Von faltbarem Glas bis zu Ofenscheiben

Floatglas ist in der heutigen Architektur omnipräsent und massgebend bei der Gestaltung. Bild: Andreas Brinkmann

Glas.  Das «zerbrechliche», meist durchsichtige Material Glas schützt riesige Häuserfronten und hält auch hohen Temperaturen stand. Und immer wieder werden neue Rezepturen entwickelt, die aus Quarzsand durchsichtige Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften schaffen.

«Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen, fünf Teile Kreide und du erhältst Glas.» Dieses älteste überlieferte Glasrezept findet sich in der Bibliothek des assyrischen Königs Assurbanipal und wurde rund 650 Jahre vor der heutigen Zeitrechnung in Keilschrift auf eine Tontafel geschrieben.

Die Entwicklung transparenter Scheiben

Entdeckt wurde die Glasherstellung vor etwa 7000 Jahren, und während der Zeit der Römer wurden auch schon Scheiben gegossen – diese waren allerdings noch nicht durchsichtig und 30 bis 60 mm dick. Etwa 200 vor Christus erfanden syrische Handwerker die Glasmacherpfeife, womit es möglich wurde, dünnwandige Hohlgefässe zu blasen. 1200 Jahre später stellte man aus langen geblasenen Glaszylindern durch Aufschneiden und Strecken Flachglas her.

Erst im 17. Jahrhundert wurde Flachglas auch wieder gegossen und ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts konnten Glasscheiben mittels verschiedener maschineller Verfahren gezogen werden. Die quer zur Ziehrichtung verlaufenden, sichtbaren Ziehstreifen waren verfahrensbedingt und Glaser mussten darauf achten, dass diese Streifen in einem eingehängten Fenster horizontal verliefen, damit beim Vorbeilaufen der optische Fehler nicht auffiel.

Zu Beginn der 1950er-Jahre erfand die englische Firma Pilkington Brothers das Floatglas-Herstellungsverfahren. Pilkington ist heute in der Schweiz durch die Flachglas Schweiz AG in Wikon LU vertreten. Das flüssige Glas wird beim Floatglas-Verfahren als breites Band über ein Bad mit flüssigem Zinn gezogen und anschliessend abgekühlt sowie geschnitten. Durch die Oberflächenspannung der Glasschmelze und der planen Oberfläche des Zinnbades bildet sich auf natürliche Weise ein absolut planparalleles Glasband, welches endlos gezogen werden kann. Mit diesem Verfahren werden Fensterscheiben und Spiegel hergestellt. Damit auch Ornamentglas endlos gezogen und somit in frei wählbaren Längen hergestellt werden kann, wird es nicht mehr gegossen, sondern durch zwei Prägewalzen hindurchgezogen. Auf diese Weise sind sogar beidseitige Prägungen möglich.

Ein vielfältiger Werkstoff aus Sand

Glas lässt sich gar nicht so einfach definieren, wie man sich das aus der Sicht des Schreiners vielleicht denken mag. Es gibt Firmen – auch in der Schweiz –, die etwa 500 verschiedene Glassorten verarbeiten.

Laut Flachglas besteht normales Floatglas aus 60 % Quarzsand. Damit dieser Sand ökonomischer und nicht bei über 1800 °C eingeschmolzen werden muss, werden als Flussmittel 20 % Soda und Sulfat beigemischt. Die 20 % Kalk und Dolomit, die dann noch dazukommen, wirken als Stabilisatoren und sorgen für die Festigkeit und Härte des späteren Floatglases. Durch das Schmelzen und Läutern – Reinigen – der Mischung entsteht eine homogene Glasmasse, die weiterverarbeitet werden kann.

