrekturen am Trainingsobjekt für die World Skills an. Im Betrieb ihres Experten Tobias Hugentobler nimmt Kämpf dem Holz mithilfe von Schleifklotz und Exzenter die unerwünschten Unebenheiten. Mit kritischem Blick sucht sie die letzten Makel und beseitigt sie mit geübter Hand.

Wenn sie diesen Arbeitsschritt in fünf Monaten ausführen wird, werden die grössten Herausforderungen der World Skills im russischen Kazan bereits gemeistert sein. Aber bis dahin hat sie noch viele Stunden Training vor sich. Sie nutzt diese Zeit, um alle Handgriffe bis zur Perfektion zu trainieren. «Es macht mir Freude, mich optimal auf den Wettkampf vorzubereiten», erklärt sie.

Vulkan der Berufsleidenschaft

Samanta Kämpf, die hier beim Training für die Teilnahme an den World Skills Vollgas gibt, macht ihre Ausbildung zur Möbelschreinerin bei der Herzog Küchen AG in Unterhörstetten TG. Im Juni wird sie ihre Lehre abschliessen und zwei Monate später steht mit der Berufsweltmeisterschaft vom 22. bis am 27. August ein weiterer persönlicher Meilenstein in ihrer Agenda.

Ungeachtet dieser Herausforderungen wirkt die junge Frau unglaublich gelassen. Um sich diesen Meilensteinen derart cool zu stellen, muss in ihrem Herzen ein Vulkan der Berufsleidenschaft brodeln. Jedenfalls sägt, schleift und leimt sie im Moment hier in Hugentoblers Werkstatt mit sich selbst um die Wette. Regelmässig schaut der Experte vorbei, gibt Tipps, muntert auf und legt auch schon mal selbst Hand an. So wie jetzt gerade, als er die Lernende dabei unterstützt, die einzelnen Teile des Trainingsobjekts provisorisch zu verbinden. Sofort sieht man, was noch zu tun ist. Hier klemmt es, dort ist eine Fuge nicht exakt und eine Unregelmässigkeit wirft Schatten aufs helle Holz. Das Möbel hat laut Kämpf so einige Knackpunkte: «Vor allem die vielen nicht rechten Winkel haben es in sich. Diese verzeihen nicht die geringste Ungenauigkeit.»

Mit Ausbildung punkten

Sobald Kämpf mit diesem ersten Projekt, einer Art länglichem Beistelltischchen, fertig ist, wird sie die beiden weiteren Projekte in Angriff nehmen. Insgesamt drei Projekte wurden nämlich von den Experten im Vorfeld bestimmt. «Welches von ihnen in abgeänderter Form beim Wettkampf auftauchen wird, ist allerdings geheim», sagt sie.

Unvorhersehbare Ausgangslagen, rasches Umdenken und Kursoptimierungen sind die Stärken der Schweizer. Während andere Nationen ihre Teilnehmer unter Umständen von Null auf Wettkampfniveau trimmen, profitieren die Eidgenossen von einer fundierten und sehr breit gefächerten Ausbildung. Kämpf fasst das so zusammen: «Ich bin froh, dass ich während der World Skills bei unerwarteten Problemen nicht nur aufs Training, sondern auch auf meine umfassende Berufsbildung zurückgreifen kann.»

Erfolg erhöht Druck

Kämpfs Experte, der Schreinermeister Tobias Hugentobler, ist Holztechniker sowie Inhaber und Geschäftsführer der Hugentobler AG in Braunau TG. 2001 trat er als 22-Jähriger in Seoul selbst als Kandidat bei den World Skills an. «Der internationale Wettkampf faszinierte mich. Das war wohl auch der Grund, warum ich vor ungefähr fünf Jahren die Expertentätigkeit für den VSSM übernommen habe. 2015 war ich in São Paulo dann das erste Mal als Experte dabei», berichtet er.

Bei den World Skills 2017 in Abu Dhabi erlangte Hugentobler mit Sven Bürki sogar die Goldmedaille. «Sicherlich sehr erfreulich. Aber andererseits erhöht dieser Erfolg natürlich den Druck für die aktuellen World Skills», sagt Hugentobler.

Seit Mitte März trainiert Kämpf in seinem Betrieb. Dabei geht es nicht nur ums Fachliche, sondern auch ums gegenseitige Kennenlernen. «Während des Wettbewerbs dürfen wir nicht kommunizieren. Wenn man sich aber gut kennt, kann die Körpersprache auch eine Art Kommunikationsmittel sein. Nur wer sich gut kennt, deutet die Signale richtig», sagt der Experte.

Nervosität im Griff

Die 19-Jährige lebt in Dettighofen TG. «Es ist für mich eine Ehre, die Schweiz als Möbelschreinerin in Kazan zu vertreten», sagt sie. Trotz dieser gewaltigen Aufgabe hält sich die Anspannung der jungen Schreinerin momentan in Grenzen.

