Anflug von Schuld

Viele Fliegen mit einer Klappe: Der «Smaragd» im Park des Rietberg-Museums in Zürich ist für Vögel ungefährlich und gleichzeitig ein architektonischer Blickfang. Bild: Christian Härtel

Vogelschutzgläser.  Unzählige Vögel verenden an Glasflächen, weil die Tiere diese nicht als Hindernis erkennen können. Aber es gibt Möglichkeiten, dies zu verhindern. Neben speziellen Vogelschutzgläsern hilft auch eine umsichtige Detailplanung gegen das Massensterben.

Erst kürzlich hat Hans Schmid die Liste der durch Vogelschlag getöten Arten um einen prominenten Vertreter erweitern müssen: den Steinadler. Inzwischen hat der Experte von der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach insgesamt 129 verschiedene Vogelarten notiert. Vom Auerhahn bis zum Zaunkönig reicht die Liste bunt durch die gesamte Vogelwelt hindurch. Der Grund: Vögel können Glasflächen nicht ohne Weiteres als Hindernis erkennen. Manche Arten wie die Spechte, den Eisvogel oder das Goldhähnchen trifft es häufiger, aber Schmids Liste zeigt, dass es kaum Arten gibt, die nicht gefährdet sind. Zwar sind Vögel durch die seitliche Anordnung der Augen mit einem «Weitwinkel- bis Rundumblick» ausgestattet, können rund 180 Bilder pro Sekunde auflösen (das menschliche Auge schafft gerade 20 Bilder pro Sekunde), sie können Grüntöne fein erkennen und mittels eines vierten Farbkanals auch im UV-A-Bereich sehen.

Wie aber die optischen Reize im Gehirn eines Vogels genau verarbeitet werden, weiss man bis heute nicht wirklich. Klar ist aber: Das stereoskopische Sehen, sprich die räum- liche Wahrnehmungsfähigkeit von Vogelaugen, ist deutlich begrenzter als beim menschlichen Auge. Eine todbringende Eigenschaft für die gefiederten Tiere, gerade in Landschaften mit grossflächig verglasten Gebäuden. «Wie viele Vögel es genau sind, weiss man nicht. Aber in den USA hat man umfassende Untersuchungen angestrengt und man kann deshalb die Zahlen für die Schweiz hochrechnen. Daraus ergeben sich jährlich Millionen von Vogelopfern durch Fenster und Fassaden aus Glas», erklärt Schmid.

Was Vögel täuscht

Gefahr für Vögel an Glasflächen entsteht durch drei Phänomene, auf die man durch Architektur und Planung Einfluss hat.

  • Durchsicht: Vögel schauen durch Glasflächen hindurch und sehen darin kein Hindernis. Je grösser und transparenter die Glasfläche ist, desto höher das Risiko für die Tiere.
  • Spiegelung: Abhängig vom Scheibentyp, von der Beleuchtung im Gebäudeinneren und der Umgebung (Vegetation, insbesondere grosse Bäume), spiegelt sich an der Glasoberfläche die umgebende Landschaft. Der Vogel denkt, vor ihm liege eine attraktive Landschaft – mit fatalen Folgen. Das gleiche gilt natürlich auch für Spiegelflächen im Aussenbereich.
  • Licht: Irrleitungen, insbesondere von Zugvögeln, durch künstliche Lichtquellen etwa in abendlich beleuchteten Hochhäusern sorgen für Desorientierung und Kollisionen. Je höher die Gebäude, desto grösser die Gefahr.

Erfolge ohne Durchbruch

«Nach wie vor gibt es viele Architekten, die noch nie von dem Thema gehört haben. Auf der anderen Seite gibt es inzwischen Fassadenbauer, für die es schon zur Routine geworden ist, den Vogelschutz bei der Planung von Glasfassaden mit einzubeziehen», beschreibt Schmid die derzeitige Situation in der Schweiz. Das gilt etwa für grosse Bauten wie das Roche-Hochhaus in Basel, wo man den Vogelschutz berücksichtigt hat. Manchmal komme die Kontaktaufnahme zu den Vogelexperten jedoch auch zu spät. Und: Manchmal bleibt diese ganz aus, doch das Gebäude zeigt sich unter Umständen im Ergebnis als nicht besonders problematisch für Vögel.

