Wenn Schreiner Strom machen

Neun Meter klein, aber gross in der Gestalt, nicht nur wegen der Rotorblätter aus Holz: «Hercules» schaltet erst bei einer Windgeschwindigkeit von 28 m/s ab. Bilder: Enessere

Kleinwindanlagen.  Energie ist immer ein politisches Thema, auch bei der Windenergie. Bei den kleinen Windenergieanlagen für die gewerbliche und private Stromerzeugung könnte man dem Design mehr Aufmerksamkeit schenken. Das würde die Akzeptanz für die Technik erhöhen.

Die einen sind entschiedene Gegner, die anderen glühende Befürworter. «Sie verschandeln die Landschaft», meinen die einen. «Sie erzeugen saubere Energie», sagen die anderen. Windenergie ist umstritten. Vor allem, wenn es um grosse Anlagen geht, um Windparks und ihre Standorte. Bei kleinen Windrädern stellt sich die Sache etwas anders dar. Zugegeben, auch hier geht es um Überzeugungstäter, aber das ganze Thema geniesst von vielen Seiten doch mehr Sympathie. Es ist eben etwas anderes, ob der Nachbar auf seinem Grundstück mit einem kleinen Windrädchen eigenen Strom produziert oder ob ein Windkraftwerk in Sichtweite geplant wird.

An der Ästhetik arbeiten

Die Akzeptanz für eine Windenergieanlage hängt oft davon ab, ob Menschen in der täglichen Wahrnehmung ihrer Umgebung durch die Anlage gestört werden könnten. Neben möglichen Lärmemissionen ist dabei auch die Ästhetik der Technik ein wichtiger Punkt. Und das gilt auch für kleine Anlagen. Dies sieht auch Alberto Tessaro so, junger Unternehmer aus Vicenza (I), der sich vor einigen Jahren aufmachte, ein gut gestaltetes Windrad zu entwerfen, und damit das Unternehmen Enessere gründete. Heraus kam «Hercules», dessen Design der Regel des goldenen Schnittes folgt und eine besondere Form aufweist. «Das Mass der Dinge war ein schönes Design, da kam das horizontalachsige Aussehen herkömmlicher Windkraftanlagen nicht in Frage. Vertikalachsige Windturbinen sind ästhetisch deutlich ansprechender», weiss Oliver Glemser, zuständig für die internationale Geschäftsentwicklung bei Enessere.

Gut in Form

Die Rotorform von «Hercules» ist keine Erfindung von Enessere, sondern wurde bereits 1931 patentiert und vom russischen Professor Alexander M. Gorlov weiterentwickelt. Der Gorlov-Form, die ursprünglich für Wasser konzipiert wurde, kommt der Enessere-Windturbine am nächsten. «Die endgültige Form entstand dann durch Windsimulationen in Zusammenarbeit mit der Universität von Padua», erklärt Glemser. Überhaupt finden sich in der Fachliteratur unzählige Rotorformen und auch Prototypen für Windräder, die im Lauf der Zeit von findigen Tüftlern entworfen wurden. Die meisten davon verschwanden mangels Interesse wieder.

«Hercules» soll es nicht so ergehen. Das Windrad ist 9 Meter hoch, mit 38 dB deutlich leiser als ein moderner Geschirrspüler, leistet bis zu 3500 Watt pro Stunde und soll damit den Bedarf eines Einfamilienhauses decken können. Mit dem Masten aus Edelstahl, Titan-Teilen und den mit Karbonfasern verstärkten, laminierten Flügeln aus dem leichten und widerstandsfähigen Holz der amerikanischen Zeder ist die Materialisierung hochwertig. Die vertikal drehende Rotoranlage selbst ist 376 cm hoch und hat 169,5 cm im Durchmesser. Die Anlage bremst selbstständig bei zu viel Wind und kann auf Wunsch auch bei Windstille ganz sachte in Bewegung bleiben. Die Ästhetik ist dem Erfinder wichtig.

