Zum Abschluss gab es viele Freudentränen

Leann Gantenbein verlegt den Teppichboden. Bild: PD

Aus einer alten Scheune in Litauen wurde ein Haus der Hoffnung für schutzbedürftige Frauen und Kinder. Vier Lernende der Fust AG in Wil SG haben zwei Wochen bei einem Hilfsprojekt mitgearbeitet. Es warteten einige Überraschungen.

Gelandet sind sie irgendwo im Nirgendwo. In Gerkonys im Norden von Litauen, rund eineinhalb Stunden von der Hauptstadt Vilnius entfernt. Und zwar nicht für Ferien, sondern für ein Hilfsprojekt. Die beiden Schreinerlernenden Yves Schnetzer (26 Jahre) und Manuel Gort (18) sowie Leann Gantenbein (18) und Jana Besmer (19), zwei Zeichnerinnen Innenausbau in Ausbildung, packten kräftig mit an. Ihr Lehrbetrieb, die Fust AG in Wil SG, war ursprünglich angefragt worden, ein Badmöbel für einen guten Zweck zu sponsern. Am Schluss wurde daraus ein Arbeitseinsatz von zwei Wochen von vier Lernenden. «Es ging darum, eine Scheune zu einem Reintegrations-Center auszubauen. Im Dachstock sollten zehn Zimmer und ein Bad entstehen. Darin sollen Frauen und Kinder, die unterstützungs- und schutzbedürftig sind, ein Zuhause finden», erzählt Schnetzer. Denn in Litauen sei die Sozialhilfe im Vergleich zur Schweiz deutlich weniger gut ausgebaut, wie sie festgestellt hätten. «Das hat mich überrascht, denn Litauen gehört ja zur EU.» Die vier haben sich freiwillig für den Einsatz gemeldet und konnten diesen Ende Juli/Anfang August als Arbeitszeit leisten. «Das fand ich vom Betrieb grosszügig», sagt Schnetzer.

Eine bunt durchmischte Truppe

Geleitet, organisiert und finanziert wurde das Projekt vom Verein Hilfswerk Human Construct aus Wil. Eine Gruppe von 27 Personen reiste aus der Schweiz nach Litauen. Davon waren 9 Lernende. «Die meisten anderen waren Pensionierte und kamen aus allen verschiedenen Berufsgattungen. Wir waren eine gut durchmischte Truppe», berichtet Jana Besmer. Das Material war zuvor aus der Schweiz ins Land im Baltikum transportiert worden. «Als wir ankamen, waren das Dach und die Innentreppe der Scheune noch nicht fertiggestellt. Das war so nicht geplant», erzählt Manuel Gort. Sie hätten deswegen bei allen nötigen Arbeitsschritten geholfen. Zum Beispiel beim Stellen der Gipsleichtbauwände oder beim Dämmen des Daches.

Auch die zwei jungen Frauen packten mit an. «Als Zeichnerinnen absolvieren wir pro Lehrjahr jeweils zwei Wochen lang ein Schreinerpraktikum im Betrieb oder auf Montage, um die Praxis kennenzulernen», sagt Leann Gantenbein. «Handwerkliche Arbeit war mir zwar nicht fremd, aber es ist schon etwas anderes, den ganzen Tag auf der Baustelle zu sein, als im Büro zu arbeiten.» Es hätte ihr jedoch Spass gemacht. Die Arbeitstage waren eher lang, meistens haben alle über neun Stunden angepackt. «Bis das Nachtessen halt fertig war», sagt Jana Besmer.

Wie an einem Festival

Die Unterbringung stellte für die Lernenden ebenfalls eine Überraschung dar. «Die Männer haben in Zelten geschlafen. Für die vier Frauen im Helferteam gab es behelfsmässig eingerichtete Zimmer in der Scheune», erzählt Yves Schnetzer. «Das Wetter war leider nicht immer schön, und es kam mir wegen des Schlamms vor wie auf einem Festival. Zudem war es in der Nacht jeweils kühl. Wir hatten für Sommerwetter gepackt und mussten uns halt etwas arrangieren.» Litauerinnen, die schon im «Haus der Hoffnung» leben, haben für die Helfenden gekocht. «Für so viele Leute machten sie das draussen auf dem Feuer. Meistens gab es Suppe oder Eintopf. Was das Land und der Garten halt so hergeben. Der nächste Laden war einige Kilometer weit weg», berichtet Manuel Gort. «Ich fand das aber passend, und geschmeckt hat es auch.»

