Der Mann mit Mond

Christoph Lerch (60) überprüft regelmässig, ob sich die Holzmuster in Grösse oder Gewicht verändert haben. Bild: Stefan Hilzinger

Auch wer noch nie im Leben in einer Möbelwerkstatt war, erkennt Christoph Lerchs Schreinerei selbst mit verbundenen Augen als solche. Es ist der Duft der grossen, weiten Massivholzwelt, der einen bei Lerch empfängt. Das stattliche, denkmalgeschützte Gebäude an der Schützengütlistrasse in Bischofszell TG beheimatete einst Werkstatt und Lager eines Baugeschäftes. Seit 26 Jahren ist es nun die Wirkungsstätte des Schreiners Christoph Lerch. Dabei wollte er gar nicht Schreiner werden. «Nein, das hatte ich eigentlich nicht im Sinn», sagt Lerch, der vor 60 Jahren in Frauenfeld das Licht der Welt erblickte. Doch dann, nachdem bei Schreiner Wägeli in Iselisberg überraschend ein Lehrling die Flinte ins Korn respektive den Hobel ins Sägemehl geworfen hatte, ergriff Lerch die Chance, und er machte eine Schreinerlehre. «Das war mehr oder weniger Zufall.» Auf die Ausbildung folgten Lehr- und Wanderjahre. Lerch versuchte sich als Zeichner, als Knecht auf einem Bauernhof, als Holzfäller im Akkord und war als Messebauer in Europa unterwegs. «Gewaltig, was wir damals alles machten, beispielsweise Schriftzüge mit vier Meter hohen Buchstaben.» Doch dann war Schluss mit Vagabundieren, obwohl er Pläne geschmiedet hatte, nach Argentinien oder Australien auszuwandern. Wanderschreiner Lerch wurde in Bischofszell sesshaft, gründete mit Verena, seiner Liebe aus der Lehrzeit, eine Familie und hatte genug von Spanplatten. Seither ist er Massivholzschreiner. Einer, der gerne experimentiert. In der Werkstatt unter einem Tuch versteckt, verbirgt sich eine Kommode ohne einen einzigen rechten Winkel. Verkaufen konnte Lerch das schräge Möbel zwar nicht. «Aber an der Mustermesse in Basel, an der ich regelmässig teilnahm, hat es die Blicke auf sich gezogen», sagt er. An Standbesuchern habe es ihm jedenfalls nie gefehlt.

Und dann trat da die Sache mit dem Mondholz in sein Leben: «Ein Kollege drückte mir das Buch ‹Dich sah ich wachsen› von Erwin Thoma in die Hand.» Das Werk des österreichischen Försters und Holzbauers über uraltes Wissen zum Thema Wald und Holz hat es ihm sofort angetan. Im Bischofszeller Revierförster fand Lerch einen Partner mit Neugierde für das Thema Mondholz. Die Forstarbeiter schlugen Nadel- und Laubholz nach Lerchs Vorgaben an unterschiedlichen Tagen. Sie berücksichtigten beim Schlagen etwa, ob der Mond sich näher zum Horizont hin bewegt («absteigend» ist) oder sich von diesem entfernt («aufsteigend» ist). «Im richtigen Zeitpunkt geschlagen, kannst du das Holz direkt verarbeiten», sagt Lerch. Vor seiner Werkstatt hat er eine Sammlung von Hölzern, die er regelmässig vermisst und wägt. «Mondhölzer bleiben über Jahre stabil in der Form», ist er überzeugt. Doch nicht allein der Schlagzeitpunkt bestimmt die Qualität des Holzes. «Bei einer Eiche sagte ich den Waldarbeitern, sie sollen den Stamm vierzehn Tage ohne Entasten liegen lassen.» Als sie den Stamm später aus dem Wald zogen, hätten die Forstleute gestaunt. «Sie konnten die mächtige Eiche wie eine leichte Fichte rücken.»

Auch wenn Lerch seinerzeit nicht auswanderte: Sein Interesse an andern Weltgegenden fliessen in sein Handwerk ein. Etwa, indem er sein Rohmaterial mit einer japanischen Hobelmaschine und mit Urushi-Lacken behandelt – etwas, das nicht viele seiner Berufskollegen täten, wie er sagt.

«Im richtigen Zeitpunkt geschlagen, kannst du Mondholz sofort verarbeiten.»

Stefan Hilzinger

Veröffentlichung: 22. Oktober 2020 / Ausgabe 43/2020

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