Wenn der Holzweg für einmal der richtige ist

Ihren Freundinnen und Freunden hilft Ladina Honegger gerne beim Umzug. Kürzlich war die Zürcherin aber selbst auf Hilfe beim «Zügeln» angewiesen. Von der Stadt in die Berge, ihre neue Wohnung und Lehrfirma sind im Engadin.

Zur Hälfte ihres ersten Ausbildungsjahres hat Ladina Honegger festgestellt, dass sie sich in ihrem Arbeitsumfeld gar nicht so wohlfühlt. Einige Zeit hat sie mit der Entscheidung gehadert, sich dann aber doch zu einem Wechsel der Lehrfirma entschieden. Ihr Bauchgefühl führte sie letzlich von Zürich nach Graubünden.

«Zwischenzeitlich verspürte ich grosse Unsicherheit, wie es weitergehen soll und ob ich auf dem richtigen Weg bin», erzählt sie. «Doch es war die richtige Entscheidung.» Bei ihrem Lehrstellenwechsel konnte die 25-Jährige für eine Auszubildende im ersten Lehrjahr schon auf ungewöhnlich viel Lebenserfahrung zurückgreifen.

Auf Umwegen zum Schreinerberuf

Honegger absolvierte die Matura an der Kantonsschule Stadelhofen in Zürich. «Im Jahr danach habe ich immer blockweise im Service gearbeitet und bin viel gereist. Zu der Zeit konnte ich mich nicht für ein Studium entscheiden und hatte gleichzeitig das Bedürfnis nach einem Bildungsweg, der etwas praxisorientierter ist.»

Mit dem Gedanken an eine Fachhochschule habe sie dann mit einem Praktikum in der Eventprojektplanung begonnen. Bei einer Firma in Zürich war Honegger nach ihrem Praktikumsjahr dann auch drei Jahre Projektleiterin im Bereich Kundenservice. Bei der Planung habe es sie oft gestört, bei technischen Fragen und bei der Umsetzung der Projekte so stark vom Handwerksteam abhängig zu sein.

«Bei Aufbauten für Events habe ich viel lieber den Akkuschrauber als meine Planungsmappe in die Hand genommen», sagt Honegger. «Deshalb wünschte ich mir irgendwann, selbst zu lernen, wie es richtig geht. Als dann in der Eventbranche die Unsicherheiten bezüglich Covid zu spüren waren, dachte ich: jetzt oder nie.»

Richtiger Beruf, falsche Firma

Zu dem Zeitpunkt, im Januar, gab es offiziell keine Lehrstellen mehr. Honegger konnte dann aber einen ursprünglich schon vergebenen Platz in einem Betrieb einnehmen. «Die handwerkliche Arbeit hat mir sehr gut gefallen, und ich fühlte mich bestätigt, den richtigen Beruf gewählt zu haben», erzählt Honegger. Sie habe rasch gemerkt, welche Arbeiten ihr richtig Spass machten. So durfte sie gleich zu Beginn ihrer Ausbildung einen Schlitten anfertigen. «Die verschiedenen Bearbeitungen an den Massivholzteilen, wie beispielsweise das Biegen der Schlittenkufen und -holmen, faszinierten mich. Ich wusste gleich, für solche Projekte kann ich mich begeistern», schwärmt Honegger. Im weiteren Verlauf der Ausbildung konnte sie dann aber nicht mehr so viel mit Massivholz arbeiten. Die Möbel, die sie habe anfertigen dürfen, waren vorwiegend aus Plattenmaterialien, wie MDF oder beschichteter Spanplatte.

Gespürt, dass es nicht passt

«Bald stellte ich auch fest, dass ich mich in meinem Arbeitsumfeld nicht gleich wohlgefühlt habe, wie bei meiner alten Stelle», erzählt sie. «Es hat menschlich nicht so gut gepasst.» Sie habe sich oft nicht ihrem Alter entsprechend behandelt gefühlt. Natürlich sei sie sich bewusst gewesen, dass sie als Lernende in einer anderen Position ist als zuvor in ihrer Funktion als Projektleiterin. Dafür, dass sie mit Mitte Zwanzig andere Bedürfnisse und Wünsche hat als jemand, der die Ausbildung direkt nach der Schule absolviert, war jedoch wenig Verständnis und Akzeptanz da.