Die Verständigung mit den Einheimischen sei nicht einfach gewesen, da diese kaum Englisch sprechen. «In der Helfergruppe hatten wir aber eine gute Dynamik. Wir sind abends oft noch zusammen gesessen und haben Gespräche geführt», erzählt Jana Besmer. Die Jüngeren hätten sich auch in einen Bus verziehen können, um dort etwas Party zu machen. «Wir waren halt wirklich auf dem Land draussen. Da gab es in der Nähe keine Beiz, wo wir hinkonnten. Aber es ging ja hauptsächlich um die Arbeit. Das wussten wir von Beginn weg», meint Schnetzer.

Bundesfeier in nahem Hotel

Den 1. August haben die Helferinnen und Helfer dennoch gefeiert. «Ein aus der Schweiz ausgewandertes Ehepaar, das sich für das Frauenhaus engagiert, hat in der Nähe ein Hotel eröffnet. Dort wurde für uns eine kleine Bundesfeier organisiert. Das war sehr schön, und ich habe das genossen. Das Ambiente war edel und das Essen fein», sagt Leann Gantenbein. Und nur ums Arbeiten ging es dann doch nicht. Am Wochenende hätten einige einen Ausflug nach Vilnius und zwei andere grössere Ortschaften gemacht. «Das war super. Wenn man eine Woche auf einem Bauernhof verbringt und es nicht gewohnt ist, freut man sich sehr, wieder in die Stadt mit all ihren Annehmlichkeiten zu kommen», ergänzt Jana Besmer.

Überrascht waren die vier, dass am letzten Abend tatsächlich alle Arbeiten erledigt und die Zimmer bezugsbereit waren. «Das hätte ich zuerst nicht gedacht. Es war super, dass der Projektleiter des Vereins jederzeit alles im Griff hatte. Denn es herrschte schon ein kleines Chaos auf so engem Raum», sagt Schnetzer. Bevor die beiden angehenden Schreiner mit dem Innenausbau loslegten, hat Manuel Gort zum Beispiel geholfen, die Aussentreppe aufzubauen. «Wir hatten zum Glück einen pensionierten Zimmermann dabei. Er hatte viele Tricks auf Lager und wusste immer, was zu tun war.» Es sei spannend gewesen, einmal Arbeiten zu erledigen, die sonst andere Handwerker auf dem Bau ausführen. Zum Beispiel die des Sanitärs. «Das hat uns auch etwas die Augen geöffnet, und wir haben nun mehr Verständnis für die anderen», fügt Yves Schnetzer an. Auch den beiden Zeichnerinnen hat der Einsatz gefallen. «So haben wir die Theorie in der Praxis erlebt. Das ist super», sagt Jana Besmer.

Die Frauen sind sehr dankbar

«Besonders waren für uns die Reaktionen der Bewohnerinnen», erzählt Leann Gantenbein. «Sie konnten es kaum fassen, dass sie so schöne Zimmer und ein tolles Bad erhalten. Die einen hatten Tränen in den Augen und waren uns extrem dankbar. Das hat mich berührt.» Die anderen stimmen ihr zu. «Bei solchen Reaktionen und dieser Dankbarkeit schläft man auch mal zwei Wochen im unbequemen Zelt», sagt Schnetzer. Die Lernenden ziehen ein positives Fazit. «Der Einsatz war für mich sehr spannend und wertvoll», sagt Gantenbein. Ihn habe das Erlebte persönlich weitergebracht, und man schätze viel mehr, was man zu Hause habe, ergänzt Manuel Gort. So einen Hilfseinsatz würden sie Gleichaltrigen weiterempfehlen. Es erweitere den Horizont und zeige einem auch auf, wie gut man in der Schweiz lebt.

Für die vier waren die zwei Wochen in Litauen zudem ein gelungener Einstieg ins vierte und letzte Lehrjahr. «Es ist schon krass, wie schnell die Lehrjahre vorbeigehen. Nun stehen für uns einige Herausforderungen wie die Projekt- und Vertiefungsarbeit an», sagt Leann Gantenbein. Vielleicht lasse sie das Erlebte irgendwie einfliessen. Bei den zwei angehenden Schreinern geht das nicht. «Als IPA führen wir jeweils einen Kundenauftrag aus. Gedanken habe ich mir allerdings noch keine gemacht. Im November wird jeweils geschaut, was sich anbietet», sagt Yves Schnetzer. «Ich freue mich darauf, das wird sicher ein gutes, aber anstrengendes Jahr», fügt Manuel Gort hinzu.

Nicole DʼOrazio

www.fustwil.chwww.vhhc.chwww.lovelietuva.net

 

Veröffentlichung: 02. November 2023 / Ausgabe 44/2023

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