Ausblicke in Holz

Der Raum ist geprägt von den Säulen in Esche und dem schrägen Verlauf an den Knotenpunkten. Bild: Lucas Peters

Säulenhalle in Esche.  Der Neubau des Gastronomiegebäudes für die anthroposophische Heil- und Bildungsstätte Ekkharthof verbindet statisches Prinzip mit Formensprache. Die Architekten haben auch gleich noch Tisch und Stuhl dazu entworfen, die vor Ort gefertigt werden.

Während der Mittagszeit herrscht im Saal rege Betriebsamkeit. Bis zu 200 Personen können im neu errichteten Gastronomiegebäude des Ekkharthofes (Kasten) im thurgauischen Lengwil zeitgleich speisen. Die Anlage liegt auf dem ansteigenden Gelände des Seerückens. Der Blick aus dem Neubau schweift so immer wieder weit hinaus auf den Bodensee oder aber ins Grüne.

Die grossflächigen Verglasungen sind gegliedert vom Tragwerk in Esche. Mächtige Säulen aus edlem Schweizer Laubholz bilden das Gerüst für die «Cantina», den Treffpunkt als freundliches und transparentes Zentrum der sozialen Einrichtung. Der Entwurf der Lukas Imhof Architektur GmbH in Zürich ging als Sieger des selektiven Wettbewerbs hervor, vielleicht auch, weil das Team den Leitsatz des Ekkarthofes «Leben aus anderer Perspektive» in gekonnter Weise in Architektur zu übersetzen vermochte.

Einfach und wirkungsvoll

Aussen wie innen fällt dem Betrachter sofort die Form der Stützen und Träger auf. «Das Prinzip des Entwurfes ist im Grunde aus dem Stahlbetonbau entlehnt. Denn das Fachwerk aus Eschenholz ist selbstaussteifend konstruiert», erklärt Lukas Imhof. Die Formen der einzelnen Elemente des Rahmen-Tragwerkes erinnern an solche, die man häufig in älteren Bauten aus Stahlbeton findet. Dabei sind die Enden der Träger und Stützen aufgeweitet, um die einwirkenden Kräfte an den Knotenpunkten besser übertragen zu können. «So entsteht genügend Platz, um die nötigen Verbinder ins Material zu bringen», sagt Imhof. Durch dieses konstruktive Prinzip entstehen aus sonst rechteckigen Gefachen für die Verglasung solche mit abgeschrägten Ecken. Die Konstruktion ergibt so auch die Formensprache der oft mit dem anthroposophischen Gedankenansatz in Verbindung gebrachten Architektur. «Früher, als solche Konstruktionen eingesetzt wurden, war Beton teuer und Arbeit günstig. Heute ist es umgekehrt, und die Schalung für die Form der Träger ist aufwendig», sagt Imhof.

Möglich wird die Form in Holz durch den Einsatz von Brettschichtholz (BSH) aus Esche. Der Werkstoff hat wegen seiner deutlich höheren Festigkeitswerte als Fichtenholz das Potenzial, Stahl und Beton an statisch stark belasteten Stellen zu ersetzen. So können die Träger recht schlank ausgeführt werden. Mit Esche oder Buche sind Träger der Klasse GL 48 möglich. Die Bezeichnung gibt Auskunft über die charakteristische Biegefestigkeit in N/mm2 an. BSH in Fichte wird üblicherweise in der Festigkeitsklasse GL 24 verwendet und entspricht damit bei den charakteristischen Kennwerten nur der halben Tragfähigkeit. «Man hätte die Konstruktion auch in Fichten-Brettschichtholz umsetzen können. Die Dimensionen wären dann aber um etwa 40 % grösser geworden, was natürlich die Eleganz vom Tragwerk verändert hätte», sagt Bruno Abplanalp, Verwaltungsratspräsident des Unternehmens Neue Holzbau AG im Obwaldner Lungern, das den Auftrag ausführte. Die Firma gilt als Pionierin im Bauen mit Laubholz und produziert schon seit Langem BSH-Träger und Sonderbauteile in Laubholz, neben Esche und Buche auch in Eiche oder Robinie. Entscheidender Punkt neben den deutlich höheren Festigkeitseigenschaften von Laubholz sei auch die wesentlich höhere Leistung der Verbindungsmittel in den Laubhölzern.