«Natürlich habe ich nicht gleich an einen Lehrstellenwechsel gedacht. Es war zeitweise eine Gratwanderung. Bis zu welchem Punkt kann ich mich arrangieren, und wann muss ich etwas ändern?»

Schritt für Schritt

Sie habe zuerst das Gespräch mit ihrem Lehrmeister und dem Chef gesucht und mit ihnen mögliche Lösungsansätze besprochen. «Leider kamen wir in diesen Gesprächen nicht auf einen Nenner. Ich wusste danach nicht so recht, wie ich weiter vorgehen soll.»

Bei der Notenbesprechung in der Berufsschule fragte ihr Lehrer, wie es Honegger in ihrer Lehrzeit gehe. «Er war die erste Person, der ich mich anvertraute.» Er habe ihr nach dem Gespräch dann empfohlen, sich zuerst einmal beim Berufsbildungsamt ihres Kantons über weitere Schritte zu informieren. Die zuständigen Berufsinspektoren helfen bei Fragen rund um die Ausbildung und den Lehrvertrag weiter. Berufsinspektor für den Kanton Zürich ist Roland Flach. Nebst den «Hölzigen» betreut er auch die Berufe rund um Fahrzeuge sowie Recyclist EFZ.

«Roland Flach hat mich wirklich grossartig unterstützt. Ich konnte mit allen Fragen zu ihm kommen und fühlte mich jederzeit ernst genommen», sagt Honegger. Nach den Gesprächen mit ihm habe sie sich dazu entschlossen, ihre Lehrstelle zu wechseln.

Erneute Lehrstellenversuche

Auf der Website des Berufsbildungsamtes gibt es ein Formular zur Auflösung eines bestehenden Lehrverhältnisses. Als Honegger ihre offizielle Kündigung einreichte, habe sie zwar noch nicht gewusst, ob sie gleich wieder eine Lehrstelle finden werde, aber «ich wollte das eine zuerst auch gedanklich abhaken können, bevor ich mich mit etwas Neuem befasse.»

Auf der Website eines Lehrbetriebs-Verbundes informierte sie sich über offene Stellen. Beim Schnuppern hat sich für sie jedoch keine der zwei möglichen Arbeitsplätze richtig stimmig angefühlt. «Inzwischen wusste ich recht genau, was ich suche. Ich wollte die Chance nutzen und versuchen, eine Firma zu finden, in der ich viel mit Massivholz und traditionellem Handwerk arbeiten kann», erzählt sie. Deshalb habe sie selbst intensiv gesucht und habe Telefonat um Telefonat geführt.

Massivholzschreinerei im Engadin

Im vergangenen Sommer konnte Honegger in Graubünden gleich vier Schnupperwochen am Stück bei vier verschiedenen Firmen absolvieren. In der Region habe sie sich sehr wohlgefühlt.

«Eigentlich hat es mir in allen vier Schreinereien gefallen. Aber die ‹In Lain Holzmanufaktur Cadonau› in S-chanf überzeugte mich am meisten», schwärmt sie. Die Schreinerei liegt mitten im Engadin, zwischen St. Moritz und Scuol. «In Lain» bedeutet «aus Holz» und unter diesem Leitsatz verbindet das Unternehmen traditionelles Handwerk mit modernem Design.

Die finale Entscheidung hat Ladina Honegger dann schnell getroffen. Dabei sei bei ihr der organisatorische Aufwand, welcher mit dem Umzug auf sie zukam, bis zum Vertragsabschluss gar nicht so im Vordergrund gewesen. Danach gefragt, meint sie: «Es war schon ein grosser Tapetenwechsel. Aber für mich hat es sich richtig angefühlt. Da mussten meine Freundinnen halt ausnahmsweise mal mir helfen beim Umzug.»

Sie habe auch richtig Glück gehabt bei der Suche nach einer Unterkunft. «Ich stiess auf ein freies WG-Zimmer nur ein paar Fahrminuten von meiner Arbeitsstelle entfernt», erzählt sie.