Für Gastronomie und Privathaushalt

Bei einer Produktion für den Lebensmittelbereich, wie Trinkgläser und dergleichen, muss eine Glassorte gewählt werden, die in Spülmaschinen gereinigt werden kann. Die Glasbläserei Hergiswiler Glas AG in Hergiswil LU verwendet eine Sorte, die klar und farblos wirkt und daher gerne mit Kristallglas verwechselt wird. Die Grundmasse, welche die «Glasi» verwendet, ist so abgestimmt worden, dass sich daraus sehr verschiedene Produkte mit unterschiedlichen Anforderungen herstellen lassen.

Die Firma empfiehlt die Gläser nur im Schon- oder Gläserprogramm bei 45 bis maximal 55 °C abzuwaschen. Sie weist auch darauf hin, dass manche Metalle von Pfannen oxidieren oder von den Waschmitteln angegriffen werden. Die daraus entstehende Lauge macht die Gläser matt.

Besondere technischen Anforderungen

Die Schott Schweiz AG aus St. Gallen ist der Glasproduzent, der von allen Verarbeitern genannt wird, wenn es um eine hohe Kompetenz mit Spezialgläsern geht. Die Glaskeramik Ceran ist beispielsweise ein Produkt der Firma für Elektro-, Induktions- und Gaskochfelder.

Wie das älteste Glasrezept und das für Floatglas zeigen, gibt es viele Möglichkeiten für eine taugliche Grundmasse. Mit den Mengen und der gezielten Verwendung bei den Flussmitteln und den Stabilisatoren werden unterschiedliche Grundeigenschaften erreicht. Die weiteren Verarbeitungsmethoden entscheiden dann über die Verwendungsmöglichkeiten. Borosilikatglas beispielsweise besteht aus anderen Zutaten und hat eine fast doppelt so hohe Temperaturwechselbeständigkeit wie Floatglas und eine fünfmal so grosse maximale Gebrauchstemperatur von 500 °C. Aus solchem Material werden Gratinformen gemacht. Schott produziert damit Backofenscheiben und auch Reagenzgläser. Durch die Kombination von Borosilikatglas und dem Floatprozess entstehen bei Schott auch Brandschutz-Spezialgläser. Diese weisen zudem eine höhere Erweichungstemperatur sowie Viskosität auf und bleiben im Brandfall länger standfest.

Ein Hauch von Glas

In vielen technischen Bereichen zeigt das scheinbar so zerbrechliche Glas eine hohe Widerstandskraft und optische Qualitäten. Schott ist auch im Bereich von dünnem und ultradünnem Glas sehr aktiv. Beide werden vertikal nach unten ziehend hergestellt. Das Dickenspektrum reicht von 1,1 mm bis 30 µm. Sogar biegbare Gläser werden angeboten und auch faltbare Displays für Smartphones sind machbar.

Nicht möglich ist das Härten von Glas. Es kann vorgespannt oder teilvorgespannt werden. Durch einen thermischen oder chemischen Prozess wird eine unterschiedliche Spannung zwischen den Aussenflächen und dem Innenbereich einer Scheibe erreicht, was sie sehr viel widerstandsfähiger macht. Erst bei Verletzung der Aussenfläche zerfällt sie in kleine Stücke.

www.flachglas.chwww.glasi.chwww.schott.com

Andreas Brinkmann

Veröffentlichung: 06. Oktober 2022 / Ausgabe 40/2022

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

«Einfach mal durchklicken»

Dokumentation.  Auf der Internetseite holzbaukultur.ch wächst eine Dokumentation heran, die den Werdegang des Holzbaus in der Schweiz begreifbar macht. Bis Ende des Jahres sollen 400 Gebäude online sein. Im Gespräch dazu Elia Schneider von der Berner Fachhochschule in Biel.

mehr
17. April 2024

Ein meisterlicher Botschafter

Parkettverband ISP. Im Schloss Laufen am Rheinfall fand die 55. Generalversammlung der Interessengemeinschaft Schweizer Parkettmarkt (ISP) statt. Ein abgekühlter Markt und der Mangel an Lernenden beschäftigt die Bodenlegerbranche auch in diesem Jahr.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Werkstoffe