Durchgängig in Esche

Was meist zu kurz kommt, wenn über Bau- und Tragwerke in Laubholz geredet wird, ist die gleichermassen ungewohnte wie beeindruckende Ästhetik der so möglichen Architektur. Das astige und meist unruhige Bild der Nadelholzkonstruktionen weicht dabei der deutlich gleichmässigeren, viel öfter streifigen und dazu der produktionsbedingt nahezu astfreien Optik des Laubholzes. «Bei einem Gebäude, das im Grunde nur aus Struktur besteht, wird die Konstruktion gleichzeitig zum Innenausbau, und dieser ist mit der Esche weniger rustikal», sagt Imhof. Der Raum ergibt sich durch die Stützen, die unverkleidet geblieben sind. Für die Esche sprachen deshalb auch ganz praktische Gründe. «Es fahren ja auch Rollstühle, Geschirr- und Buffetwagen durch den Gastronomieraum. So kommt es einfach vor, dass auch mal etwas dranstösst. Da ist das harte Holz der Esche nicht so empfindlich wie ein Nadelholz», sagt Imhof. Nach der Bemusterung sei deshalb die Entscheidung für die Esche schnell gefallen, erinnert sich Abplanalp. «Die Möglichkeiten mit der Esche hat die Architekten sofort überzeugt», so der Experte.

Ein so grosser Raum mit einer Kapazität von 200 Sitzplätzen und überwiegend schallharten Materialien wird bei voller Besetzung schnell unangenehm laut. «Wir hatten durchaus Respekt vor den Aufgaben der Akustik, auch weil die Menschen mit Betreuungsbedarf manchmal etwas lauter sind», sagt Imhof. Entschieden hat man sich dafür, die Decke mit Leisten von 40 × 30 mm auszuführen. Dadurch entsteht ein recht hoher Anteil an Fugen, die dazu mit 30 mm ungewöhnlich tief sind. Darunter befindet sich ein Vlies und schliesslich die absorbierende Dämmschicht in Form von Steinwolle. «Wir bekommen recht viele positive Rückmeldungen von den Benutzern, denen die angenehme Akustik auffällt. Und tatsächlich ist die Sprachverständlichkeit erstaunlich hoch, was selbst den Bauphysiker etwas überraschte», sagt Imhof.

So kommt es, dass man, den Ausblick geniessend, auch gerne etwas länger verweilt in der «Cantina». Dazu tragen auch die eigens für das Projekt entworfenen Tische und Stühle bei. Beide sind ebenfalls aus massivem Eschenholz gefertigt. Diese zusätzliche Arbeit sei kein Selbstzweck gewesen, erklärt Carlos Wilkening, Schöpfer der Möbelentwürfe und leitender Architekt im Team von Imhof. Vielmehr gebe es dafür mindestens zwei handfeste Gründe.

Hand in Hand

Der neue Gastronomieraum wird variabel genutzt, weshalb die Tische einklappbar und die Stühle stapelbar sein müssen. Nur so können Veränderungen in der Möblierung schnell und einfach umgesetzt werden. Um den Raum aber nicht wie eine Kantine erscheinen zu lassen, sollte die Möblierung gleichzeitig eher wie in einer Gaststätte sein. «Wir wollten einen Tisch, der aussieht wie ein Tisch und nicht wie ein Stapeltisch. Und wir wollten einen Stuhl, der nicht nur von seiner Stapelbarkeit geprägt ist», erklärt Wilkening.

Eine weitere Anforderung war, dass die Möbel einiges aushalten müssen, weshalb die Architekten Ausschau nach soliden, hölzernen und massiven Modellen hielten. «Aber da gibt es kaum etwas am Markt, weshalb wir uns daran gemacht haben, Tisch und Stuhl selbst zu entwerfen», sagt Wilkening.Herausgekommen ist ein Kreuzzargenstuhl, von dem sich bis zu acht Stück aufstapeln lassen, aber aufgrund der konstruktiven Besonderheit mit der kreuzförmigen Zarge kaum als Stapelstuhl wahrgenommen wird. Bei einer Rahmenkonstruktion müssen die Hinterbeine, neben der Sitzfläche platziert, ausgestellt sein, damit die Stühle gestapelt werden können. Bei der Kreuzzarge lässt sich das deutlich eleganter lösen. Dennoch sind die Hinterbeine des Stuhles recht weit ausgestellt. «Dadurch erhöht sich die Standsicherheit auch bei eher unruhigen Benutzern deutlich. Er bleibt einfach kippsicher», sagt Wilkening. Auch der Tischentwurf hält einige Kniffe bereit. Im Gegensatz zu marktüblichen, einklappbaren Tischen, die oft etwas wackelig und technisch wirken, ist der Entwurf von Wilkening und Imhof durchwegs massiv. Eine Zargenkonstruktion kam nicht infrage, weil die Tische mit Rollstühlen unterfahrbar sein mussten. Stattdessen wurden die Hirnholzfriese mit einem Schwalbenschwanzprofil ohne Leim mit dem Tischblatt verbunden, um die Platte gerade zu halten, aber das Arbeiten des Holzes zu ermöglichen.