Intensive Zeit

Seit Anfang Oktober vergangenen Jahres wohnt und arbeitet sie nun im Engadin. Sie fühle sich richtig wohl in ihrer neuen Umgebung und sei auch überall sehr freundlich aufgenommen worden. «Hier ist natürlich alles etwas familiärer als in Zürich», wie die 25-Jährige sagt. «Die Leute sind sehr offen, erklären und helfen gerne. Darüber bin ich echt froh.» Denn die drei Monate bis zu Weihnachten seien intensiv gewesen. Die Vorweihnachtszeit ist in den Bergregionen allgemein Hochsaison für die Schreiner, da viele Arbeiten vor der Skisaison noch fertig werden müssen. So auch in der Holzmanufaktur Cadonau. Dazu kommt, dass Honegger im verkürzten Format der Ausbildung das 2. und 3. Lehrjahr miteinander absolviert und so in der Berufsschule und den üK fast die doppelte Belastung hat.

«In dieser Zeit gab es schon ein paar Momente, in denen ich mich etwas überfordert gefühlt habe, weil sehr viel Neues auf mich einprasselte», erzählt Honegger. «Aber die Arbeiten, die ich nun ausführen kann, sind genau das, was ich mir gewünscht habe. Hier in der Werkstatt hat es weit und breit keine Spanplatte.» Auch den Nebel und die vielen Wolken vermisst sie nicht. «Hier scheint meistens die Sonne, kein Vergleich zu Zürich», sagt sie und lacht.

Auf die eigenen Gefühle hören

Lernenden in einer ähnlichen Situation würde Honegger raten, mutig zu sein und Dinge anzusprechen. Am besten suche man sich eine Person, bei der man sich wohlfühlt. Die Vertrautheit erleichtere es sehr, Sachen und Probleme zu erzählen. Auch wenn die Person vielleicht gar nicht in der Position ist, diese zu lösen. Im besten Falle könne sie auf dem weiteren Weg helfen oder auch emotional unterstützen. Falls die erste Ansprechperson nicht die richtige war, solle man dranbleiben, meint Honegger. «Ich finde, man sollte sich am Arbeitsplatz in jedem Fall wohlfühlen und den Aufwand nicht scheuen, dafür etwas zu verändern.» Es lohne sich, vor einem direkten Lehrabbruch erst mal über einen Lehrstellenwechsel nachzudenken.

Zukunftspläne

«Nach dieser turbulenten Zeit, möchte ich nun zunächst meine Ausbildung erfolgreich abschliessen. Danach würde ich sehr gerne etwas Berufserfahrung sammeln und auch meiner Reiselust wieder nachgehen können», sagt Honegger.

Wenn sie noch weiter in die Zukunft blickt, gefällt ihr auch der Gedanke an eine Selbstständigkeit recht gut. «Ich habe die Vision eines offenen Workspaces mit DIY-Kursangeboten. Ich würde Personen, die keinen Hintergrund als Schreiner oder Schreinerin haben, gerne einen Begegnungsraum bieten, um die Wertschätzung für den Werkstoff Holz und das Handwerk zu vermitteln.»

www.inlain.swiss/holzmanufaktur

Was tun bei einem gefährdeten Lehrverhältnis?

Die drohende Auflösung eines Lehrvertrags ist für Lernende immer eine unangenehme Erfahrung. Bei schwierigen Situationen im Lehrbetrieb empfiehlt das Berufs- bildungsamt des Kantons Zürich folgende Schritte:

  • Besprich die Situation mit einer Drittperson (Eltern, Kollege/in, Geschwister, Mitarbeiter/in, Lehrer/in etc.).
  • Such das Gespräch im Lehrbetrieb. Wenn du noch nicht 18 Jahre alt bist, zusammen mit deinen Eltern oder einem Elternteil.
  • Teile der Berufsbildnerin oder dem Berufsbildner oder der oder dem Vorgesetzten mit, wie es dir geht.
  • Falls das Gespräch im Lehrbetrieb nicht zu einer Verbesserung führt, melde dich beim zuständigen Berufsinspektorat deines Kantons. Auf Wunsch kann über dieses ein Gespräch mit allen Beteiligten vereinbart werden.
  • Wichtig: Eine Lehrvertragsauflösung muss immer schriftlich erfolgen sowie Grund und Auflösungstermin enthalten. Bei unter 18-Jährigen muss zudem die gesetzliche Vertretung unterzeichnen.
  • Eine Liste der kantonalen Berufsbildungsämter findest du unter: www.adressen.sdbb.ch

Sven Bürki

Veröffentlichung: 02. März 2023 / Ausgabe 9/2023

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