«Spätestens kurz vor dem Wettkampf wird aber auch bei mir die Nervosität aufkommen. Doch sobald ich mit meiner Arbeit beginnen kann, versuche ich, ganz auf diese zu fokussieren», sagt sie. In ihrer Freizeit gewinnt sie Abstand zur Arbeit, indem sie mit Kollegen etwas unternimmt oder zu Hause das geruhsame Landleben geniesst. So kann sie abschalten und Energie tanken. Für die Zeit nach dem Lehrabschluss hat die ehrgeizige Thurgauerin bereits ein weiteres Ziel: Sie strebt die berufsbegleitende Maturität an.

Kämpfs Weg an die World Skills 2019

In mehrstufigen Wettkämpfen setzte sich Kämpf immer wieder durch und erlangte an der Regionalmeisterschaft in Altstätten SG die Silbermedaille. Sie qualifizierte sich so, als erste Frau seit 2014, für die Schweizer Schreiner-Nationalmannschaft. Die Mitglieder trafen in vier Wettkämpfen aufeinander. Die Swiss Skills 2018 in Bern waren der Höhepunkt im Qualifikationsprozess. Als erste weibliche Teilnehmerin seit 1968 holte sich Kämpf dort das Ticket für die World Skills 2019 in Kazan.

Gleicher Meinung ist auch Sandro Mächler, Projektleiter Grundbildung VSSM. «Ein intensiver Zyklus, verschiedenste Qualifikationsstufen, die schweizweit einmalig unter den Berufsverbänden sind, tolle Experten, Trainer und Teilnehmende machen mich zuversichtlich, dass wir auch diesmal zu den Favoriten gehören», sagt er und gibt dann zu bedenken, dass die internationale Spitze immer enger wird und der Medaillengewinn dadurch schwierig.

In der Romandie wird gepackt

Ähnlich wie in der Thurgauer Gemeinde läuft es jetzt auch im Waadtländer Dorf Bex. Hier im Betrieb des Experten Roger Huwyler macht sich der Bauschreiner Jérémie Droz fit für Kazan. Wie die Möbelschreinerin trainiert auch er an drei möglichen Projekten. Wenn ihm daneben etwas Zeit bleibt, so plant der junge Mann aus Blonay VD sein persönliches Arbeitsmaterial, welches er für die Teilnahme an den World Skills nach Russland mitnehmen möchte.

Fehlendes Werkzeug kann in Kazan nicht mehr beschafft werden. Wichtig ist aber nicht nur das Vorhandensein des Materials, sondern auch dessen fortgesetzte Einsatztauglichkeit. Und so reist Droz diese Tage noch ins Tessin, um zu lernen, wie man die verschiedenen Spezialwerkzeuge schärft.

Besonders knifflig ist aber auch das Meistern der Formalitäten. Für den Import nach Russland muss dem Transporteur nämlich eine detaillierte Inhaltsangabe der Werkzeugkiste vorliegen. Speziell ist auch, dass nur ungeöffnetes Verbrauchsmaterial in die Kiste darf, weil sich angefangene Packungen entzünden könnten.

«Früher haben wir den Platz zwischen den Werkzeugen noch mit kiloweise Schweizer Schokolade gefüllt, um die anderen Experten milde zu stimmen», erzählt Experte Huwyler und lacht. Doch das funktioniert in Russland nicht. Schokolade als Werkzeug deklariert käme bei den Zollbeamten gar nicht gut an. Die selbst gefertigte Werkzeugkiste ist eine Tonne schwer und hat ein Volumen von knapp zwei Kubikmetern.

Ende Juli, während die Fracht mit dem LKW nach Kazan unterwegs ist, holt sich Droz dann noch letzte Tipps bei ehemaligen World-Skills-Teilnehmern.

Vollgas geben

Seit 1999 bei den World Skills in Montreal hat kein Westschweizer mehr Gold bei der Berufsweltmeisterschaft gewonnen. Jérémie Droz könnte das ändern. Sein Experte Roger Huwyler zweifelt keinen Moment daran. Er beschreibt ihn als ehrgeizig und extrem intelligent. Huwyler führt die Ebénisterie d’Art SA in Bex VD und ist Chefexperte für die Möbelschreinerausbildung im Kanton Waadt. Seit 18 Jahren ist er immer bei den World Skills dabei – seit 2001 in Seoul als Experte für die Bauschreiner, bei der Austragung 2013 als Chefexperte.

