Transparent die Kurve gekriegt

Der Einsatz von gebogenem Glas bringt von der Herstellung bis zur Montage zusätzliche Heraus-forderungen mit sich. Bild: Saint-Gobain, Peter Jørgensen

Gebogenes glas.  Immer wieder fordern Architekten und Planer für ihre Objekte gebogenes Glas. Die Konstruktionen beeindrucken als Kombination von Ästhetik, Design und Funktionalität. Der besondere Anmutungscharakter hat seinen Preis – und erfordert Spezialisten am Werk.

Die Informationsbeschaffung zum Thema gebogenes Glas gestaltet sich nicht einfach. In der Schweiz gibt man sich bedeckt. Von den Fachverbänden und Glasherstellern wird auf den Bundesverband Flachglas (BF) in Deutschland verwiesen. Die wenigen Fensterhersteller, die in der Schweiz schon gebogene Fenster geliefert oder verbaut haben, geben sich auch äusserst wortkarg.

Schweizer an Entwicklung beteiligt

Auch in Deutschland ist gebogenes Glas kein Massenprodukt, Lieferanten sind dort unter anderem Hero-Glas, Flintermann, Finiglas-Semcoglas und Döring-Glas. Thermisch vorgespanntes gebogenes Glas kommt von Flintermann und Finiglas. In Österreich liefert Henna-Glas, in Spanien Cricursa und in Italien Sunglass. Die Tatsache, dass es über gebogenes Glas nur wenige Regelwerke und Normen gibt, veranlasste den Bundesverband Flachglas, die Diskussion mit Herstellern und Anwendern zu suchen und gemeinsam den «Leitfaden für thermisch gebogenes Glas im Bauwesen» zu veröffentlichen. An dessen Entstehen war unter anderem auch Glas Trösch beteiligt. Das Merkblatt gilt heute als die zentrale Informationsquelle der Branche. Heute stellt Glas Trösch mit Hauptsitz in Bützberg BE in der Schweiz kein gebogenes Glas mehr her. Das Unternehmen glänzt trotzdem mit vielen herausragenden Referenzobjekten.

Herstellung von gebogenem Glas

Gebogenes Glas wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts hergestellt. Auch heute noch geschieht die Arbeit dabei nach dem Prinzip des Schwerkraftbiegens. Dazu Markus Kramer vom Ingenieurbüro IB Kramer in Essen (DE), der ebenfalls am Entstehen des BF-Merkblattes mitgewirkt hat: «Der Glas-Rohling wird auf eine Biegeform gelegt, die die finale Form abbildet, und in einem Biegeofen bis nahe am Transformationspunkt auf 550 bis 620 °C erwärmt. Dabei sinkt das Glas in die Form ein (u-Biegung mit konkaver Form, Wölbung nach innen) oder es wird ‹über den Berg gebogen› (n-Biegung mit konvexer Form, Wölbung nach aussen), ein Verfahren, welches häufig bei kleinen Biegeradien und grossen Biegewinkeln wie 90-Grad-Bögen zum Einsatz kommt.» Als kritischen Punkt nennt Kramer das Timing: «Dauert der Aufheizvorgang zu lange, läuft das Glas in der Form zusammen oder über diese hinweg. Geht der Prozess zu schnell, kann das Glas brechen. Die Abkühlzeiten bei gebogenem Floatglas liegen bei 10 bis 12 Stunden, um ungewollte Vorspannungen und Eigenspannungen zu vermeiden und ein schneidbares Glas zu erhalten.» Die Abkühlphase sei entscheidend für die späteren Eigenschaften des Glases. Beim Schwerkraftbiegen lassen sich bei Floatglas sogar zweiachsige Biegungen und Gegenbiegungen herstellen.

Thermisch vorgespanntes Glas wird in speziellen Biegeöfen erstellt, die bewegliche Formen aufweisen. Diese bringen das Glas von beiden Seiten in seine Form, das noch im Ofen durch das Anblasen mit kalter Luft schlagartig abgekühlt wird. Allerdings kann hier nur zylindrisch in Querrichtung zur Produktionslinie gebogen werden.