Bevor das erste Windrad bei einer italienischen Luxusartikelfirma nahe Venedig aufgestellt wurde, testete Alberto Tessaro zwei Jahre lang auf dem eigenen Firmengelände. Die Einsatzorte sieht man bei Enessere auch für private Haushalte, Hotels, Stadtparks und natürlich solche Unternehmen, die ein entsprechendes Image nach aussen verkörpern möchten. Die gesamte Technik samt Aufbau kommt umgerechnet auf etwa 90 000 Franken, weshalb die Frage nach der Amortisation und der Wirtschaftlichkeit für eine solche Investition doch eher im Hintergrund steht.

Typen mit Charakterunterschieden

Windgeneratoren werden nicht nur nach ihrer Nennleistung, sondern auch nach den Grundprinzipien ihres Aufbaus, nach unterschiedlichen Bauformen, der Anordnung und Anzahl ihrer Propeller sowie der verwendeten Rotorentypen differenziert. Den häufigsten Fall stellt die horizontale Platzierung der Rotorachse dar. Das gewohnte Bild von Windanlagen kommt praktisch bei allen grossen Anlagen zum Einsatz. Die Turbine muss dabei beweglich sein, um sich in den Wind stellen zu können. Dafür muss die Stromübertragung so konstruiert sein, dass sich die Turbine um die eigene Achse drehen kann, ohne das Kabel dabei zu verdrehen. Demgegenüber weisen Ver-tikalachs-Windräder Vorteile auf, denn der Wind wird aus allen Richtungen aufgenommen, ohne dass eine Windnachführung benötigt wird. Auch starke Windböen können mit dieser Technik besser bewältigt und genutzt werden.

Als neuartige Bauart gibt es auch vertikale Kleinwindanlagen mit starrer Innenachse und nahezu lautloser Durchströmbauweise, die den Wind aus jeder Windrichtung einfangen und ohne Getriebe praktisch geräuschlos arbeiten. Diese sollen die Akzeptanz gerade in Wohngebieten erhöhen. Bislang finden sich eher Beispiele für Windräder auf gewerblichem Grund und auf Gebäuden.

Spektakel auf dem Landi-Dach

Auch die Aventa AG in Winterthur ZH setzt für die Kleinwindräder auf die bewährte Horizontalbauweise der Rotoreinheit. Auf dem Dach eines Landi-Silos hat man die bislang wohl spektakulärste Anlage errichtet. «Die Kosten für eine AV-7 liegen schlüsselfertig bei etwa bei 95 000 Franken», erklärt Ueli Spalinger von Aventa.

Ebenfalls auf einem Dach eines Spänesilos hat die Envergate Energy AG aus dem thurgauischen Horn erst dieses Frühjahr eine Windanlage vom Typ «Quinta 20» installiert. «Die vertikal drehende Anlage wurde bei der grösseren Schreinerei in der Innerschweiz zu Versuchs- und Demonstrationszwecken installiert. Dies obwohl die Windverhältnisse vor Ort mit etwa 1,5 m/s als äusserst schwach einzustufen sind», erklärt Dario Buzziol, Head of Sales & Marketing bei Envergate. Die Anlage selbst misst samt Unterkonstruktion 14 Meter Höhe und steht auf einem Betonsilo mit 17 Meter Höhe, insgesamt also rund 31 Meter über Grund. Solche Kleinwindanlagen können sowohl netzgebunden arbeiten, also mit Einspeisung ins Stromnetz, oder Speichermedien vor Ort bedienen. Eine Anspassung der Spannung ist mittels Wandlertechnik ohne grösseren Aufwand möglich.

