Angeheizt durch die Fabrikgesetze

Ein Aushub von Hand 1910 in Zürich. Bei Unfall oder Krankheit waren die Arbeiter beschränkt geschützt. Bild: Baugeschichtliches Archiv Zürich

SuVA.  Gestern starteten in Bern die Feierlichkeiten zu 100 Jahren Suva. Ein Grund, auf die Ursprünge der Unfallversicherungsanstalt zu blicken. Die obligatorische Versicherung hat sich bewährt, das Auf und Ab um Prämien und Leistungen dauert jedoch seit der Gründung 1918 an.

Bilder von düsteren Fabriken mit dampfgetriebenen und rauchenden Maschinen werden beim Gedanken an die Zeit vor 100 Jahren wachgerufen. Weitgehend schutzlos waren Arbeiterinnen und Arbeiter den Gefahren der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts ausgesetzt.

Die 1877 nach einer stark umkämpften Referendumsabstimmung eingeführten Fabrikgesetze vermochten das Problem nicht zu lösen. Zwar wurden den Fabrikanten erstmals Vorschriften zur Arbeitssicherheit auferlegt, doch die Unternehmerhaftpflicht bei Unfällen und Berufskrankheiten erwies sich als wenig wirksam. Die Leistungen waren auf maximal 6000 Franken begrenzt und bei Mitverschulden oder gar Selbstverschulden gingen die verunfallten Arbeitnehmenden leer aus. Angeheizt durch immer grösser werdende soziale Spannungen wurde der Ruf nach einer obligatorischen Unfallversicherung laut.

Ludwig Forrer, Nationalrat und späterer Bundesrat, erkannte die Mängel des Haftpflichtsystems. Statt Linderung brachte es zunehmend Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden.

Steiniger Weg bis zum Gesetz

1890 wurde ein entsprechender Verfassungsartikel zur Schaffung einer Kranken- und Unfallversicherung vom Volk angenommen. Der erste Gesetzesentwurf scheiterte jedoch im Jahr 1900 an der Urne. Erst 1912 gelang mit der Annahme des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes der Durchbruch. Es sah die Subventionierung der Krankenkassen durch den Bund sowie die Einführung der obligatorischen Unfallversicherung für einen namhaften Teil der Arbeitnehmenden vor. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gründung der Suva waren gelegt. Luzern wurde Sitz der Versicherungsanstalt und gleichzeitig des Versicherungsgerichts.

Kriegsjahre verzögern die Eröffnung

1912 wurde der Ständerat Paul Usteri im Luzerner Grossratssaal feierlich zum ersten Verwaltungsratspräsidenten gewählt. Doch noch hatte die Suva keine eigenen Räumlichkeiten. Alfred Tzaut, bisheriger Präsident der Assurance Mutuelle Vaudoise aus Lausanne, nahm seine Arbeit im April 1913 als erster Direktor der Unfallversicherung auf. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 verzögerten sich jedoch die Aufbauarbeiten der Versicherungsanstalt. Der Bau des Suva-Hauptsitzes begann 1914. Nach der Fertigstellung Ende 1915 wurde ein Teil des Gebäudes als Spital für verletzte Kriegsgefangene umgenutzt. Am 1. April 1918 war es dann so weit: Die Suva konnte ihren Betrieb mit über 30 000 versicherungspflichtigen und in Gefahrenklassen eingeteilten Betrieben aufnehmen.

Für gefährliche Berufe

Die Suva war für die Versicherung der Arbeiterinnen und Arbeiter in gefährlichen Berufen zuständig. Dazu zählten Industriebetriebe, Verkehrs- und Transportunternehmen, das Bauhaupt- und Baunebengewerbe sowie eine Reihe von Gewerbebetrieben mit erhöhten Gefahren. Für diese Branchen erhielt die Suva das Monopol. Andere Personen, vorwiegend aus der Landwirtschaft, konnten sich freiwillig der neuen Versicherung unterstellen.

1920 zählten etwa die Hälfte aller Betriebe oder rund 61 Prozent der Beschäftigten zum Versichertenkreis der Suva.

Der Erste Weltkrieg und der darauffolgende Generalstreik von 1918 stellten nicht gerade ideale Startbedingungen für die noch junge Unfallversicherung dar. Den einen waren die Prämien zu hoch, den anderen die Leistungen zu niedrig.

Der wirtschaftliche Aufschwung ab 1923 verbesserte die allgemeine Lage, doch mit der Wirtschaftskrise der 30er-Jahre wurden wieder kritische Stimmen laut. Eine vom Bund eingesetzte Expertenkommission setzte der Kritik ein Ende, indem sie der Suva gute Geschäftsführung attestierte.