So etwa der Prime Tower in Zürich. Dort waren die Experten nicht mit einbezogen worden. Aufgrund der recht urbanen, wenig begrünten Umgebung und der eher gering spiegelnden Fassade gibt es zwar einzelne Unfälle. Von einer regelrechten Vogelfalle könne jedoch nicht gesprochen werden. «Stünde der Prime Tower inmitten eines Parks, würde es wohl anders aussehen», so Hans Schmid.

Mode als Falle

Aber nicht nur Hochhäuser mit grossflächigen Glasfassaden werden Vögeln zum Verhängnis. Auch Fenster und Verglasungen im Privatbereich sind oft tödlich. Vor allem wenn man die derzeitige Mode in der Architektur genauer betrachtet. Neben grossformatigen Glaselementen, insbesondere über Eck, sind es zum Beispiel glasklare Balkonbrüstungen (ebenfalls oft über Eck), die für Unverständnis bei den Vogelschützern sorgen, weil sie eine besondere Gefahrenquelle darstellen. Aber auch im Bestand und bei Altbauten kommt es immer wieder zum Anflug auf Glasflächen durch Vögel. Vor allem dann, wenn sich parkartige Landschaften, sprich naturnah gestalteter Raum um das Gebäude herum befindet. Dann spiegelt sich das üppige Grün in den Glasflächen wider – und für einen Vogel reicht bereits eine handgrosse Fläche aus, die er dann unter Umständen irrtümlicherweise als Durchflugschneise wahrnimmt.

Aufkleber bringen nichts

Dies ist auch der Grund, warum die seit den 70er-Jahren eingesetzten Aufkleber in Form von Raubvögelsilhouetten kaum oder gar keine Wirkung zeigen. «Man müsste schon die Scheibe mit Aufklebern zupflastern, damit dies funktioniert», weiss Schmid. Tests haben klar bewiesen: Hier und da ein Aufkleber hilft kaum einem Vogel. Ein weiterer populärer Irrtum handelt vom Schicksal derjenigen Vögel, die gegen eine Scheibe schlagen, danach aber verschwinden. «Aufgrund des Leichtbaus der Vögel verenden diese meist an einem anderen Ort», erklärt Schmid. Kollidiert ein Vogel mit einer Glasfläche, ist sein Schicksal also meist besiegelt.

Was Vögeln hilft

Seitens der Glashändler ist das Problem bekannt. Auch stehen Vogelschützer und Glasproduzenten im Austausch miteinander. Letzlich herrschen aber unterschiedliche Interessen, sonst wäre das Thema populärer platziert. Immerhin vier Glashersteller im deutschsprachigen Raum liefern Produkte, die postitiv auf eine Vermeidung des Vogelschlages hin gestestet wurden. So vertreibt etwa die Schweizer Glas Trösch AG Gläser unter dem Markennamen «Silverstar Birdprotect», bei dem ein Punkteraster auf der Scheibe für den für Vögel sichtbaren Schutz sorgt.

Das deutsche Unternehmen Arnold Glas bietet «Ornilux» an und die Firma Eckelt aus Österreich verschiedene Produkte unter den Bezeichnungen «4Bird» und «Seralit Litex». Hilfreich dabei ist, dass es nicht mehrere Normen gibt, sondern dass sich die Hersteller an das österreichische Regelwerk «Vogelschutzglas, Prüfung der Wirksamkeit» (ONR 191040) halten. Dadurch werden die Ergebnisse aus ein und demselben Flugtunnel miteinander vergleichbar. Dabei werden die Vögel in einen Flugkanal geschickt, an dessen Ende die zu prüfende Scheibe installiert ist. Damit es nicht zum Aufprall kommt, ist vor den Scheiben ein engmaschiges Netz gespannt. Die Vögel nehmen dabei also keinen Schaden. Der Tunnel ist drehbar gelagert, um auf verschiedene natürliche und künstliche Lichtsituationen hin testen zu können. Was allerdings bei dem Versuchsaufbau nicht so einfach herausgefunden werden kann, ist die Reaktion der Tiere auf Spiegelungen eines Produktes. Die Vogelwarte Sempach berichtet aber von Versuchen unter Berücksichtigung dieses Effektes.

