Über den Standard hinaus

Büroschrank aus der Vogelperspektive: Breit und dann auch noch schwer sind Anforderungen, welchen Beschläge einer Sonderschublade gewachsen sein müssen. Bild: Schock Metall GmbH

Spezialauszüge.  Wenn besondere Anforderungen an Auszüge gestellt werden, sind Sonderlösungen gefragt. Was wenig beachtet wird: Im fliessenden Übergang von Standard zu Sondermodell ergeben sich Möglichkeiten zur Individualisierung und Optimierung der eigenen Fertigung.

Hand aufs Herz: Man kennt vor allem die Auszugsbeschläge von einem oder wenigen Anbietern, die man immer wieder verwendet, und das schon längere Zeit. Diese Beschläge bieten Lösungen für fast jedes Problem im Möbel- und Innenausbau. Oft genug aber richtet man seine eigene Entwurfs- und Planungsarbeit auch genau auf das Angebot der Standardanbieter aus. Tauchen besondere Ansprüche auf oder geht es um kreativen Freiraum, dann landet man schnell bei Spezialauszügen. Wobei «Spezialauszug» eigentlich kein Wort ist, das Raimund Müller, Inhaber der Ackutech AG, verwendet. Eher schon Sonderauszug, was darauf hinweist, dass es um etwas Besonderes geht.

Der Einsatzbereich solcher besonderen Auszugsbeschläge kann identisch mit denen der Standardschienen sein, ist es aber in der Regel nicht. Die Küche etwa ist kaum ein Bereich für spezielle Beschläge und Entwicklungsarbeit für Spezialisten, sondern ein Feld für Standardanbieter. Hier haben vor allem Blum, Grass, Häfele, Hettich und Co. das Sagen. Es sei denn, der Kunde hat ganz besondere Vorstellungen. «Wenn es Lösungen braucht, die Standardbeschläge nicht leisten können, dann rufen mich die Schreiner an. Und meistens habe ich eine Lösung», erzählt Müller.

Grenzen überschreiten

Häufigster Anwendungsbereich von Sonder- oder Spezialauszügen findet sich im Bereich von Schwerlastanwendungen. Darüber hinaus aber auch bei Auszügen für besonders breite Schubladen, was dann wiederum eng mit dem Gewicht zusammenhängt, aber auch mit der Güte der Führung und der Synchronisation für einen einwandfreien Lauf solcher Beschläge. Oder auch solche, die auf deutliche Überlängen ausziehbar sind.

Die Befestigungsart kann variieren, massgeschneidert sein oder es kann sich um die Anforderung handeln, dass ein Auszug in beide Richtungen zu betätigen sein muss. Für scheinbar praktisch alle Wünsche gibt es Lösungen und bei Kleinserien von 100 oder 200 Stück kann ein solcher Beschlag heute auch auf Mass in x-beliebiger Ausstattung gefertigt werden – Selbsteinzugsmechanismus und beim Druck auf das grifflose Doppel ein Herausspringen der Schublade mit eingeschlossen. Allerdings ist das nicht bei allen Varianten möglich, denn gerade wenn es um hohe Lasten geht, sind dem mechanisch Machbaren auch Grenzen gesetzt.

Breit ist praktisch

Breite Schubladen entsprechen derzeit der Mode. Zweifelsfrei sind diese auch praktisch. Soll es sehr breit sein, dann braucht es Sonderauszüge, etwa für Hängemappen in einem Korpus von über einem Meter Breite. Bis zu einer lichten Korpusbreite von 1162 mm ist das zum Beispiel mit dem «Pro-Line II»-Hängerahmen aus dem Hause der Schock Metall GmbH möglich. In der Schweiz ist der Hersteller durch die Böni Systemtech & Co. AG vertreten. Damit lassen sich drei A4-Formate nebeneinander unterbringen bei 50 mm Überauszug und 70 mm Selbsteinzug. «Der Hängerahmen ist mit einem integrierten Schliesssystem ausgestattet. Eine Zahnradparallelführung sorgt hierbei für eine Synchronisation der Auszüge und übernimmt zudem die Schliessfunktion, so dass nur eine einseitige Verriegelung erforderlich ist», erklärt Daniel Höfer von der Schock Metall.

Mehr als voll ausgezogen

Sogenannte Überauszüge, die einen Verfahrweg von bis zu 150 % der Schienenlänge aufweisen können, kommen oft beim Innenausbau von Apotheken zur Anwendung. Der Überauszug ermöglicht den bequemen Zugriff auch auf die hinterste Einteilung der Schublade. Neben diesem klassischen Einsatzbereich sind solche Auszüge, die bei einer Schienenlänge von 600 mm einen Auszugsweg von 900 mm bieten können, für die Nutzung unterhalb einer Treppe interessant. Soll dieser Bereich als Stauraum genutzt werden, lässt sich mittels Überauszügen verhindern, dass der Bediener beim Benutzen «in die Schublade hineinkriechen muss» und sich dann schnell den Kopf an der Treppe stossen kann.

Eine andere Spezialanwendung ist der Einbau einer Werkbank im Montagefahrzeug. Diese kann mit einem deutlichen Überauszug leicht herausgezogen werden, und in diesem Fall ganz wichtig, sowohl im geschlossenen als auch im geöffnetem Zustand verriegelt werden. Auch bei Archivschränken zur Aufbewahrung von Plänen oder Gemälden müssen grossformatige Arbeiten nicht eingeführt, sondern können mithilfe des Überauszugs bequem hineingelegt werden.