Energie ist immer politisch

Weltweit gesehen, gewinnen Kleinwindanlagen stark an Bedeutung hinsichtlich ihrer Anzahl, weniger wegen ihrer Leistung. Neben der Versorgung von Gebäuden in netzfernen Gebieten, etwa Ferienhäuser oder spezielle technische Einrichtungen, sind solche Anlagen vor allem ein sichtbares Zeichen für eine nachhaltige Energieversorgung bei Firmen und Privatpersonen. Zur «offiziellen» Potenzialberechnung von netzgekoppelten Kleinwindanlagen bei Wohngebäuden wird von Gebäuden ausgegangen, welche eine Landfläche von mindestens 2000 m2 besitzen und in Gebieten mit einer mittleren Windgeschwindigkeit von mindestens 5,6 m/s auf 50 Meter über Grund liegen. Ob ein Standort geeignet ist oder nicht, lässt sich mit-hilfe des Windatlasses der Schweiz einschätzen. Im Mai 2016 präsentiert, «gibt dieser Auskunft über die Windrichtung und -stärke an jedem Ort der Schweiz und dies mit einer Auflösung von 100 × 100 Metern auf fünf Höhenstufen über Grund», erklärt Marianne Zünd, Leiterin Medien und Politik beim Bundesamt für Energie (BFE). Finanziell gefördert werden Kleinwindanlagen in der Schweiz in der Regel nicht. Denn nach den Empfehlungen des Bundes sind «Windenergieanlagen an geeigneten Standorten zu konzentrieren». Grossanlagen werden demnach bevorzugt. In einem Positionspapier des BFE heisst es weiter: «Erschwerend für den Einsatz von Kleinwindanlagen wirkt sich in der Schweiz aus, dass die Siedlungsgebiete tendenziell über schlechte Windverhältnisse verfügen und in der Regel dicht genutzt sind. Gut bewindete Standorte, welche für die Nutzung der Windenergie unabhängig von der Anlagengrösse Voraussetzung sind, befinden sich in der Schweiz vor allem in den Höhenlagen von Jura, Voralpen und Alpen. Unterhalb von 800 m  ü. M. sind nur wenig geeignete Standorte vorhanden. Entsprechend weisen die Siedlungsgebiete in der Schweiz mit wenigen Ausnahmen sehr schlechte Windverhältnisse auf.» Die gemäss Raumplanungsgesetz angestrebte dichte Nutzung des Siedlungsgebietes stelle zudem hohe Anforderungen betreffend Geräuschbildung und Erscheinungsbild, was die Verbreitung von Kleinwindanlagen innerhalb des Siedlungsgebietes zusätzlich behindere.

Mehr Wind als angenommen

Andererseits weist der Interessenverband Suisse Eole nach der Veröffentlichung des neuen Windatlasses für die Schweiz darauf hin, dass das Windaufkommen besser sei als bis dato angenommen. «Die umfangreichen Windsimulationen ergeben insbesondere im Mittelland und in der Nordostschweiz deutlich höhere Windgeschwindigkeiten als bisher ausgewiesen», erklärt Reto Rigassi, Geschäftsführer von Suisse Eole. Allerdings weist der Windatlas nur Daten bis 50 Meter über Grund aus. Eine Höhe, die Kleinwindanlagen nicht erreichen. Als sinnvolle Daumengrösse kann man für Kleinwindanlagen von einer mittleren Windgeschwindigkeit von 4,5 m/s ausgehen. Es gilt: Jeder Meter an Höhe erzeugt ein Prozent mehr Ausbeute.

Auch wenn es bei Kleinwindanlagen oftmals weniger um die Wirtschaftlichkeit der Investition geht, sind für die Planung einer kleinen Anlage aussagekräftige Windmessungen unerlässlich. Geräte dafür kann man mieten oder werden in «freudiger Erwartung» von den Herstellern der Windanlagen zur Verfügung gestellt.

www.enessere.comwww.aventa.chwww.envergate.comwww.wind-data.chwww.windatlas.chwww.suisse-eole.chwww.maurelma.chwww.swisswinds.com

ch

Veröffentlichung: 22. Dezember 2016 / Ausgabe 51-52/2016

Artikel zum Thema

16. Mai 2024

Mit optimalen Mitteln produzieren

Betriebsmittel.  Das grösste Kapital einer jeden Firma sind die Mitarbeitenden und die Betriebsmittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Der eigenverantwortliche und umsichtige Umgang mit diesen Mitteln bedarf auch einer guten Koordination seitens der Leitung.

mehr
16. Mai 2024

Gezogen, nicht gedrückt

Zwischenlager.  Chronischer Platzmangel in der Werkstatt hat seinen Ursprung nicht immer in zu kleinen Räumen. Oftmals wird der vorhandene Platz einfach nicht optimal genutzt. Deshalb kann es sich lohnen, einen genauen Blick auf den Materialfluss zu legen.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Betriebseinrichtungen