Der Neophytenjäger

Der pensionierte Schreiner Manfred Klopocki (80) reissttäglich unerwünschte Pflanzen zum Schutz der Artenvielfalt aus. Bild: Franziska Herren

Die Mittagssonne brennt unerbittlich auf die Mütze des grossen, drahtigen Mannes, der auf einer Wiese neben einem 110-Liter-Abfallsack kauert und sich an einer Pflanze mit weiss-gelben Blüten zu schaffen macht. Mit einem Ruck reisst er die Wurzeln aus und wirft das Kraut in den Abfallsack. «Die Pflanze darf nicht liegen gelassen, sondern muss als Kehricht verbrannt werden.» Manfred Klopocki heisst der Mann, welcher der Pflanze mit dem eigentümlichen Namen Berufkraut den Kampf angesagt hat. «Wenn ich dieses Kraut nun stehen liesse, würde es sich innerhalb kurzer Zeit massiv verbreiten», erklärt Klopocki, während er die Wiese Stück um Stück von unerwünschten Gewächsen befreit. Das Berufkraut stammt ursprünglich aus Nordamerika und wurde nach der Entdeckung der Neuen Welt als Zierpflanze nach Europa gebracht. In den letzten Jahren hat es sich als invasiver Neophyt entpuppt. Das heisst: Es vermehrt sich unkontrolliert auf Wiesen, Weiden, in Gärten, an Ufern und Wegrändern und verdrängt so seltene einheimische Pflanzen. Klopocki streift jeden Tag vier bis fünf Stunden durch Aarau auf der Jagd nach invasiven Neophyten – ausgerüstet mit Abfallsäcken, einem Stecheisen und einer Gartenschere. «Gestern habe ich auf einer Baustelle fünf 110-Liter-Säcke gefüllt», erzählt er.

Weder brütende Hitze noch Regen oder Schnee hindert den 80-Jährigen an seiner Mission: die Neophyten zu bekämpfen, um die Artenvielfalt zu erhalten. «Naturkunde war schon in der Schule meine Welt», erinnert sich Klopocki. Er ist in Bottrop im Ruhrgebiet aufgewachsen und hat noch die letzten Kriegsjahre miterlebt. Als Knirps legte er im Garten seiner Eltern ein kleines Beet mit Wildpflanzen an: Sumpfdotterblumen, Farne und Buschwindröschen. «Dieses Beet habe ich gehegt und gepflegt.»

Trotz seiner Faszination für die Botanik studierte Klopocki nicht etwa Biologie, sondern lernte Schreiner. «Das kam so: Während der Ferien half ich einer Schreinerei, in einem Neubau Holzböden zu verlegen. Ich mochte den Umgang mit dem warmen Material und den Duft des Holzes, und für mich war schnell klar, dass ich Schreiner werden wollte.» Auch nachdem er als junger Mann zu seiner Ehefrau nach Aarau gezogen war, arbeitete er weiterhin auf seinem Beruf. Am Feierabend und an den freien Tagen bestimmte er in Büchern Pflanzen und Tiere und engagierte sich in einem Ornithologenverein. Bei seinen Streifzügen durch den Wald beobachtete Klopocki Fauna und Flora.

«Bereits in den 1970er-Jahren, als Neophyten noch kein Thema waren, fiel mir eine Pflanze auf, die sich überdurchschnittlich schnell ausbreitete.» In seinem Pflanzenbestimmungsbuch erfuhr Klopocki, dass es sich bei diesem Gewächs um das Drüsige Springkraut handelt, das heute wie Ambrosia auf der Schwarzen Liste der invasiven Neophyten der Schweiz steht. «Wenn ich durch die Gegend gehe, sind meine Gedanken immer bei den Pflanzen.»

Seit Jahren arbeitet Klopocki mit der Stadt Aarau zusammen. 2012 erhielt er für seinen hartnäckigen Einsatz den Umweltpreis der Stadt. Ihm ist beispielsweise zu verdanken, dass das Drüsige Springkraut aus stark überwucherten Gebieten ganz ausgemerzt werden konnte. Der engagierte Naturschützer meldet der Stadt regelmässig, wo er Neophyten bekämpft und Abfallsäcke zum Abholen deponiert hat.

«Manchmal bekomme ich dabei zu hören: ‹Manfred, wenn es dich nicht mehr gibt, was sollen wir dann tun?› Dann sage ich einfach: ‹Es gibt mich ja noch.›»

«Wenn ich dieses Kraut nun stehen liesse, würde es sich innerhalb kurzer Zeit massiv verbreiten.»

fh

Veröffentlichung: 22. August 2019 / Ausgabe 34/2019

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