Für den Klappmechanismus der Beinpaare haben sich die Architekten zweier ungewöhnlicher Beschläge bedient. Die Scharniere entstammen dem Bootsbau, und der Verriegelungsbeschlag, der sogenannte Butterfly-Verschluss, findet sonst bei Transportboxen für Musikanlagen Verwendung.

Hin zur Serienproduktion

Der Schritt vom eigenen Entwurf hin zur Fertigung in der hauseigenen, betreuten Schreinereiwerkstätte lag auf der Hand. In der Schreinerei des Ekkharthofes arbeiten 13 Beschäftigte mit Unterstützung und Anleitung zweier Profis. Gefertigt werden überwiegend Holzspielsachen und Gebrauchsgegenstände aus Massivholz. Auch hausinterne Arbeiten werden erledigt und Kleinserien im Kundenauftrag ausgeführt. «Wichtig bei unserer betreuten Arbeit ist, dass die einzelnen Arbeitsschritte nicht zu komplex sind», sagt Florian Schöpf, Co-Leiter der Schreinerei. Deshalb musste der Produktionsprozess schon im Entwurf der Möbel mit einfliessen. «Die Herstellung eines komplexen Möbels ist in einer betreuten Werkstatt nur umsetzbar, wenn die Möglichkeiten der digitalen Fabrikation genutzt werden», sagt Wilkening.

Die Entwicklung der Details und den Bau der Prototypen hat Schöpf am Ekkharthof in enger Zusammenarbeit mit der Schreinerei des Vereins Zürcher Eingliederung, welcher die gefrästen Teile fertigt, erledigt. Heute werden einzelne Fertigungsschritte wie das Einfräsen der Beschläge oder die Erstellung der passgenauen Verbindungen in anderen Einrichtungen ausgeführt. Das gilt auch für die Rückenlehne und die Hinterbeine des Stuhles. Diese sind unter Dampf gebogen und weisen so einen durchgehenden Faserverlauf und hohe Stabilität auf. Am Ekkarthof wird vor allem das Material verleimt, die Möbel später zusammengebaut sowie die Oberflächenbehandlung mit Öl ausgeführt.

Weil die Möblierung im Gastronomiegebäude auf breites Interesse gestossen ist, haben die Architekten die Wilkening Imhof GmbH gegründet und bieten Tisch und Stuhl nun auch zum Kauf an. Die Preise sind mit 560 Franken pro Stuhl und 1860 Franken für einen Tisch durchaus moderat, wenn man die Materialisierung und die Qualität der Möbel bedenkt.

Vor allem aber sitzt man gerne und gut mit den Möbeln in der «Cantina». Interessierte Kunden können in Lengwil so nicht nur Probe sitzen, sondern auch Speisen, Landschaft und Architektur geniessen.

www.lukasimhof.chwww.neueholzbau.chwww.wimm.ch

Hintergrund

Leben, arbeiten und lernen

Der nach anthroposophischen Grundsätzen geführte Ekkharthof existiert mit seiner heilpädagogischen Sonderschule und der Möglichkeit, berufliche Ausbildungen zu absolvieren, seit 1974 in Lengwil im Thurgau. Darüber hinaus werden geschützte Arbeitsplätze in verschiedenen Berufsfeldern, zum Beispiel in der Schreinerei, angeboten. Entsprechend weitläufig ist der Campus mit Wohneinheiten, Betriebsstätten und sozialen Bereichen wie dem neuen Gastronomiegebäude (auf dem Grundrissbild rot umkreist).

www.ekkharthof.ch

ch, ch

Veröffentlichung: 14. Mai 2020 / Ausgabe 20/2020

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