Gesunder Menschenverstand hilft

Erste Ergebnisse zeigen aber, dass Spiegelungen an der Oberfläche die sonst wirksamen Markierungen generell reduzieren, egal ob diese vor oder hinter den Scheiben aufgebracht sind. Da die drei Komponenten Durchsicht, Spiegelung und Licht in einer bestimmten Situation zusammenwirken, haben sich farbige Gläser allein nicht als geeigneter Schutz erwiesen. Gläser mit beschränkter Durchsicht und reduzierter Spiegelung weisen also generell bessere Eigenschaften auf, egal ob Farbe mit im Spiel ist oder nicht.

«Man kann auch mit herkömmlichen Produkten, die nicht eigens für den Vogelschutz konzipiert wurden, Massnahmen finden, die wirkungsvoll sind», weiss Hans Schmid. Etwa indem man andere Effekte mit dem eines Vogelschutzes kombiniert. Dazu gehört die Verschattung an Glasflächen. Jalousien etwa schützen das Gebäude im Sommer vor Überhitzung und die Vögel vor Unfällen. Bei grossflächigen Fassaden sollten diese allerdings am Abend heruntergelassen werden, um diesbezüglich einen Effekt zu erzielen.

Auch das Bedrucken oder das Aufbringen von Folien kann den Tieren helfen. Dies lässt sich auch mit einer Werbemassnahme kombinieren. Verglaste Wartehäuschen an Haltestellen oder Fassaden von Firmen- und öffentlichen Gebäuden machen es manchmal vor. Solche Massnahmen generieren den Vogelschutzeffekt gewissermassen nebenbei. Denn natürlich geht es bei der Umsetzung auch immer um die Mehrkosten für solche Massnahmen. Verbindliche Angaben dazu gibt es kaum, schliesslich käme es immer auf das Projekt und die Fläche an. Aber ein schätzungsweise um 15 bis 20 % höherer Preis für den Vogelschutz hält Schmid für realistisch.

Prima also, wenn sich weitere Effekte damit bewerkstelligen lassen. Kaum ein Bauherr, Planer oder Architekt würde eine Aussenverschattung oder einen grossflächigen Druck nur wegen der befiederten Freudenbringer kalkulieren. Im Gegenteil: Praktischer Nutzen steht dem manchmal auch ziemlich im Wege. Stark spiegelnde Sonnenschutzgläser etwa. In praktischen Versuchen, diese auf der äussersten Schicht mit von aussen gesehen schummrigen Streifen zu versehen, lieferten vielversprechende Ergebnisse. Verbindliche Testergebnisse im Flugtunnel stehen dazu allerdings noch aus.

Die Experten helfen

Die Öffentlichkeitsarbeit von Institutionen wie der Schweizerischen Vogelwarte zeigt inzwischen Wirkung. «Zum Teil sind kommunale Baubehörden offen für das Thema. Dann können wir bei Bauprojekten mitwirken, um entscheidende Fehler zu verhindern», sagt Schmid. Auch beim Label Minergie Eco ist der Vogelschutz mit an Bord.

Die Vogelwarte berät und unterstützt aber auch Fensterbauer, Planer und Architekten bei der Umsetzung entsprechender Massnahmen. Visualisierungen und Pläne zum Bauvorhaben reichen den Experten oft schon, damit böse Überraschungen verhindert werden können.

www.vogelwarte.chwww.glastroesch.chwww.arnold-glas.dewww.eckelt.at

ch

 

Merkblatt «Vogelschutz»

Dokumentation «Vogelfreundliches Bauen»

Prüfbericht Vogelschutzgläser

Broschüre «Birdprotect»

Veröffentlichung: 16. Juni 2016 / Ausgabe 24/2016

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