Gebogene Sicherheitsgläser

«Auch für gebogene Scheiben lassen sich Sicherheitsgläser verwenden. Es ist aber wichtig zu wissen, dass gebogenes Einscheibensicherheitsglas (ESG) beziehungsweise gebogenes teilvorgespanntes Glas (TVG) andere Eigenschaften aufweist als entsprechend plane Gläser. Dabei ist zu beachten, dass gebogene Sicherheitsgläser in Deutschland kein geregeltes Bauprodukt (mit allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung) sind – es ist also eine Zulassung im Einzelfall notwendig. Da es in Deutschland inzwischen eine Vielzahl von Glasanbietern gibt, haben einige von ihnen ein allgemeines betriebliches Prüfzeugnis für entsprechende Elemente (DIN 18008 Teil 4)», führt Peter Röhe von der BSS-Lemgo aus. Röhe liefert mit der BSS-Lemgo gebogene Fenster, meist allerdings in Aluminium und auch Dreischeiben-Isolierglas. Dabei seien Grössen bis zu 3 × 6 Meter möglich.

Auf die Beschichtung kommt es an

Für Peter Röhe liegt die Besonderheit gebogener Gläser unter anderem in der Tatsache begründet, dass nicht alle Beschichtungen, die er von normalen Gläsern gewohnt ist, auch bei gebogenem Glas bestellt werden können. «Entscheidend ist die Beschichtung des Glases und damit zusammenhängend die Schwierigkeit, dass man bei gebogenen Gläsern nicht jede Beschichtung verwenden kann. Dabei ist es egal, ob es sich um Sonnenschutz- oder um Wärmeschutzglasbeschichtung handelt.» Hier sind detaillierte Absprachen im Vorfeld mit dem Glaslieferanten unumgänglich.

Der Rat der Glasspezialisten

Auch Markus Kramer verweist bei diesem heiklen Thema auf die Lieferanten: «Es muss frühzeitig mit Glasherstellern und Beschichtern geklärt werden, was möglich ist. Insbesondere wenn die Beschichtungen auf der Biegeform liegen, kann es zu Problemen kommen», erklärt der Fachmann. Letztendlich haben Beschichtungen einen erheblichen Einfluss auf das Aufheizen und Abkühlen während der Produktion, daher sind die Ergebnisse des Biegens durchaus von den eingesetzten Öfen und damit von den jeweiligen Herstellern abhängig.

Auch ist zu beachten, dass es innerhalb eines Gebäudes zu Unterschieden bei planem und gebogenem Glas kommen kann, was optische und technische Werte angeht. Es kann daher durchaus notwendig sein, planes und gebogenes Glas von unterschiedlichen Herstellern einzusetzen. Durch die längeren Herstellungszeiten – insbesondere beim gebogenen Floatglas – und die weitgehend händische Verarbeitung ergeben sich höhere Kosten und längere Lieferzeiten für gebogenes Glas. Dies fällt besonders in Gewicht, wenn Ersatzlieferungen notwendig sind. Das sollten auch die Kunden wissen.

Bemessung und Klimalasten

Gebogene Gläser weisen aufgrund der Krümmung einen statischen Vorteil auf. Dieser versteifende Faktor kann sinnvoll angewendet werden, zum Beispiel durch entsprechende Anordnung der Auflager, um eine Verringerung der Glasdicke zu erreichen. Durch die höhere Steifigkeit ergeben sich aber auch höhere Klimalasten, also höhere Drücke im Scheibenzwischenraum. Dieser Effekt, der leider oft gerade bei geringen Krümmungen vernachlässigt wird, muss berücksichtigt werden, denn er wirkt sich auf das Tragverhalten aus. «Werden für die Dimensionierung von gebogenem Glas Standardprogramme eingesetzt, mit denen die Schalentragwirkung nicht abgebildet werden kann, ist ein schadenfreies Fenster kaum möglich. Hier zahlt es sich aus, praxiserprobte Ingenieurdienstleistungen einzukaufen», mahnt Kramer.

Darüber hinaus weisen gebogene Gläser andere Biegezugfestigkeiten auf als plane Scheiben. Durch die höheren Klimalasten bei gebogenen Gläsern erhöht sich vergleichsweise auch die Belastung des Isolierglas-Randverbundes. Das kann Auswirkungen auf den Randverbund beziehungsweise den erforderlichen Glaseinstand haben.