Unfallverhütung gewinnt an Bedeutung

Die Suva war von Anfang an als selbstständiges Unternehmen, losgelöst von der Bundesverwaltung, konzipiert. Die Gründerväter wollten damit erreichen, dass die Suva ihren gesetzlichen Auftrag möglichst unabhängig und nach unternehmerischen Grundsätzen erfüllen konnte.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, getrieben durch den technischen und den medizinischen Fortschritt, nahm die Bedeutung der Unfallverhütung durch präventive Massnahmen und die Rehabilitation der Verunfallten stark an Bedeutung zu. Die Suva stellte sich diesen Herausforderungen und übernahm weitgehend die Führerschaft auf diesen Gebieten. Dies führte 1974 zur Eröffnung der ersten Rehabilitationsklinik im aargauischen Bellikon, wo Menschen nach Unfall oder Krankheit durch spezialisierte Teams stationär oder ambulant behandelt werden konnten, mit dem Ziel, eine möglichst rasche und gute Wiedereingliederung zu ermöglichen. 1999 folgte die Eröffnung der Clinique romande de réadaptation (CRR) in Sion.

Versicherung wird obligatorisch

1984 führte die Verabschiedung des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes zu einem grundlegenden Systemwechsel. Die Revision des ursprünglichen Unfallversicherungsgesetzes (UVG) von 1911 war seit den 50er-Jahren gefordert.

Das neue Gesetz weitete die Unfallversicherung auf sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus und erfüllte damit die Forderung nach einem allgemeinen Versicherungsobligatorium. Gleichzeitig wurden jedoch auch Privatversicherungen und anerkannte Krankenkassen für die Durchführung der obligatorischen Unfallversicherung zugelassen. Branchen mit hohen Unfallrisiken waren nach wie vor der Suva zugeteilt. Der Anteil der bei der Suva versicherten Betriebe ging allerdings seit der Einführung des UVG zurück.

Weitere Artikel zur Arbeitssicherheit in der Schreinerbranche im Internet.

www.schreinerzeitung.ch/dossiers
www.suva.ch




 

Zeitstrahl ab 1877

Die markanten Jahre
 

1877: Die Fabrikgesetze bringen erste Vorschriften zum Thema Arbeitssicherheit. Doch der ungenügende Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heizt die sozialen Spannungen an.

1912: Das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz schafft die politische Hürde und wird 28 Jahre nach dem ersten Verfassungsartikel vom Volk angenommen. Damit ist der Grundstein zur Schaffung der Suva gelegt.

1915: Ende 1915 wird in Luzern das markante Gebäude eingeweiht. Während der Kriegsjahre werden jedoch Teile davon als Spital für Kriegsgefangene umfunktioniert.

1918 : Nach den Kriegsjahren startet die Suva am 1. April 1918 ihren Betrieb mit über 30 000 versicherungspflichtigen Betrieben.

1928: Die Suva übernimmt die Bäderheilstätte «Zum Schiff» in Baden. Acht Jahre später eröffnet diese die Amputiertenschule.

1974: Die Suva eröffnet in Bellikon eine erste Rehabilitationsklinik und ermöglicht so Unfallpatienten eine schnellere Genesung und eine bessere Wiedereingliederung.

1984: Der Bund erlässt das Unfallversicherungsgesetz UVG und führt damit das Versicherungsobligatorium für alle Arbeitnehmenden ein. Gleichzeitig erhalten Privatversicherer und Krankenkassen die Möglichkeit, Unfall- versicherungen in den nicht der Suva zugeteilten Branchen anzubieten.

1999: Eröffnung der Clinique romande de réadaptation (CRR) in Sion, der zweiten Rehaklinik der Suva.

2005: Der Bund überträgt der Suva die Führung der Militärversicherung.

 

Prävention und Sicherheit

Sichere Arbeitsplätze

Die 100-jährige Geschichte der Suva zeigt auf, dass sich die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten am Arbeitsplatz ständig weiterentwickelt. Richtete sich das Augenmerk in der Prävention früher vor allem auf technische Sicherheitsmassnahmen, rücken heute organisatorische und verhaltensbasierte Aspekte in den Vordergrund.

Ein Beispiel ist das Verbot alter Fingerschutzvorrichtungen bei Pressen und Stanzen . Nach der Massnahme gingen die Unfälle von 2002 bis 2011 um mehr als 40 Prozent zurück. Eine ähnliche Erfolgsquote verzeichnen fest angebrachte und automatisch absenkbare Schutzhauben an Baukreissägen . Seit der Markteinführung der Schutzhauben sind die Unfälle mit Baukreissägen drastisch gesunken. Auch die seit 1976 obligatorischen Fehlerstromschutzschalter (FI-Schalter) auf Baustellen haben dazu geführt, dass kaum mehr tödliche Elektrounfälle auf dem Bau vorkommen.

SZ

Veröffentlichung: 29. März 2018 / Ausgabe 13/2018

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