«Wir Schweizer schafften es eigentlich immer aufs Podest. Das schlechteste Ergebnis erreichten wir 2003 in St. Gallen mit einem vierten Platz», sagt der heute 60-Jährige und man sieht ihm an, dass ihn das wurmt. Was ihn denn an den World Skills so sehr fasziniere? «Erstens schätze ich den Leistungswillen unseres Berufsnachwuchses. Zweitens komme ich mit den Jungen extrem gut aus. Vielleicht liegt das daran, dass ich zwar ihr Grossvater sein könnte, aber trotzdem ab und zu noch nicht ganz trocken hinter den Ohren bin», sagt er und man sieht dabei den Schalk in seinen Augen blitzen.

Die Leistung wichtig nehmen, aber bei allem Ernst auch den Spass am Leben nicht vergessen. Vollgas bei der Arbeit, aber auch bei der Erholung, lautet sein Credo. Als ihn Droz kürzlich fragte, ob er, um sich zu schonen, das sportliche Training reduzieren solle, hat er abgewinkt und gesagt: «Kondition und Freude an der Leistung ist auch beim beruflichen Wettkampf wichtig.»

Auch ohne Russisch auf Kurs

Für den Experten zählt nicht nur der Sieg. «Mir kommt es besonders darauf an, dass der Kandidat sein Bestes gibt und zufrieden ist. Wenn die anderen halt besser waren – tant pis», philosophiert er auf die sympathische Art der Romands. Huwyler ist sich sicher, dass er in Kazan auch ohne ein Wort Russisch über die Runden kommen wird.

Er sagt: «An den World Skills in Korea konnte ich auch nicht koreanisch. Wenn wir im Restaurant bestellen wollten, so habe ich das Gericht halt gezeichnet. Wir Schreiner sind nicht so schnell verloren. Erstens können wir zeichnen und zweitens finden wir immer eine Lösung.»

Jérémie Droz schmiedet Pläne

Jérémie Droz pflegt ein spezielles Hobby. In seiner kleinen Werkstatt fertigt er mit Leidenschaft die verschiedensten Messer an. In seiner Teilnahme an den World Skills sieht er die Chance zu einer einzigartigen Erfahrung. Ihn reizt das Kräftemessen mit den besten Schreinern der Welt. Auch Droz trainiert an den drei möglichen Projekten des Wettkampfs. Er ist aber überzeugt: «Ohne vorherige Bekanntgabe würde der Wettbewerb viel eindrücklicher die wahre Leistung eines Teilnehmers zeigen.» Der reiselustige Droz war zwar schon an vielen Orten der Welt, doch Russland ist für den 22-Jährigen Neuland.

Beim Wettbewerb will er so viel wie möglich mithilfe von Maschinen arbeiten, um Genauigkeit und Schnelligkeit zu generieren. Schon jetzt legt er sich nicht nur einen Plan B, sondern sogar einen Plan C und D in seinem Kopf zurecht, damit ihn Kleinigkeiten nicht aus der Bahn werfen.

Seine Zukunft könnte er sich durchaus in einem anderen Land, wie zum Beispiel Costa Rica, vorstellen. Beruflich ist die Gründung eines eigenen Unternehmens sein Traum. Untätigkeit ist ihm ein Graus. Bei ihm muss immer etwas laufen. Musik, mit Holz arbeiten, mit der Drohne Fotos knipsen oder Ski fahren. Seinen Experten kennt Droz seit vielen Jahren. Er ist davon überzeugt, dass er mit ihm in Kazan ein perfektes Duo abgeben wird. Müsste sich Droz mit drei Worten beschreiben, so wären das: kreativ, einfallsreich und Schreiner.

Bei den Sektions- und den Regionalmeisterschaften holte Droz Gold und wurde dann auch Erster der Schreiner-Nationalmannschaft. Bei den Swiss Skills 2018 in Bern gewann er sowohl in der Kategorie der Möbel- als auch in jener der Bauschreiner.

www.worldskills2019.com

Selektion in den Startlöchern

Fast gleichzeitig zu den World Skills startet mit den Selektionsmeisterschaften auch schon wieder der nächste Zyklus. In der ganzen Schweiz rechnet man mit rund 1300 Teilnehmern. «Diese Meisterschaften und das damit verbundene Qualifikationsprozedere bilden das Fundament unseres Erfolgs an den World Skills», mutmasst Sandro Mächler. Für ihn wird dies bereits der vierte Zyklus sein, den er organisatorisch begleitet. «Ich kann den Start kaum erwarten», sagt er und nennt auch gleich den Grund. «An all diesen Meisterschaften sieht man eine enorm engagierte Branche und top motivierte Lernende, welche während und auch neben dem Wettkampf einfach super Aushängeschilder für unseren Beruf darstellen. Dies zu erleben immer wieder eine grosse Freude.»

beb

Veröffentlichung: 04. April 2019 / Ausgabe 14/2019

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