Eher bei Maschinenanwendungen und Werkstattausstattungen zu finden sind Zweiwegauszüge. In beide Richtungen nutzbar sind diese ideal, wenn Magazine und Archive von mehreren Arbeitsplätzen gleichzeitig genutzt werden sollen. Auch in Apotheken kommen solche Beschläge zum Einsatz, bei denen eine Insel so beidseitig nutzbar wird. «Schön wäre das auch für eine Kücheninsel. Konstruktionsbedingt sieht man jedoch dann die Teleskopschiene an der Front, weil man natürlich kein Doppel wegen des beidseitigen Auszugweges montieren kann», sagt Raimund Müller.

Anwendungen ohne Ende

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten bieten zudem einfache Linearführungen mit Laufwagen. Dabei wird die Laufschiene eines Teleskopauszuges mit einem Laufwerk (Carrier) kombiniert. Neben sehr grossen Verfahrwegen, die auch über zwei Meter sein können, ist vor allem die kompakte Bauform dieses Sonderauszuges interessant. Bei einer Stärke von 15 mm von «FlexFit» aus dem Hause Ackutech kann der Beschlag durch einen befestigten Boden optisch komplett abgedeckt werden. «Bei den Anwendungsmöglichkeiten sind der Fantasie keine Gren- zen gesetzt. Etwa hatten wir einen Kunden, der seinen 55-Zoll-Flachbildfernseher hinter einem Möbel verstecken wollte und diesen bei Bedarf nun seitlich ausziehen kann», erklärt Müller. Immer dann, wenn nur ein Tablar ausziehbar sein soll, bietet das Prinzip grosse Freiheit. Auch in der Küche, wie Müller bemerkt. So kann etwa die Kaffeemaschine oder auch die Küchenmaschine bei Bedarf vorgezogen werden und ist dann schnell wieder aufgeräumt. «Für solche Anwendungen gibt es bislang sonst wenig Lösungen, etwa zum Einnuten im Trägerboden. Der Beschlag lässt sich auch manuell über einen kleinen Hebel verriegeln und lösen. Das System wackelt dabei nicht, ist sicher und langlebig», so Müller. Sogar Schiebetürlösungen sollen möglich sein und für Aussenanwendungen gibt es die Schiene auch in Edelstahlausführung.

Während die meisten Sonderauszüge mittels Kugeln geführt werden, läuft der Laufwagen bei «FlexFit» auf Rollen. Kugelführungen gelten als physikalisch vorteilhaft, weil sie als stabil, selbstreinigend und langlebig gelten. Die meisten Modelle sind dabei für die seitliche Montage erdacht, lassen sich aber auch oft flach auf Zwischenböden unter einem ausziehbaren Tablar montieren. Dann allerdings verringern sich die zulässigen Lastwerte deutlich, was es zu beachten gilt.

Massgeschneidert ist eher selten

Die Schweizer Anbieter von Sonderauszügen lassen dem Planer viel Freiraum, auch bei Standardbeschlägen. Generell bedient Müller bei massgeschneiderten Auszugsbeschlägen mehr industrielle Kundschaft als den Schreiner. «Ab und zu gibt es Schreiner, die zum Beispiel ein Hotel ausstatten und dann eine spezielle Lösung für 200 Schubladen brauchen», sagt Müller. Dann geht es beispielsweise um eine Variation bei der Befestigung des Auszugs. Ob versenktes Loch, Stutzen, Einpressmutter oder Aufnahmewinkel – je nach Schubladenkonstruktion und Material kann immer auf die gleiche Schiene bei den variablen Konzepten der Anbieter zurückgegriffen werden.

Bei Schock Metall sollen es 150 verschiedene Befestigungstandards sein, aus denen ausgewählt werden kann. Dazu kann die Ausstattung bei vielen Schienenmodellen angepasst werden; etwa bei der Einzugskraft für den Selbsteinzug oder auch hinsichtlich einer geräuschoptimierten Ausführung. Dafür braucht es zumindest eine Kleinserie, bei Ackutech meistens ab 100 Paar.

Ein Hoch auf die individuellen Lösungen

Mit den Sonderauszügen der Anbieter lassen sich viele Fälle abdecken. So muss man nicht die Konstruktion dem Beschlag anpassen, sondern kann den Entwurf mit dem passenden Beschlag umsetzen. Manchmal reicht jedoch auch das nicht aus. Zum Beispiel wenn gestalterische Gesichtspunkte einen ganz bestimmten Beschlag bedingen. So hat die Schreinerei Nut + Grat GmbH aus Visp VS einen eigenen Vollauszug entwickelt. Dieser bleibt im geschlossenen Zustand auf der Front als Punkt sichtbar und ist so ein markantes Designelement für derzeit zwei Möbelentwürfe innerhalb der eigenen Kollektion. Im Gegensatz zu gängigen Auszugsprofilen verschwindet das Rundprofil des Beschlages optisch vollständig im geschlossenen Zustand hälftig in den Hohlkehlen der Korpusseite sowie am Tablar oder in der Schublade.

www.ackutech.chwww.boni.chwww.schock-metall.dewww.nutundgrat.ch

ch

Veröffentlichung: 22. Januar 2015 / Ausgabe 4/2015

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