Glasbruch vermeiden

In den Krümmungsradien von Glas und Rahmen dürfen nur geringe Differenzen auftreten, sonst ist der Glasbruch vorprogrammiert. Das setzt eine detaillierte Planungsleistung voraus. «Schon bei der Avor-Software ist gebogenes Glas kein Standard. Daher muss man bei Planung und Glasbestellung anders vorgehen als bei planen Fenstern. Dabei helfen aktuelle CAD-Systeme, die die gebogenen Gläser und Profile aufzeigen. Die beiden Bauteile lassen sich zeichnerisch trennen und für separate Bestellungen nutzen. Das ist mit einem Mehraufwand verbunden und sollte auch mehrfach überprüft werden. Noch vor der Planung sind die Anforderungen an das Glas mit dem Glaslieferanten abzustimmen. Das betrifft zum Beipsiel Anforderungen an absturzsichernde Verglasungen», führt Peter Röhe aus.

Geklebte Konstruktionen favorisiert

Hier setzt auch Markus Kramer an und ergänzt: «Bei aller Genauigkeit beim Herstellen des gebogenen Rahmens muss der Fensterbauer mit Toleranzen im Glas rechnen. Dabei sollten ausreichend elastische ‹Einlagen› im Rahmen vorgesehen sein, nötig sind definierte Anpressdrücke. Bei aufwendigen Konstruktionen sind auf jeden Fall geklebte Konstruktionen vorzuziehen. Nur über die Klebefuge ist es möglich, anfallende Toleranzen aufzunehmen. Kleben setzt aber eine Herstellung des Fensters im Werk voraus, von einem Verarbeiten auf der Baustelle rate ich wegen der Umgebungsbedingungen wie Temperatur und Verunreinigungen ab.»

Zur Gebrauchstauglichkeit weist das BF-Merkblatt darauf hin, dass die Durchbiegung der gebogenen Verglasung so zu beschränken sei, dass ein Herausrutschen aus den Glasauflagern sicher verhindert wird. Weiter wird dort ausgeführt, dass die Vorgaben für plane Verglasungen nicht auf gebogene Verglasungen zu übertragen seien, da geringe Verformungen der Unterkonstruktion wesentlich grössere Auswirkungen auf gebogene Scheiben hätten als bei vergleichbaren ebenen Scheiben.

Klotzung und Glasfalz

Die mindestens erforderliche Falzbreite wird im Merkblatt mit + 6 mm angegeben (Gesamtglasdicke + Toleranz aus Konturtreue), zusätzlich seien die Toleranzen der Unterkonstruktion zu berücksichtigen.

Auch beim Einsatz von Tragklötzen gibt es konkrete Empfehlungen: Das Merkblatt weist darauf hin, dass gebogenes Einfachglas oder Isolierglaseinheiten im senkrechten Einbau wie plane Scheiben geklotzt werden sollten. Die Tragklotzung müsse so ausgeführt werden, dass sich die Verglasung im Gleichgewicht befindet und nicht kippen kann. Dabei müssen die Tragklötze so angeordnet werden, dass die Verbindung der beiden Mittelpunkte der Verglasungsklötze die Schwerpunktlinie der Verglasung schneidet. Am Schwerpunkt wird das Eigengewicht der Verglasung in die Konstruktion abgetragen. Die Tragklötze sollten aus elastischem Material mit rund 60 bis 80 Shore-A-Härte (Kennzahl für Elastomere und gummielastische Polymere) und einer tragfähigen Unterlage bestehen. Ihr Abstand zur Glasecke sollte dem Regelabstand von 100 mm entsprechen.

Abschliessend noch ein Praxistipp für die Montage: Gebogene Gläser dürfen nicht mit konventionellen Glassaugern eingebaut werden, es sind zwingend Sonderkonstruktionen notwendig.

www.bundesverband-flachglas.dewww.ib-kramer.euwww.bss-lemgo.de

jp

Veröffentlichung: 16. Juni 2016 / Ausgabe 24/2016

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